Blickwechsel im Dazwischen

Blickwechsel im Dazwischen

Foto: Jan Bosch, Collage: Laura Schiller

Ein wummernder Bass, zuckende Körper im Licht, ein Schild leuchtet: „We are open.“ In diesen ersten Momenten vom HLTM-Stück Cruising Times-Streifzüge durch Begehren, Bars und Barrikaden entsteht ein klares Versprechen – ein Raum der Begegnung, des Widerstands und der gelebten Körperlichkeit. Was auf der Bühne folgt, ist ein Versuch, politische Poesie, queere Körperpraktiken und aktivistischen Impetus in ein choreografisches Format zu überführen. Ein Versuch, der sowohl kraftvolle Momente hervorbringt als auch an seiner eigenen Ambition zu scheitern droht.

Die fünf Performer*innen – AdeleEmil Behrenbeck, Saskia Boden-Dilling, Magdalena Hanetseder, Tobias Neumann und Faris Saleh – formen ein bewegtes Kollektiv, das von der Idee der chosen family getragen wird. Die Inszenierung entwickelt sich als dynamischer Fluss aus Tanz, gesprochenem Wort, Gruppenritualen und intimen Momenten. Doch wo am Anfang beim Publikum noch Neugierde und Energie vorherrschen, stellt sich mit fortschreitender Dauer eine gewisse Erschöpfung ein. Das Stück wird zunehmend von einem Übermaß an chorischen Wiederholungen und kryptischen Textpassagen dominiert, die sich in ihrer performativen Form oft selbst im Weg stehen.

Es ist zweifellos ein politisches Stück. Doch die politische Botschaft wird mit einer derartigen Penetranz vermittelt, dass sich selbst wohlwollende Zuschauer*innenbelehrt und nicht eingeladen fühlen. Die Texte von nin* schulz changieren zwischen Protestpoesie und lyrischem Manifest, doch der Wechsel ins Chorische – etwa das ständige Wiederholen derselben Zeilen im Kollektiv – wirkt bald nicht mehr wie performativer Widerstand, sondern wie ein zähes Mantra. Die Dialogführung verliert sich im Fragmentarischen, bleibt oft auf halber Strecke stecken – weder klar lesbar noch vollständig entrückt. Die Idee der Mehrschichtigkeit wird konzeptuell stark getragen, in der Umsetzung scheint sie jedoch manchmal zu diffus.

Trotz der dramaturgischen Schwächen ist es das Ensemble, das Cruising Times über lange Strecken trägt – nicht zuletzt durch Präsenz, darstellerische Tiefe und individuelle Ausdrucksstärke. Faris Saleh begeistert mit einer akkuraten und energiegeladenen Bühnenpräsenz. Jede Bewegung ist durchdrungen von Haltung – er tanzt nicht nur, er verkörpert das Anliegen des Stücks mit Hingabe. Mit einer Mimik, die bis in die letzten Reihen reicht, beeindruckt Saskia Boden-Dilling. Ihre Gesichtsausdrücke sprechen Bände: Sie bringt Emotionen auf eine so eindringliche Weise zum Ausdruck, dass man sie förmlich spüren kann. Wo Worte fehlen oder versanden, erzählt ihr Gesicht weiter. Frischer Wind zieht durchs Spiel, überraschend, impulsiv, manchmal fast unberechenbar wirkt die Darbietung – eine willkommene Auflockerung inmitten der inszenatorischen Dichte. Mit authentischer Bühnenpräsenz und intuitiver, zugleich präziser Ausdruckskraft bringt Magdalena Hanetseder eine Lebendigkeit ein, die nicht auf Effekt, sondern auf Wahrhaftigkeit zielt.

