Sneak-Review #217: Beast
Eine trauernde Familie auf den Spuren der Erinnerung und ein blutrünstiger Löwe auf Rachefeldzug in einem bitteren Kampf ums Überleben. Das ist Beast: der neue Film von Baltasar Kormákur – dem Meister des Survival-Thrillers – wie man ihn vielleicht nennen würde, wenn er unter Cineasten bekannt und seine Filme tatsächlich gut wären.
Familientherapie im Naturschutzgebiet
Der kürzlich verwitwete und von Schuldgefühlen geplagte Dr. Nate Samuels (Idris Elba) landet mit seinen beiden entfremdeten Teenager-Töchtern, Norah (Leah Jeffries) und Meredith (Iyana Halley), in einem Reservat in Süd-Afrika. Dort treffen sie Martin, einen alten Freund der Familie und Manager des Naturschutzgebiets. Das Ziel des Ausfluges ist es die zerrütteten Familienbande zu stärken und der Heimat der verstorbenen Ehefrau näher zu kommen. Was als rehabilitierender Urlaub beginnt, wird allerdings schnell zu einem Alptraum.
Nach einer privaten Rundtour durch das Reservat, besuchen sie ein nahegelegenes Dorf. Dort angekommen müssen sie feststellen, dass ein Massaker stattgefunden hat. Ein wildes Tier hat alle Bewohner*innen offenbar wahllos zerfleischt, ohne dabei auf Beute aus zu sein. Da sich noch keine Aasfresser über die Toten hermachen, muss was immer sie gerissen hat noch in der Nähe sein. Die Musik schwillt an. Die Spannung steigt. Die Funkgeräte funktionieren nicht. Was folgt ist ein ausdauernder Kampf ums Überleben der den Zusammenhalt der Familie auf die Probe stellt.
Abwärtsfahrt
Der erste Angriff des Löwen, ist in seiner Inszenierung tatsächlich ziemlich effektiv. Die Kamera bleibt in einer gut gemachten Plansequenz immer dicht bei den Protagonist*innen und zwängt uns beinah klaustrophobisch in ihre Perspektive. Wir wissen genauso wenig wie sie von wo der Löwe kommen wird. Wenn es dann erstmal etabliert ist, verliert das blutrünstige Raubtier und so auch der gesamte Film allerdings schnell an Reiz.
Sowohl der zunächst als besonders intelligent inszenierte Löwe, der Martin in einer Szene als Köder für die Anderen zu benutzen scheint, als auch die menschlichen Charaktere, werden im Verlauf des Films zu Karikaturen ihrer Selbst. Der studierte Arzt Dr. Nate Samuels mutiert immer mehr zum Navy Seal und die beiden Töchter, die zu Beginn zumindest ansatzweise als eigenständige Individuen mit Interessen gezeichnet werden (Meredith hat ein Faible für Fotografie, Norah hätte einfach nur gerne W-Lan), verkommen zu charakterlosen McGuffins, die es zu schützen gilt und die ständig irgendwo warten sollen. Lediglich die bisweilen aufflackernde Schlagfertigkeit der jüngeren Tochter sorgt vereinzelt für gelungene Gags. Immerhin ist Beast mit seinen 93 Minuten Laufzeit relativ schnell wieder vorbei.
Elevated Creature Feature?
Schon die Besetzung von Idris Elba, der eigentlich durchaus ein guter Charakterdarsteller sein kann, anstelle von Dwayne „The Rock“ Johnson, den man in so einem Film vielleicht eher vermuten würde, erweckt den Anschein, dass man es hier mit dem Anspruch ein wenig zu ernst genommen hat. Beast ist in meinen Augen der misslungene Versuch eines elevated creature features, das Elemente eines Familiendramas mit klassischem Survival Thriller und Horrorfilm verbindet, jedoch an eben dieser ambitionierten Kombination zu Grunde geht.
