The twilight’s last gleaming: Marburger Professor*innen über die US-Wahl
Bild: Laura Schiller
Vergangene Woche wurde Donald Trump erneut zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Dieses Ergebnis hat – obwohl es aufgrund der Wahlprognosen nicht ganz überraschend war – einen großen Aufruhr in der Weltbevölkerung ausgelöst. Die Erinnerungen sind noch frisch an Trumps chaotische erste Amtszeit bis vor vier Jahren. Um einen Ausblick auf die internationalen Beziehungen insbesondere zwischen Deutschland und den USA zu werfen, haben wir drei Marburger Professor*innen gefragt, wie sie den Ausgang der Wahl und dessen mögliche Konsequenzen einschätzen.
Waren Sie überrascht von dem Ergebnis?
Bernd Hayo, Professor für Wirtschaftswissenschaften: Nein und ja. Zum einen haben die Umfrage ein knappes Rennen vorhergesagt und Donald Trump eine gute Siegchance eingeräumt. Dass er gewonnen hat, hat mich daher nicht überrascht. Zum anderen hat er aber sehr deutlich gewonnen, was von den Umfragen, die ich gesehen habe, so nicht vorhergesehen wurde.
Hubert Zimmermann, Professor für Politikwissenschaften: Eigentlich nicht, denn es war ja klar, dass es 50:50 war. Überraschend ist immer wieder, was das amerikanische Wahlsystem aus eigentlich kleinen Wählerwanderungen macht, nämlich eine massive Mehrheit für den Wahlsieger.
Carmen Birkle, Professorin für Amerikanistik: Ich war diesmal nicht ganz so überrascht wie vor acht Jahren, irgendwie hatte ich es schon befürchtet. Allerdings war ich extrem enttäuscht, konnte es nicht fassen, dass es ihm wieder gelungen war, sich über alles Rationale hinwegzusetzen und ohne Programm, aber mit sexistischen, rassistischen und beleidigenden Äußerungen das höchste Amt in den USA zu gewinnen.
Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie davon erfahren haben?
Hayo: Ein schlechter Tag für die USA und den Rest der Welt.
Zimmermann: Meine ersten Gedanken, als ich davon erfahren habe, sind nicht druckreif.
Birkle: Ich habe es am Morgen erfahren, als noch nicht alle Wahlbezirke ausgezählt waren, und hatte noch eine kleine Hoffnung, die sich dann aber sehr schnell zerschlagen hat. Vor acht Jahren hatte ich mir vor der Wahl ein T-Shirt gekauft mit der Aufschrift „Hillary for President“. Diesmal habe ich es nicht gemacht, aber leider hat auch das nichts genutzt.
Wie schätzen Sie die weitere wirtschaftspolitische Entwicklung der USA ein, insbesondere in Bezug auf internationale (Wirtschafts-)Beziehungen?
Hayo: Da kann man nur spekulieren. Im Hinblick auf die internationale Wirtschaft hat Donald Trump angekündigt, die US Wirtschaft durch hohe Zölle vor ausländischer Konkurrenz zu schützen und damit den Freihandel stark zu reduzieren. Das wird vermutlich vergleichbare Maßnahmen in den anderen wichtigen Handelsländern auslösen. Insbesondere für das handelsorientierte Deutschland sind das schlechte Nachrichten. Sollten die Zölle wirklich so umfassend und hoch eingeführt werden, dann würde ich erwarten, dass die damit verbundenen Erhöhungen der Güterpreise weltweit zu einem Wiedererstarken der Inflation führen. Ansonsten ist Donald Trumps Politik durch ein großes Ausmaß spontaner und erratischer Entscheidungen geprägt, was die weltweite politische Unsicherheit erhöhen wird.
Wie schätzen Sie die weitere politische Entwicklung der USA ein, insbesondere in Bezug auf internationale Beziehungen?
Zimmermann: Das Berechenbarste an Trump ist die Unberechenbarkeit, aber konsistent ist er sicher in seinem America First Ansatz, einer prinzipiellen Gegnerschaft gegenüber China, der Verachtung internationaler Institutionen und Regeln, insbesondere auch der EU, und einer nationalistischen Wirtschaftspolitik. Mit diesen großen Linien muss Deutschland umgehen und versuchen, die eigenen Interessen deutlich zu formulieren, auch gegenüber Trump.
Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung der USA ein, insbesondere in Bezug auf internationalen Austausch?
