Sneak-Review #174: Bernadette

Sneak-Review #174: Bernadette

„Bernadette“ von Richard Linklater ist die Verfilmung des Buches „Where‘d You Go, Bernadette“ von Maria Semple. Cate Blanchett durfte sich in der dieswöchigen Sneak-Preview als ehemalige Star-Architektin austoben, die im bürgerlichen Leben eingegangen ist.

Handlung

Bernadette Fox kann die meisten Menschen nicht leiden und zieht sich, so gut es geht, aus allem Öffentlichen zurück. Einst war sie eine bahnbrechende Architektin, doch ihr bedeutendstes Haus wurde abgerissen und sie zog sich in ihre Familie zurück. Mit ihrer Tochter Bee (Emma Nelson) verbringt sie viel Zeit, doch diese möchte bald aufs Internat. Ihren Mann Elgie (Billy Crudup), eine Art Steve Jobs, sieht sie selten. Bernadettes Streite mit den anderen Müttern aus Bees Schule eskalieren und sie scheint die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren. Das Geld der Familie verliert sie beinahe an russische Identitätsdiebe, eine Psychologin und ein FBI-Agent werden auf den Plan gerufen. Schlussendlich flieht Bernadette vor einer aufgezwungenen Therapie in die Antarktis. Dorthin wollte zunächst die ganze Familie auf Bees Wunsch hin in den Urlaub fahren. Jetzt eilen Tochter und Mann Bernadette hinterher.

Widersprüche

Gleich zu Beginn macht der Film im Voiceover der Tochter ein großes Fass auf: können wir nicht aus den psychologischen Zwängen (hier die Tatsache, dass einst Liebgewonnenes nach einer Weile an Glanz verliert), die die Evolution uns im Lauf der Jahrmillionen auferlegt hat, ausbrechen, um ein gutes Leben zu führen? Bernadettes Familie eröffnet sich einen Weg aus dem evolutionären Rationalismus, indem sie schlichtweg reich ist, Unvernunft muss man sich schließlich leisten können.

Die anderen Mütter aus Bees Schule, allen voran Audrey (Kristen Wiig) stellen Bernadettes Horrorvorstellung von einem bürgerlichen Leben dar, von dem sie selbst meint, ihm zu entfliehen. Brunch, Straßenfeste, Schulaufführungen und gepflegte Gärten dominieren hier das Bild. Exotistische Vorlieben der Waldorfschule, Kitsch, Tratsch und das Streben zu den Reichen und Schönen werden gewitzt dekonstruiert, dann aber wagt der Film doch wieder keinen Standpunkt. Vieles verliert sich in einem Mittelmaß: Die quälgeistige Nachbarin ist eigentlich ganz okay, wenn man sie kennenlernt. Bernadette ist eine Gefahr für die Allgemeinheit, dann aber braucht sie einfach nur eine kleine Auszeit. Ihr größtes Bauprojekt war ein Haus, für das jeder Rohstoff aus höchstens 20 Meilen Entfernung des Bauplatzes kommen musste, jetzt bestellt sie unentwegt bei Amazon. Die Tochter macht sich Sorgen um die wegschmelzende Antarktis und möchte mit dem Kreuzfahrtschiff hin.

Diese und andere Widersprüche machen vor allem die erste Hälfte des Films aus. Doch anstatt genau da anzusetzen und diese Paradoxien zu untersuchen, scheint der Film hier unendlich blauäugig und genauso blind wie für den Reichtum der Hauptfiguren. Der Film bleibt ganz bei Bernadette, ihrer Familie und deren Küchenpsychologie.

Das Ende der Geschichte

Es gibt dann auch nahezu keine Fallhöhe für die Figuren. Bernadette scheint es nie wirklich furchtbar zu gehen, als berufliches Fangnetz hat sie immer noch ihr Netzwerk und ihren Ruhm als Architektin. Ebenso Elgie, der beruflich lächerlich gut dasteht. Schließlich können alle diese Figuren freiwillig einen Schritt zurücktreten und ihr Leben anpassen, ohne auch nur das geringste zu verlieren. Elgie kündigt und wird Freelancer, Bee geht nicht aufs Internat, weil sie in ein paar Jahren ja eh aufs College geht. Und auch Bernadette konnte es sich leisten, nicht mehr zu arbeiten, sondern sich um die Familie zu kümmern. Für diese Familie scheint das „Ende der Geschichte“, das der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama 1992 beschrieb, tatsächlich eingetreten zu sein. Alle Widersprüche bügeln sich im Wohlstand flach, auch das Schmelzen der Polkappen.

Schlussendlich liegt der Schlüssel für Bernadettes Glück darin, ihre nächste „Vision“ als Architektin zu finden (ihren Namen hat sie von der heiligen Bernadette, die 18 Visionen der Jungfrau Maria gehabt haben soll). So stolpert der Film in die Rationalisierung, die er zu Beginn doch noch überwinden wollte. Bernadette muss etwas schaffen, sie muss als Künstlerin funktionieren, das muss ihr Ventil sein. Die Selbstverwirklichung als Projekt, das erledigt werden muss, eine rationalistisch-verkorkste Umkehrung des sowieso schon verkorksten „tortured-artist“-Klischees. Zum Thema des Nichtfunktionierens ist gerade der viel radikalere „Systemsprenger“ im Kino zu sehen.

Lichtblicke

Regisseur Richard Linklater ist insbesondere für Filme wie „School of Rock“ (2003), „A Scanner Darkly“ (2006) und „Boyhood“ (2014) bekannt, die alle mindestens interessante Konzepte aufweisen. Ob „Bernadette“ wirklich so naiv gemeint ist, wie er wirkt, kann ich nicht sagen. Uns bleibt nur, den Film gegen diesen naiven Strich zu lesen und die Widersprüche und Ungereimtheiten, die der Film so beiläufig übergeht, ernst zu nehmen. Dann hat man eine interessante erste Hälfte, die in der zweiten Hälfte allerdings versinkt im Polarmeer aus Kitsch, Vorhersehbarkeit und Trivialität . Gegen Ende ist „Bernadette“ sich nicht einmal mehr für Plattitüden wie: „Wenn man in einem Boot sitzt in der Antarktis, wer ist man dann?“ zu schade.

Lichtblicke des Films sind die elegante und subtile Kameraarbeit von Shane F. Kelly und das Schauspiel von Cate Blanchett, die einer der besten Schauspielerinnen unserer Zeit ist. Sie hat sichtlich Freude an der Rolle der überforderten Zynikerin und auch ihr ist es zu verdanken, dass die Widersprüche der Handlung und Figuren nicht ganz unerheblich wirken. „Bernadette“ ist ein interessanter Film, aber sicherlich nicht aus den besten Gründen.

„Bernadette“ startet am 21. November 2019 in den deutschen Kinos.

FOTO: Universum Film

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