Dr. Nate Daniels ist ein distanzierter Vater, der den Interessen seiner Töchter keine Beachtung schenkt und sich schwer damit tut Zuneigung zu zeigen. „Mehr als ne Ghetto-Faust ist nicht drin“ sagt eine der beiden. Viel mehr wird über ihre Beziehung zueinander nicht erzählt. Auch über das Verhältnis zu seiner verstorbenen Frau, von der er sich etwa zeitgleich zu ihrer Krebsdiagnose getrennt hatte, erfahren wir eigentlich nur, dass er sich wünscht „noch einmal mit [ihr] streiten zu dürfen“. Das ist mir einfach zu wenig Hintergrundinformation, als dass ich in den dramatischen Momenten des Films wirklich mitfühlen könnte.
Dass die Kombination aus Familiendrama und Horrorfilm durchaus Früchte tragen kann, wenn der Charakterentwicklung und den Dynamiken zwischen den Figuren genug Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet wird, hat zum Beispiel Ari Asters „Hereditary“ (2018) eindrucksvoll bewiesen. Hier funktioniert es schlichtweg nicht. Der Held dieses Films ist ein Mann, der sich ausschließlich durch seinen Beschützerinstinkt definiert und dessen größte väterliche Qualität es ist, einen wilden Löwen mit bloßen Fäusten bekämpfen zu können.
Gesetz der Wildnis
Irgendwo zwischen all den Genre-Klischees, erzwungenen Dialogen und der unglaubwürdigen Emotionalität, will „Beast“ dann zu allem Überfluss auch noch eine Kritik an der Wilderei sein. Denn den Grund für den ungestillten Blutdurst des Löwen erfahren wir schon in der ersten Szene des Films. Eine Gruppe von Wilderern erschießt sein gesamtes Rudel, um die Zähne und Knochen auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Von da an beginnt das traumatisierte Tier Selbstjustiz zu üben und macht Jagd auf alles was sich bewegt. So wird zwar versucht den bestialischen Löwen mit einem moralischen Motiv auszustatten, letztendlich wird er dann aber doch nur zu einem mordenden Monster in Micheal Myers Manier stilisiert, das alle nur denkbaren Verletzungen überlebt und dem jegliche Katharsis verwehrt bleibt.
Die Natur verteidigt sich gegen die ausbeuterische Brutalität des Menschen. Das soll hier im Subtext erzählt werden. Für meinen Geschmack bleibt der Film in seiner Behandlung dieser Thematik aber einfach zu oberflächlich. Darüber hinaus finde ich den deutschen Beititel „Jäger ohne Gnade“, den man sowohl auf den Löwen als auch auf die Wilderer beziehen kann, mal wieder äußerst plump gewählt. Auch die Frage, wer denn nun überhaupt das titelgebende Beast ist, könnte man sich stellen. Ihre Beantwortung unterliegt im Film aber nur sehr geringfügiger Ambiguität. Der Antagonist ist eindeutig der Löwe.
Fazit
Am Ende bekommen wir was das Poster verspricht. Idris Elba gegen einen wilden Löwen. Eine Prämisse die in ihrer Simplizität ähnlich viel Unterhaltung verspricht, wie Jason Statham gegen einen gigantischen Urzeit Hai in „Meg“ (2018), leider aber auch genauso sehr daran scheitert, dass sie sich selbst viel zu ernst nimmt. So reiht sich dieser Film ein in eine lange Liste von Monster-Filmen, die aufgrund mangelnder kreativer Ideen unter ihrer Vorhersehbarkeit leiden, deren Charaktere immer wieder frustrierend dämliche Entscheidungen treffen und die so die Aufmerksamkeit und das Interesse des Publikums verlieren und hinter ihrem vermeintlichen Unterhaltungspotenzial zurückbleiben. Wenn man allerdings, wie ich, Spaß daran hat, sich durch das Finden von Logiklücken in Hollywood Blockbustern Intellektualität vorzugaukeln, dann wird man hier sicher trotzdem auf seine Kosten kommen. Mir hat zwar nicht der Film, aber meine Aversion gegen ihn, durchaus Freude bereitet.
„Beast“ läuft seit dem 25.08.2022 in den deutschen Kinos.
Foto: Baltasar Kormákur/ Universal Pictures