Sneak Review #267 – „Is cuma liom sa foc faoi aon gharda“

Sneak Review #267 – „Is cuma liom sa foc faoi aon gharda“

Bild: Laura Schiller

Kugeln bohren sich in Knieknorpel, drei Männer schreien auf, versuchen zu fliehen, doch ihre Beine versagen. Eine Szene der irischen Drama-Komödie Kneecap. Man mag es wohl keinem wünschen, solch einen „Kneecap“ persönlich zu erleben. Doch auf der Kinoleinwand sieht die Sache anders aus, denn der Film überzeugt mit seinem besonderen Witz.

Der Film erzählt die Geschichte des Rap-Trios Kneecap, das sich im Film selbst spielt und aus den Mitgliedern Mo Chara (bürgerlich Liam Og O hAnnaidh), Móglaí Bap (Naoise O Caireallain) und DJ Próvaí (JJ O Dochartaigh) besteht. Die besten Freunde Mo und Móglaí wachsen gemeinsam in Belfast auf und lernen von Móglaís katholisch-irischem Vater (gespielt von Michael Fassbender) die irische Sprache. Sie wird heutzutage nur noch von einer Minderheit gesprochen.

Der Nordirlandkonflikt

Um die hohe Bedeutung der Sprache zu verstehen, muss man einen Blick auf den Nordirlandkonflikt werfen. In Nordirland leben Menschen mit protestantisch-britischem und katholisch-irischem Hintergrund zusammen. Letztere haben, vor allem im 20. Jahrhundert, im Alltag mit Diskriminierungen zu kämpfen. Der schon länger bestehende Konflikt schlägt gegen Ende der 1960er-Jahre in Gewalt um, als sich radikale Gruppen auf beiden Seiten formieren. Die Irish Republican Army (IRA) möchte die Diskriminierungen katholisch-irischer Bürger*innen beenden und Nordirland zu einer Republik machen. Besonders bekannt wird die Gruppe durch Schüsse in die Knie, sogenannte „Kneecaps“. Auf der anderen Seite stehen die Vertreter*innen, die den Verbleib im Vereinigten Königreich fordern. Mit dem Karfreitagsabkommen 1998 werden die Verbände entwaffnet und die Polizei reformiert. Nordirland erhält die Selbstverwaltung, bleibt aber Teil Großbritanniens. Allmählich entspannt sich die Lage, doch ganz legt sich der Konflikt nie. Und genau hier setzt Kneecap im Jahr 2017 an.

Zwei Drogendealer und ein Musiklehrer

Fassbenders Charakter wird aufgrund von Bombenanschlägen für die IRA polizeilich gesucht und verunglückt anschließend mysteriös bei einer Bootsfahrt. Nach einem Zeitsprung lernen wir die beiden Jungen in Ihren Zwanzigern kennen, in denen sie sich ihren Unterhalt als Drogendealer verdienen, wobei sie oft selbst ihre besten Kunden sind. Nachdem eine Party von der Polizei gestürmt wurde, gerät Mo in Haft, weigert sich aber mit den Beamten Englisch zu sprechen. Stattdessen redet er irische Sätze vor sich hin und ein Irischlehrer wird zum Übersetzen gerufen, der später als DJ Próvaí bekannt sein wird. Eins führt zum anderen und er bekommt Mos Notizbuch in die Hände, das voll mit irischen Texten ist. Wie es sich für jemanden gehört, dessen ursprüngliche Träume durch den tristen Alltag zerstört wurden, schlägt er vor, gemeinsam aus den Texten Musik zu machen. In einer Nacht voller Drogenexzesse wird seine Garage zum Geburtsort von Kneecap. Eine schwierige Familiengeschichte, ein uralter Landeskonflikt und eine Menge Drogen – nicht unbedingt der beste Stabilitätsgarant und so wird es ein windiger Weg bis zum Aufstieg der drei Iren.  

Satire vom Feinsten

Drama-Komödien kommen stets als Seiltänzer über den Dächern einer Großstadt daher. Es gilt die richtige Balance zwischen beiden Elementen zu halten und nicht durch den einen Aspekt den anderen unglaubwürdig wirken zu lassen. In den meisten Fällen artet es zu einem einzigen Witzfeuerwerk aus, doch Kneecap leistet hier gute Arbeit. Der Film ist zwar voll und ganz Satire, doch auch ruhige, ernste Momente nehmen einen Raum ein. Die Handlung ist dabei keine besonders originelle: Vaterprobleme, Frust mit dem Alltag und intelligente Kleinkriminelle stellen keine Neuheit dar. Doch im Zusammenhang mit der irischen Sprache und dem Nordirlandkonflikt im Allgemeinen, entsteht ein spannender Einblick in eine Gesellschaft und unserem Verhältnis zur Sprache. Zuschauer*innen sollten dabei im Hinterkopf behalten, dass der Film dauernd leicht übertreibt und bewusst die kontroverse Rolle einnehmen möchte, die auch die Hip-Hop-Band in der Realität besitzt. Der Regisseur und Drehbuchautor Rich Peppiatt unterstützt bei seinem Spielfilmdebüt den selbstironischen Grundton und glänzt mit einigen humoristisch kreativen Schachzügen, die immer wieder die Grenze zur Fiktion überschreiten.

Das Trio wirkt trotz fehlender schauspielerischer Ausbildung glaubwürdig und versprüht eine spürbare Authentizität. Neben den Dreien sind die restlichen Figuren passend besetzt, allen voran Michael Fassbender als Móglaís Vater. Sie verbleiben nicht alleinig storytechnische Hilfestellungen für die Hauptpersonen, sondern können ihre eigenen Facetten entfalten. Im Laufe des Films bekommen wir es mit Originalmusik der Band zu tun. Wie viele Dialoge, ist auch sie größtenteils in irischer Sprache gehalten und so sollte man beim Kinobesuch keine Abneigung gegen Untertitel verspüren. Obwohl man von den Texten nur die gelegentlichen englischen Teile versteht, spiegelt die Musik in ihrer bewusst provokanten sowie satirischen Art den Vibe des Films wieder. Die Liedzeile „Is cuma liom sa foc faoi aon gharda” (Mir ist die Wache egal) zählt dabei zu den freundlichsten Worten gegenüber Polizist*innen. Man kann mich beim besten Willen nicht als Hip-Hop- oder gar Rap-Hörenden bezeichnen, aber ich habe mich seit dem Film mehrfach dabei erwischt, ihren Liedern zu lauschen.

Kneecap ist eine gelungene gesellschaftliche Satire, die zudem mit ihrer persönlichen Geschichte punkten kann. Ganze 93% der Sneak-Besucher haben die Vorstellung genossen und gaben eine positive Bewertung ab. Jetzt lässt sich nur noch abwarten, wie viele von ihnen auch Irisch lernen werden.

(Lektoriert von jub und lurs)

studiert Lehramt und ist seit Oktober 2024 bei PHILIPP.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wordpress Social Share Plugin powered by Ultimatelysocial
Instagram
Twitter