Birkle: Wie schon einmal in der Vergangenheit müssen wir uns auf rückwärtsgerichtete Ansichten und Methoden des Regierens einstellen. Rechte von vielen Gruppen werden eingeschränkt werden, wie schon vor Amtsantritt im Jahr 2022 die Abschaffung von Roe vs. Wade gezeigt hat. Leider schwappen die Entwicklungen in den USA in der Regel über den Atlantik und prägen schnell auch das Meinungsbild bei uns. Die AfD gratulierte dem neu gewählten Präsidenten innerhalb kürzester Zeit zu seiner Wahl, sogar bevor dieser selbst seinen Sieg verkündete, und kündigte an, dass seine Wahl für sie als ein Vorbild für die nächsten Bundestagswahlen in Deutschland diene. Gleichzeitig erreichen uns aber auch Bewegungen wie das südkoreanische 4B Movement, das in den USA nach der Wahl zunehmendes Interesse unter jungen Feministinnen gefunden hat als Antwort auf den Sexismus des Kandidaten, der in der Gruppe der jungen Männer über die ethnischen Grenzen hinweg erstaunliche Zustimmung gefunden hat.
Roe vs. Wade war ein Grundsatzverfahren des amerikanischen Obersten Gerichtshofes, das 1973 Frauen das Recht einräumte, selbst zu entscheiden, ob sie ihre Schwangerschaft abbrechen wollen. Davor war das gar nicht oder nur in absoluten Ausnahmefällen zulässig. Im Juni 2022 hieb die konservative Mehrheit des Obersten Gerichtshof das konstitutionelle Recht auf Abtreibung wieder auf.
Birkle: Was den akademischen Bereich betrifft, so befürchte ich, dass sich manche vom Land und vielleicht auch vom Studium der Amerikanistik abwenden, da sie enttäuscht sind, dass ein verurteilter Krimineller in das höchste politische Amt der USA gewählt werden konnte und damit auch enorme Macht in der Welt erhalten hat. Austauschprogramme werden finanziell weniger unterstützt werden, da auch an vielen Universitäten eine reaktionäre Atmosphäre herrscht (abhängig vom politischen Wind im jeweiligen Bundesstaat), die mit dieser Wahl sicherlich noch an Einfluss zunehmen wird. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) geht jedoch davon aus, dass die Austausch- und wissenschaftlichen Kooperationen mit den USA nicht nur bestehen bleiben, sondern auch weiter ausgebaut werden können. Das wäre sehr erfreulich. Mit Sicherheit wird das Interesse an den USA steigen, da viele Menschen einfach verstehen wollen, wie die USA in diese Situation gekommen sind.
Was können wir aus der US-Wahl lernen?
Hayo: Auch in wohlhabenden Demokratien lassen sich Wähler durch Lug, Betrug und Hassrede gewinnen. Meiner Meinung nach tun die gemäßigten Politiker Gut daran, transparent und ehrlich ihre politischen Positionen zu kommunizieren. Unbequeme Themen sollten offen diskutiert und nicht verdrängt werden. Damit verliert man vielleicht manchmal eine Wahl, aber man hält zumindest die Idee der Demokratie aufrecht.
Man sollte auch nicht so tun, als ob die Wirtschaftspolitik in allen Bereichen einen großen Einfluss habe. Das bedeutet, die Politiker sollten es nicht immer als eigene Leistung reklamieren, wenn es mal wirtschaftlich gut gelaufen ist. Denn dann denken die Wähler, dass die Wirtschaftspolitiker tatsächlich einen großen Einfluss haben und kreiden es ihnen konsequenterweise negativ an, wenn es dann mal schlecht gelaufen ist. Anscheinend hat die jüngste Inflationserfahrung die Wirtschaftspolitik der Biden-Regierung diskreditiert, obwohl diese nur einen begrenzten Einfluss auf die Inflation hatte. In erster Linie ist die Zentralbank für Preisstabilität verantwortlich und diese ist auch in den USA weitgehend von der Regierung unabhängig.
Zimmermann: Wie schnell gesellschaftliche Polarisierung und der Clash unterschiedlicher Identitätspolitiken zu einer fundamentalen Gefährdung für die Demokratie werden kann. Ein knapper Wahlausgang für Harris hätte schlimme Folgen haben können, wenn Trump, wie angekündigt, das Ergebnis nicht anerkannt hätte. Trumps Pläne zum Umbau des Deep State und andere verschwörungstheoretische Konstruktionen, die über soziale Medien massiv gestärkt werden, können leicht zu einer Aushöhlung der demokratischen Institutionen führen.
