Sneak-Review #182: Coma

Sneak-Review #182: Coma

„Coma“ von Nikita Argunov kommt als bombastische Effektschau mit Blick in Richtung Inception daher. Aber hat die dieswöchige Sneak aus Russland noch mehr zu bieten?

Handlung

Ein ambitionierter, aber erfolgloser Architekt (Rinal Mukhametov) findet sich ohne nennenswerte Erinnerung an sein bisheriges Leben in einer surrealen Welt wieder, die von denen bevölkert wird, die in unserer Welt im Koma liegen. Sie besteht fast ausschließlich aus Erinnerungen ihrer Bevölkerung an Orte und Menschen, die lose und halbfertig aneinanderhängen und den physikalischen Gesetzen trotzen. Solche Menschen, deren Leben über ein gewißes Maß heraus künstlich verlängert wird, terrorisieren diese Welt als „Reaper“. Der Architekt schließt sich einer Gruppe Überlebender an, entdeckt seine Superkräfte als Architekt, verliebt sich und versucht, das Geheimnis hinter der Komawelt aufzudecken.

Beeindruckende Künstlichkeit

Regisseur Nikita Argunov war in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten vor allem für Computereffekte in überwiegend russischen Filmproduktionen verantwortlich. Coma ist sein Regiedebut, er schrieb auch das Drehbuch. Der Fokus auf visuelle Effekte ist dem Film deutlich anzusehen. In den meisten Einstellungen sehen wir die zerstückelte Komawelt, die stark an Inception und manche Bilderwelten M. C. Eschers erinnert. Diese Effekte waren es, die vor inzwischen fast vier Jahren einen kleinen Hype auf den Film ausgelöst haben, als der erste Trailer erschien. Den Bildern ist der Aufwand anzusehen, wenngleich sie nie perfekt wirken und immer ein starkes Gefühl von Künstlichkeit erzeugen. Doch genau das macht Coma zu seinem Thema.

Illusion und Realität

Die Komawelt und ihre Bevölkerung gleicht einer Postapokalpyse und kommt daher wie eine Mischung aus Mad Max, den Resident-Evil-Filmen und den Metro-Spielen. Die Reaper, die Schießeinlagen, die Missionen der Protagonisten und das Springen zwischen den verschiedenen Teilen der Komawelt rufen allesamt die Idee von Videospielen auf. Je weiter der Film voranschreitet, desto stärker wird die Komawelt als eine nicht-wirkliche erkannt und angesprochen. In der Komawelt wird uns unsere eigene als eine Kosmopolitische (Big Ben, Buddha und die Freiheitsstatue ragen einander entgegen) gezeigt, in der keine verlässliche Orientierung möglich ist. In einer Szene etwa erkennt eine Figur die russische Flagge nicht mehr. Die Bitte eines Charakters, man solle doch realistisch bleiben, wirkt hier lächerlich.

Es gibt (k)einen Ausweg

Ohne Erinnerung in einer Illusion zu leben birgt für die Protagonisten die Möglichkeit, sich neue Identitäten und Leben zu schaffen. Mit dem Architekten tritt eine Figur mit utopischen Plänen und der Fähigkeit, diese real werden zu lassen, in diese Welt und mit seiner Hilfe soll eine sichere Insel entstehen, die diesen neuen Lebensentwürfen einen Ort geben soll. Damit tritt er in Konkurrenz zu den autoritären Charakteren im Film. Als er jedoch erkennt, in welcher Beziehung die Koma- und unsere Welt stehen und wer in ihnen wovon profitiert, wird er mit zahlreichen Widersprüchen konfrontiert. Die Frage nach der Bedeutung und dem Nutzen von Illusionen wird in Coma weitaus subtiler und konsequenter als in Matrix gestellt, da hier nicht einfach eine „echte, natürliche“ Realität als Utopie angeboten wird. Eine Sekte in Coma wirbt mit dem Spruch „Es gibt einen Ausweg!“. Nach Ende des Films kann man diesen Satz weder entschieden bejahen noch verneinen. Der Weg dahin ist gespickt mit einigen Verweisen auf etwa Thomas Morus oder die Kunst als Wegbereiterin des Faschismus.

Wermutstropfen

Was an Coma enttäuscht, sind vor allem die Figuren und Teile der Handlung. Die zusammengewürfelte Postapokalpyse-Truppe (u. a. Lyubov Aksyonova, Aleksey Serebryakov, Anton Pampushnyy) könnte klischeehafter nicht sein und kämpft sich reichlich cool, aber nichtssagend durch die Komawelt. Sympathie und Interesse bringt man höchstens für den Pro- und den Antagonisten auf. Auch die innerfilmischen Regeln der Komawelt sind reichlich wirr und oft nichtssagend. Die teilweise beeindruckenden und frischen visuellen Effekte und die philosophische und politische Konsequenz und Ambivalenz aber heben das wieder auf. Coma hat einiges zu sagen über Illusionen, nationalstaatlichen Protektionismus, utilitarisische Ideologie und utopisches Denken.

„Coma“ startet am 06. Februar 2020 in ausgewählten deutschen Kinos.

FOTO: Capelight Pictures GbR & Koch Films

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