Welche Bedeutung hat die Vergabe des Friedensnobelpreises, Frau Prof. Buckley-Zistel?
Bild: Alice Schaller, Anna Reichling & David Skaliks
Im Oktober hat das norwegische Nobelpreiskomitee in Oslo bekannt gegeben, dass der diesjährige Friedensnobelpreis an die japanische Organisation Nihon Hidankyo geht. Diese setzt sich für eine atomwaffenfreie Welt ein. Wir sprachen mit der Marburger Konfliktforscherin Prof. Dr. Susanne Buckley-Zistel über den Einsatz der Organisation gegen die Stigmatisierung von Überlebenden der Atombombenabwürfe in Japan und warum sie die Entscheidung des Komitees für gerechtfertigt hält.
PHILIPP: Wofür hat die Organisation Nihon Hidankyo den Friedensnobelpreis erhalten?
Prof. Dr. Buckley-Zistel: In der Begründung des Komitees sind vor allem zwei Gründe für die Verleihung des Friedensnobelpreises an diese nichtstaatliche Organisation genannt. Zum einen ihr Einsatz für eine Welt ohne Atomwaffen und zum anderen für die Demonstration der Folgen von Atomwaffen. Der Einsatz für eine Welt ohne Atomwaffen ist für die Organisation mit nuklearer Abrüstung verbunden und somit der Verhinderung von künftigen Atomkriegen. Die Demonstration der Folgen von Atomwaffen basiert vor allem darauf, dass die Organisation von Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki gegründet wurde.
Welche Wirkung hat die Organisation in der japanischen Gesellschaft?
Die Überlebenden der Atombombenabwürfe wurden in der japanischen Gesellschaft lange Zeit stigmatisiert. Da nicht klar war, welche Auswirkungen die Verletzung mit Nuklearwaffen hatte und ob von den Überlebenden eine Gefahr ausging, wurden die Überlebenden in der Gesellschaft gemieden und bekamen wenig soziale und medizinische Unterstützung. Die Organisation hat sich dafür eingesetzt, dass den Opfern der Atombombenabwürfe geholfen wird. Sie vertritt rund 100.000 Menschen und kämpft bis heute für finanzielle und medizinische Unterstützung. Generell ist die Organisation in Japan sehr gut vertreten und bekannt. Ihre Mitglieder treten häufig als Zeitzeugen in den Medien auf und organisieren Gedenkstättenbesuche, zum Beispiel in Hiroshima.
Mit welchen Methoden erreicht die Organisation ihre Ziele?
Die Organisation Nihon Hidankyo setzt sich dezidiert für die Förderung des Weltfriedens als übergeordnetes Ziel ein. Sie nutzt Erinnerungs- und Bildungsarbeit, um als Mahnmal zu dienen und gleichzeitig für die Notwendigkeit eines friedlichen Miteinanders und friedlicher internationaler Beziehungen einzutreten. Erinnerungsarbeit weist darauf hin, welche Konsequenzen Gewalt und hier in dem Fall atomare Gewalt haben kann. Dieser Fokus auf die Vergangenheit kann und soll dazu führen, diese Art von Gewalt in der Zukunft zu vermeiden.
Was bedeutet der Preis für die Organisation?
Der Friedensnobelpreis ist eine der größten Anerkennungen, die eine Organisation für ihre Arbeit erhalten kann. Er hat auch das Ziel, Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen zu lenken. Insofern ist es der Organisation erfolgreich gelungen, durch den Erwerb des Preises das Thema Ächtung von Atombomben in das Zentrum der aktuellen Diskussion zu rücken. Wichtig ist bei der Organisation auch, dass es sich um eine zivilgesellschaftliche Organisation handelt. Der Friedensnobelpreis wird oftmals an staatliche Organisationen wie die Europäische Union vergeben. Hier wird also ganz deutlich die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen in einer Welt voller Konflikte gewürdigt.
Welches Signal sendet der Friedennobelpreis in einer Zeit, die von zahlreichen Konflikten geprägt ist?