Wenn es keine Bereitschaft mehr gibt, sich auf andere Standpunkte einzulassen (to put yourself in the other guy’s shoes) und eigene Standpunkte verabsolutiert werden, dann kann das Funktionieren von demokratischen Systemen schnell scheitern.
Als Deep State bezeichnet man ein geheimes Netzwerk an politischen Machtstrukturen, das im Untergrund operiert und Einfluss auf die Regierung eines Staates nimmt. Trump und seine Anhänger benutzen das Deep State-Argument als Verschwörungstheorie, um Kritiker zu delegitimieren, da sie aus der “Elite” des Deep State heraus versuchen würden, seine Regierung und sein Streben nach der Macht zu behindern.
Birkle: Eine ganze Menge. Politisch ist es wichtig, Populismus entgegenzutreten, nicht im Sinne von Abwertung, sondern im Sinne eines Ernstnehmens, um zu verstehen, was viele Menschen antreibt, um dann wiederum diesen Gefühlen produktiv begegnen zu können. In einem Land mit vielen unterschiedlichen ethnischen Gruppen müssen die Sorgen aller Gruppen beachtet werden; man muss eine Sprache finden, mit der man mit allen Menschen sprechen kann, alle Sorgen hören kann, um entsprechend zu agieren, auch mit Hilfe der sozialen Medien. In Kindergärten, Schulen und Universitäten muss ein Verständnis für Vielfalt und Akzeptanz von Diversität in die Erziehung und den Unterricht einfließen. Junge Menschen sollten konstruktives kritisches Denken als einen wichtigen Teil ihrer Ausbildung erfahren. Arbeit an der Bedeutung und dem Einfluss von Sprache ist ebenso wichtig wie das sogenannte Storytelling, mit dem Menschen ihre eigenen Erfahrungen zum Ausdruck bringen können.
Als Amerikanistin und Literatur- und Kulturwissenschaftlerin ist es mir besonders wichtig, die Relevanz von literarischen Texten und kulturellen Praktiken (wie z.B. Medien, Musik, Performances) zu betonen, die es uns ermöglichen, in die Welt der USA einzutauchen und die Situation, historische Entwicklung und kulturelle Eingebundenheit von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Ethnizität, Geschlecht, Religion und anderer Differenzkategorien kennenzulernen. Die Vergangenheit erzählt viele Geschichten, die die Gegenwart erklären und uns in die Zukunft schauen lassen. Diese interkulturellen Erkenntnisse wiederum können zumindest zum Teil auch auf die zunehmende Diversität in Deutschland übertragen werden. Nicht zuletzt sollte der Bildungssektor in diesem Sinne ausgebaut und stärker finanziert werden.
Prof. Dr. Bernd Hayo ist seit 2010 Professor für Makroökonomie an der Uni Marburg. Seit 2022 ist er zudem Prodekan am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften. Zu seinen Forschungsgebieten zählen unter anderem Politische Ökonomie und Sozioökonomie.
Prof. Dr. Hubert Zimmermann lehrt am Institut für Politikwissenschaft und befasst sich mit dem Fachgebiet Internationale Beziehungen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen unter anderem die Außenbeziehungen der Europäischen Union, die transatlantischen Beziehungen und die internationale Politik der USA. Auch zu den amerikanischen Präsidentschaftswahlen hat sein Lehrstuhl bereits Veranstaltungen angeboten.
Prof. Dr. Carmen Birkle ist Professorin am Institut für Anglistik und Amerikanistik und leitet dort unter anderem den Masterstudiengang North American Studies, der sich mit nordamerikanischer Literatur und Kultur befasst. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören unter anderem Gender und Frauen in der US-amerikanischen Literatur- und Kulturwissenschaft sowie African American History.
(Lektoriert von let.)
ist 2000 nahe Zürich geboren. Studiert Literaturvermittlung in den Medien.
War zwei Jahre lang bei PHILIPP aktiv und von April 2023 bis November 2024 Chefredakteurin. Hat am liebsten Protokolle und FSK-Berichte geschrieben.
ist 24 Jahre alt und studiert Literaturvermittlung in den Medien, sieht sich selbst aber immernoch als Anglistin. Sie weiß nichts über vieles, aber alles über Jane Austen. Seit November 2024 in der Chefredaktion tätig.