Theater zwischen Traum und Trauma: „Quälbarer Leib – Ein Körpergesang / Bildbeschreibung“

Theater zwischen Traum und Trauma: „Quälbarer Leib – Ein Körpergesang / Bildbeschreibung“

Foto: Jan Bosch, Collage: Laura Schiller

Wie ein zynischer, fiebriger Sommernachtstraum entfaltet sich Amir Gudarzis Stück als poetisch-fragmentarische Collage, die die Mechanismen europäischer Abschottungspolitik mit den Nachwirkungen globaler Ideologien verknüpft. Die Inszenierung entwickelt eine dichte, visuell eindrucksvolle Versuchsanordnung, in der Mythen und Realpolitik, Traum und Trauma sowie Vergangenheit und bedrückende Gegenwart aufeinandertreffen.

Bereits der Einstieg ins Stück setzt ein starkes Zeichen. Die Zuschauer*innen werden unweigerlich in eine Welt gezogen, die zwischen Mythos und grausamer Realität oszilliert: „Wo ist unser gequälter Leib, unsere Landschaft jenseits des Todes?“ Die Bilder, die sich auf der Bühne entfalten, sind von surrealer Kraft. Der Boden als Spiegel der Zerstörung, das Schaf als Symbol eines Opfersystems und der Metalltisch als kühles Operationsinstrument gesellschaftlicher Gewalt – die Inszenierung von Eva Lange nutzt eindringliche Symbole, um die thematische Tiefe des Textes erfahrbar zu machen.

Das Ensemble, bestehend aus Saskia Boden-Dilling, Sven Brormann, Andreas Hammer, Bibiana Malay und Cedric Ziouech, erweist sich als wahre Offenbarung. Mit beeindruckender Intensität verleihen die Schauspieler*innen den gequälten Körpern eine Stimme. Die Körperlichkeit des Spiels, die durch choreografierte Bewegungen und eindrucksvolle Mimik betont wird, verstärkt die emotionale Wucht des Stücks. Besonders hervorzuheben ist die Vielseitigkeit der Darsteller*innen, die in wechselnden Rollen die menschliche Zerbrechlichkeit und Widerstandskraft zugleich verkörpern.

Auch die Verbindung zu Heiner Müllers „Bildbeschreibung“ gelingt auf beeindruckende Weise. Die sprachlichen Verdichtungen, die Dramaturgin Petra Thöring als „Rotation“ beschreibt, erzeugen eine hypnotische Wirkung. Die Aufforderung, sich nicht zwingend einem logischen Verständnis hinzugeben, sondern sich der poetischen Kraft des Textes auszusetzen, zahlt sich aus – die Zuschauer*innen driften ab, verlieren sich in Worten, um dann wieder in die unbarmherzige Realität zurückzukehren.

Das Bühnenbild von Carolin Mittler unterstreicht diesen Effekt: Ein Diorama, das die Spieler*innen umschließt, eine in sich geschlossene Welt, die weder Flucht noch Rettung zulässt. Die Entscheidung, die Farbigkeit auf Schwarz und Weiß zu reduzieren, hebt die Zeichenhaftigkeit der Szenen hervor. Die Kostüme – kurze Hosen, Faltenröcke, graue Perücken – erzeugen eine faszinierende Ambivalenz zwischen Kindlichkeit und Vergreisung, zwischen Unschuld und Schuld.

„Quälbarer Leib – Ein Körpergesang / Bildbeschreibung“ ist kein leicht konsumierbares Theater, sondern eine herausfordernde Reflexion über Körper, Grenzen und Gewalt. Es gelingt dem Stück, in einer vielschichtigen Montage verschiedene Zeitebenen und Narrative miteinander zu verweben und dabei die Zuschauer*innen mit einem Gefühl der Beklemmung und des Staunens zurückzulassen. Ein eindrucksvoller Theaterabend, der lange nachhallt.

Das Stück feierte seine Premiere am 1. Februar 2025 im Hessischen Landestheater Marburg. Weitere Vorstellungen sind für den 2. und 7. März 2025 um 19:30 Uhr geplant.

(Lektoriert von jub und nag.)

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