Abenteuer Fachschaftenkonferenz
Foto: privat; das Deutsche Haus – der Schauplatz der FSK am 11.05.
Bis 5 Uhr morgens soll, Fachschaftslegenden zufolge, die Fachschaftenkonferenz (kurz: FSK) schon gedauert haben. Von eigenen FSK-Besuchen erinnere ich mich an meine „Wenn sich sonst keiner meldet, mache ich es eben“-Wahl in den Studentischen Wahlausschuss, daran, dass die Sitzung einmal von einem Vorstandsmitglied aus dem Auslandssemester in England geleitet wurde und an eine Abstimmung um 2 Uhr nachts darüber, welche Farbe die anzuschaffenden Mikrofone (die natürlich ebenfalls per Abstimmung festgelegt worden waren) haben sollten. Keine Ahnung – die günstigste halt. Damals hat die FSK coronabedingt noch digital stattgefunden, statt Gesichtern erinnere ich mich nur an einige Namen und dazugehörige Stimmen. Seit einer Weile findet die FSK nun wieder in Präsenz statt. So auch am 11. Mai.
FSK – was ist das überhaupt? Die Fachschaftenkonferenz setzt sich aus Mitgliedern der Fachschaften zusammen. Wahlberechtigt sind diejenigen, die in den Fachschaftsrat (FSR) gewählt wurden. Einfach gesagt, und damit auch ein wenig ungenau, sind das von der Studierendenschaft gewählte Fachschaftsmitglieder. Der Vorstand der FSK wird einmal im Jahr gewählt, gegen Anfang des Wintersemesters, und besteht aktuell aus vier Personen. Mehr über die Vorstandsmitglieder und ihre Aufgabenbereiche erfahrt ihr auf dem Instagram-Account der FSK. Ausgerichtet wird die Konferenz einmal monatlich, immer von unterschiedlichen Fachschaften. Diesmal ist diese Aufgabe der Geografie zuteilgeworden, was zu einer kurzfristigen Raumverlegung aufgrund der aktuell stattfindenden Dreharbeiten führte. Die Sicherheitsfrau, die jetzt zwischen mir und dem Campus Firmanei steht, schaut mich an, als würde sie auf einen geheimen Code warten. Passwort: FSK. Dann geht es nach links, am Gebäude entlang. An einer offenen Tür hängt ein handgeschriebenes Schild, das den Weg weist. Durch die Tür, einem Flur folgend, lande ich schließlich in einem offenen Souterrainraum mit hohen Decken, dramatischen Steinwänden, Holztischen und -bänken. Die sogenannte ‚Ochsenbraterei‘ (zumindest stand es so in der Einladungsmail) ist bereits gut gefüllt, mit Personen, Stimmen und im Eingangsbereich versammelten Regenschirmen, denn draußen herrscht die Sintflut.
Gummibärchen und Dosenbier
Irgendwo in der Mitte finde ich einen freien Platz. Dass ich schlechter vorbereitet bin als gedacht, merke ich, als meine Sitznachbarin Gummibärchen und Dosenbier, drei Reihen weiter vorne jemand einen Döner auspackt. Gegen Viertel nach acht geht es los – mit einer Raumeinweisung: dort entlang zu den Toiletten, wir sind in historischen Räumen, nicht irgendwo durchs Gebäude wandern. Typisch für Marburg treffe ich auch jemanden aus meiner OE wieder. Nach kurzen Startverwirrungen, gehen gegen halb neun 13 rote Stimmkarten in die Höhe und beschließen das Protokoll der letzten Sitzung. Danach stellen sich die Gäste vor, diesmal das Green Office und PHILIPP, also ich.
Der nächste Punkt auf der Tagesordnung lautet: „How to FSK“ und beinhaltet ziemlich genau das. Neben dem Selbstverständnis der FSK stellt der Vorstand auch einige Gesprächsregeln vor. Die FSK hat dem kurzen Vortrag zufolge viele verschiedene Funktionen. Sie sammelt und vertritt die Interessen der Fachschaften, wählt und entsendet Personen in unterschiedliche Gremien, etwa den Studentischen Wahlausschuss, unterstützt Fachschaften bei Projekten und schwerwiegenden Problemen. Sie sei außerdem theoretisch ähnlich beschlussfähig wie das Student:innenparlament – nicht dass diese Erklärung den meisten Studierenden (inklusive mir) etwas sagen würde. Natürlich ist die FSK auch eine Möglichkeit für die Fachschaften, sich untereinander auszutauschen. Das innoffizielle Ziel der FSK sei es außerdem, einen entspannten Abend miteinander zu verbringen. Wieso das überhaupt erwähnt werden muss? Im Laufe der Sitzung fallen mehrere Andeutungen, dass die Stimmung vor Corona unangenehmer, politisch-aufgeladener und der Umgang miteinander teils harsch gewesen sei. Das wolle man nun nicht mehr. Der neue Plan: „locker, aber nicht zu locker“.