Und dann ist da AdeleEmil Behrenbeck – ein vertrautes Gesicht auf dieser Bühne, das sich anfühlt wie Zuhause. Behrenbecks Performance ist kraftvoll, energisch und direkt – eine sinnliche Wachheit, die sich nicht in leisen Tönen verliert, sondern mit voller Stimme und Ausdruckskraft Raum schafft. Behrenbeck ist wie ein Fels in der Brandung: standhaft, loyal, verlässlich. Wo andere flirrend zwischen Rollen und Stimmungen changieren, hält Behrenbeck die Szene zusammen, verleiht ihr Richtung und Stabilität. Die beeindruckende Bühnenautorität verleiht dem Stück Halt – eine Stimme, die nicht übertönt, aber sich nie verliert. Behrenbecks Energie wirkt nie aufgesetzt, sondern durchdrungen von echtem Ausdruckswillen. Diese Vertrautheit ist kein Zufall: Wer Behrenbeck bereits in früheren Rollen erlebt hat – etwa in Woyzeck – weiß, mit welcher Klarheit und Intensität Behrenbeck Figuren zum Leben erwecken. Auch in Cruising Times gelingt es dem*der Schauspieler*in, dem abstrakten Konzept eine lebendige, kraftvolle Dimension zu verleihen.

Tobias Neumann wiederum überzeugt mit feinsinnigem Humor und körperlicher Komik. Seine physische Emanation ist leichtfüßig und durchdacht, sein Witz subtil, nie plump. Er balanciert gekonnt zwischen Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit.

Ein großes Lob gebührt der Kostümbildnerin Cansu Insecu. Die mehrlagigen, an Hakama-Hosen angelehnten Kostüme eröffnen Assoziationsräume, lassen Wandelbarkeit und Vielfalt physisch werden. Die farbliche Gestaltung – inspiriert von Pride-Flaggen – unterstreicht die emotionale und politische Tiefe der Thematik, ohne plakativ zu wirken, während die Bühne, gestaltet von Jörn Fröhlich, angenehm zurückhaltend bleibt und dem Körper als erzählendem Medium Raum zur Entfaltung lässt. Musik und Licht arbeiten atmosphärisch, ohne sich aufzudrängen. Inszenatorisch dominiert das somatische Prinzip von Sophia Guttenhöfer – ein Arbeiten vom Körper aus, ein Raum der Körperlichkeit, der sich gegen lineare Narrative stellt. Diese Methode erzeugt sinnliche Momente, kann jedoch auch zu einer gewissen Hermetik führen.

Cruising Times möchte viel – vielleicht zu viel. Das Stück will aufklären, empowern, verstören, verbinden und dekonstruieren. Doch manchmal wirkt es dabei eher wie ein didaktisches Seminar als eine künstlerische Reflexion. Der Wunsch, gegen herrschende Normen zu sprechen, ist nachvollziehbar, doch der erhobene Zeigefinger macht auch vor jenen nicht Halt, die sich längst mit diesen Themen auseinandergesetzt haben. Die politische Dringlichkeit wird zu einer erschöpfenden Dauererklärung.

Es fehlt nicht an Inhalten, sondern an dramaturgischer Luft zum Atmen. Die Dialoge sind fragmentarisch, die Erzählstruktur oft zu dicht und zu wenig rhythmisiert. Die Wiederholungen wirken nicht als Verstärkung, sondern ermüden – die Botschaft wird dadurch nicht klarer, sondern verliert an Intensität.

Cruising Times ist ein mutiger, intensiver Abend – getragen von großartigen Darsteller*innen, einem ambitionierten ästhetischen Konzept und einer starken politischen Haltung. Doch genau diese Haltung überfrachtet sich selbst. Die Inszenierung verliert sich zwischen Performancekunst, Protest und Poesie. Es bleibt der Eindruck eines Raums mit vielen Stimmen, aber wenig Dialog. Eine offene Tür, bei der man nicht recht weiß, ob man eintreten oder einfach weiterziehen soll.

Doch vielleicht liegt gerade darin ein Teil der Wahrheit des Stücks: Widerstand ist widersprüchlich, Liebe ist anstrengend, und kollektive Bewegung ist nie elegant. Vielleicht darf Theater auch mal unbequem sein. Nur, etwas mehr Klarheit und weniger kryptisches Durcheinander wären wohltuend gewesen – sowohl für den Kopf als auch für das Herz.

(Lektoriert von jub und lurs.)

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