Meiner Meinung nach hat das Komitee eine gute Entscheidung getroffen, den Preis nicht an Akteure aktueller Konflikte zu verleihen. Es wäre naheliegend gewesen, Individuen oder Organisationen aus der MENA-Region oder aus dem Umfeld des Ukraine-Konfliktes zu würdigen. Selenskyj wird zum Beispiel schon seit Jahren als potenzieller Preisträger gehandelt. Das Komitee hat sich klugerweise dagegen entscheiden und eine Organisation gewürdigt, die eine reelle Bedrohung in den Fokus setzt, nämlich die atomare Bedrohung, die sich aus den aktuellen Konflikten ergibt.
Was hat sich seit der Katastrophe von Hiroshima und Nagasaki getan?
Als Reaktion auf den Abwurf der Atombomben wurde mit dem Atomwaffensperrvertrag ein wichtiges internationales Abkommen zur Verbreitung von Atomwaffen geschlossen. Dieser trat 1970 in Kraft und umfasst fast alle Staaten der Welt. Der Atomwaffensperrvertrag unterscheidet zwischen nuklearen und nicht-nuklearen Staaten. Die Länder USA, Frankreich, China, Großbritannien und Russland sind die einzigen anerkannten Atommächte, die legitim über Atomwaffen verfügen. Zugleich verpflichten sich diese Länder in dem Vertrag auch zur Abrüstung. Alle nicht-nuklearen Staaten, die den Vertrag unterzeichnet haben, verpflichten sich damit, keine Atomwaffen zu entwickeln.
Welche Rolle spielen Atomwaffen heutzutage in den internationalen Beziehungen?
Vor allem durch den Angriffskrieg in der Ukraine und die Drohung Putins mit dem Einsatz von Atomwaffen sehen wir, dass die Bedrohung durch Atomwaffen in den letzten Jahren zugenommen hat. Nordkorea arbeitet schon lange an der Entwicklung von Atomwaffen und auch der Iran versucht schon länger, Atomwaffen herzustellen. Dies könnte in der MENA-Region neue Spannungen auslösen. Gleichzeitig wird das Tabu Atomwaffen einzusetzen, ein Grundsatz, der in den letzten Jahrzehnten seit dem Abwurf von Atomwaffen über Hiroshima und Nagasaki weitgehend anerkannt war, immer mehr in Frage gestellt.
Wie stehen Sie zu der Überlegung, die vorher im Raum stand, den Friedensnobelpreis aufgrund der zahlreichen Kriege und Krisen gar nicht zu vergeben?
Ich hätte es völlig verstehen können, wenn in der heutigen Welt voller Kriege der Preis nicht vergeben wird. Gleichzeitig ist die atomare Bedrohung eine reelle. Vor allem vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion über den gezielten Einsatz von taktischen Atomwaffen im Kontext der Ukraine und der Tatsache, dass die Verwendung von kleineren Atomwaffen die Hemmschwelle für einen Nukleareinsatz senken und das Risiko der Eskalation erhöht könnte, halte ich es aber für vertretbar, den Preis einer Organisation zu vergeben, die sich auf internationaler Ebene für die Ächtung von Atomwaffen einsetzt.
Prof. Dr. Susanne Buckley-Zistel ist seit 2012 geschäftsführende Direktorin des Zentrums für Konfliktforschung. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich der Transitional Justice und Erinnerungsforschung sowie der Postkolonialen Theorien. Zudem leitete sie ein Seminar, das sich intensiv mit dem Friedensnobelpreis und dessen Bedeutung für die Friedens- und Konfliktforschung auseinandersetzte.
(Lektoriert von jap.)
Studiert im ersten Master Semester Friedens- und Konfliktforschung & ist großer ZEIT Fan und hat Bock selber bisschen Journalismus beim Philipps Magazin auszuprobieren. Ansonsten liebt sie kommentiertes Trash TV (von Mirella oder Silvi), veggie Mortadella und Fussball spielen.