Kritik kommt dabei aus den eigenen Reihen. In den letzten Sitzungen seien nur Berichte ausgetauscht worden, die sich primär auf vergangene Projekte konzentriert hätten. Deshalb bittet der Vorstand darum, auch von zukünftigen Vorhaben zu erzählen. Daraufhin erheben sich einige ‚Jazz-Hands‘ der Zustimmung – eine Praktik, die ebenfalls zuvor etabliert worden ist. Der Vorstand bedauert, dass Kooperations- und unipolitische Möglichkeiten in letzter Zeit zu wenig genutzt worden seien. Es wird außerdem darauf hingewiesen, dass Informationen von den anwesenden Vertreter:innen der Fachschaften über mögliche Probleme an den Fachbereichen auch deshalb gebraucht werden, weil die Vorstandsmitglieder als Vertreter:innen der Vertreter:innen der Vertreter:innen der Studierendenschaft in verschiedenen Gremien wie dem Senat und dem Präsidium sitzen und dort nur dann sinnvolle Beiträge leisten können, wenn sie gut informiert sind.
Miteinander reden
Eingeführt wurden zudem vor einiger Zeit zwei Redelisten, die nach Möglichkeit abwechselnd zu Wort kommen sollen, eine für FLINTA*-Personen (also Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans- und agender-Personen) und eine für nicht-FLINTA*-Personen. Meldet sich jemand, wird er:sie auf der entsprechenden Liste notiert und zu gegebenem Zeitpunkt aufgerufen. Hebt jemand beide Hände, wird diese Person priorisiert und kann einen GO-Antrag (Geschäftsordnungsantrag) stellen, der umgehend mündlich zu begründen ist. Auf diese Art kann etwa eine Vertagung eines Tagesordnungspunkts (TOP), eine sachliche Richtigstellung oder eine sofortige Abstimmung beantragt werden. Bei sämtlichen Abstimmungen hat jede anwesende Fachschaft eine Stimme, unabhängig von der Größe des Fachbereichs. Die Erwähnung, dass überlegt wurde, ob das sinnvoll sei, führt zu Empörung und einer irritierend langen Diskussion, wenn man bedenkt, dass es nur um eine wäre-würde-könnte-Erwägung geht. Schließlich beendet der Vorstand den Wortwechsel mit dem wiederholten Hinweis, dieser Gedanke stünde ja nur für eine zukünftige Besprechung im Raum.
Ein weiteres Thema, das einige der Anwesenden beschäftigt, ist die nächste Einführungswoche. Es wird darüber diskutiert, ob es Möglichkeiten gäbe, die Nebenfächler besser zu integrieren, sodass sie nicht nur Kommiliton:innen aus ihrem Hauptfach kennenlernen. Insbesondere, da sich aufgrund der neuen Prüfungs- und Studienordnungen mehr Fächer als Nebenfächer studieren lassen. Diese Anfrage lässt sich jedoch nicht abschließend klären, da einige Fachschaften auf bereits eng getaktete Zeitpläne verweisen, während die meisten noch lange nicht mit der Planung begonnen haben. So endet das Gespräch mit der Hoffnung auf bessere Absprachen unter den Fachschaften, einigen aufgeworfenen, aber nicht ausgereiften Ideen und dem Vorschlag, eine digitale Übersicht über die Zeitpläne zu schaffen.
Spielt denselben Song nochmal!
Integraler Bestandteil der FSK sind die Berichte der anwesenden Fachschaften, des Vorstands, des AStA-Vorstands sowie möglicher weiterer Gremien (von denen diesmal jedoch keine anwesend sind). Viele Fachschaften berichten von Nachwuchsproblemen, einige bewegen sich nah an der Grenze des Aussterbens. Das ist nicht nur problematisch, weil die Fachschaften als Vertretung der Studierenden ein wichtiger Baustein der Hochschulpolitik sind, sondern auch weil mit ihnen Wissen verloren geht. Wird eine Fachschaft wiederbelebt, müssen Informationen und Abläufe erst neu erarbeitet werden. Nur die Fachschaft Wirtschaftswissenschaften stellt fest, sie habe zu viele Mitglieder – und erntet dafür verzweifelte Lacher. Es wird außerdem von Stellenstreichungen und vakanten Stellen an mehreren Fachbereichen berichtet, etwa in der Biologie und der Religionswissenschaft, worunter natürlich auch die Lehre leidet. Ein bisschen erinnert die Uni durch die Verursachung solcher, sich ewig-wiederholender Themen an die in der zweiten Pause gespielte Cantina Band (ursprünglich bekannt aus Star Wars, in diesem Fall das Family Guy-Cover), die sich ohne Publikumszustimmung in Endlosschleife selbst auffordert, denselben Song noch einmal zu spielen. Das soll keineswegs eine Trivialisierung der Themen sein, sondern vielmehr darauf hindeuten, wie beständig diese durchaus schwerwiegenden Probleme sind.
Geografie faktisch nicht studierbar
Die Fachschaft Geografie erzählt erneut von der Problematik des Geländepraktikums, das für Bachelor- und Lehramt-Studierende verpflichtend ist. Dieses fand während der Coronapandemie in Hessen statt, jetzt allerdings wieder an teils weit entfernten Orten, was aus Kosten- und Umweltgründen kritisch ist. Darauf hatten auch die drei Geografiestudenten hingewiesen, die mit dem Fahrrad nach Portugal gefahren sind. Der AStA bemerkt, er sehe den Studiengang Geografie unter anderem deswegen als eigentlich nicht mehr studierbar an. Beklagt wird außerdem die allgemein niedrige Wahlbeteiligung, sei es für den FSR oder bei den Hochschulwahlen. Immerhin: Es sind einige Sommerfeste und andere Veranstaltungen geplant. Na, dann wird ja alles gut. Spätestens als über die Bundesfachschaftentagungen gesprochen wird, wird mir wieder bewusst, wie intransparent und unverständlich, ja fast schon parallelgesellschaftsartig Hochschulpolitik für Nicht-Involvierte wirkt. Auch die veraltete Webseite des AStA zur FSK ist diesbezüglich keine große Hilfe. Die neusten datierten Sprechzeiten des Vorstandes sind von 2019, ‚aktuelle‘ Dokumente zu den Hochschulwahlen ebenfalls. Fast schon allegorisch wirkt der daneben angezeigte Kalender für den Monat Mai. Mal Mai 2024, mal Mai 1998.
In der zweiten kurzen Pause spielt also die Cantina Band, die inzwischen eine Art FSK-Tradition ist, in Dauerschleife, während sich der Raum merklich leert. Es ist inzwischen Viertel vor zwölf. Die Punkte ‚Anträge‘ und ‚Sondermittelanträge‘ sind schnell abgehakt – erstere gibt es nicht, der eine ausstehende Sondermittelantrag wird zügig beschlossen. Als sich der letzte Tagesordnungspunkt ‚Sonstiges‘ (eine gefährliche Bezeichnung) zieht und zieht und zieht und eine Person allen Anwesenden eine Berufsunfähigkeitsversicherung nahelegt, frage ich mich zum ersten Mal an diesem Abend ernsthaft, ob ein Spaziergang im strömenden Regen nicht doch die bessere Wahl gewesen wäre. Nachdem ein Termin für die nächste Sitzung gefunden wurde, bietet die Fachschaft Chemie großherzig an, die FSK auf den Lahnbergen auszurichten. Eine andere Fachschaft kommentiert, dass sei ein guter Vorschlag, um einen Gegenvorschlag zu erzwingen. Den Weg möchten schließlich die wenigsten auf sich nehmen. Wie ernst das Angebot gemeint war, bleibt unklar, aber am Ende machen die Wirtschaftswissenschaften das Rennen.
„Todeszeitpunkt 00:14 Uhr“, attestiert schließlich Vorstandsmitglied Lucas. Neben den leider wenig überraschenden, da anhaltenden, Problemen wie universitären Sparmaßnahmen, nachlassender Lehre und fehlendem Fachschaftsnachwuchs, bleiben bei mir vor allem zwei unerwartete Erkenntnisse hängen: Das WLAN im Keller des historischen Gebäudes ist besser als das in den Türmen der PhilFak und auf irgendeine verquere Weise haben mir die nächtlichen Diskussionen gefehlt. Nur vielleicht nicht die über Mikrofonfarben.
ist 2000 nahe Zürich geboren. Studiert Literaturvermittlung in den Medien.
War zwei Jahre lang bei PHILIPP aktiv und von April 2023 bis November 2024 Chefredakteurin. Hat am liebsten Protokolle und FSK-Berichte geschrieben.
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