Sneak #258: Home Sweet Home
Bild: N. George
Mit Home Sweet Home von Thomas Sieben wagt sich mal wieder ein deutscher Horrorfilm in die Kinos. Trotz spannender atmosphärischer Ausgangslage und überzeugender Inszenierung, verschenkt das schwache Drehbuch leider zu viel Potenzial. Am 12. Januar lief der Film in der Sneak des guten Geschmacks.
Maria (Nilam Farooq) ist überglücklich. Endlich können sie und ihr Mann Viktor (David Kross) das abgelegene Landhaus von Viktors Vater Wilhelm (Justus von Dohnányi) beziehen. Sie wollen daraus in Zukunft ein ‘Bed and Breakfast’ herrichten. Da Viktor einen wichtigen Termin in seiner Kanzlei hat, fährt die hochschwangere Maria eines frühen Abends allein zur Besichtigung. Über Videochat lässt sie Viktor an ihren Eindrücken über das neue Domizil teilhaben, während es langsam anfängt zu dämmern. Dabei lernt sie auch Nachbar Mike (Anton „Fatoni“ Schneider) kennen, der einen eher unheimlichen Anschein hinterlässt. Als sie erkundend die Räume des Hauses durchschreitet, geht plötzlich das Licht aus. Die Sicherung ist wohl durchgebrannt. Sie kontaktiert ihren Schwiegervater, der ihr anleitend den Weg in den Keller zum Sicherungskasten erklärt. Noch ahnt Maria nicht, dass ihr Gang in den Keller das neue Traumhaus in einen absoluten Albtraum verwandeln wird, denn dort verbirgt sich ein dunkles Familiengeheimnis.
Schön aussehende Langeweile
Regisseur Thomas Sieben, der auch das Drehbuch verfasst hat, bleibt auch mit Home Sweet Home nach Filmen wie Staudamm, Kidnapping Stella oder der Netflix-Produktion Prey dem deutschen Genrekino treu. Diesmal wagt er sich zusätzlich daran, Home Sweet Home als One Shot – also als Film ohne erkennbaren Schnitt – in vermeintlicher Echtzeit zu inszenieren. Obwohl vor allem in den letzten zehn Jahren Filme wie 1917 oder Victoria die Messlatte für diese Art der Inszenierung mit extrem aufwendigen Produktionen sehr hoch gelegt haben, kann Home Sweet Home durch die bewusste Reduzierung dieses Stilmittels punkten. Die Kamera bleibt stets bei Protagonistin Maria und endeckt mit ihr Raum für Raum das Haus, in dem der Großteil der Handlung spielt. Als stille Miterkundende sind die Zuschauer*innen somit gezwungen, mit Maria um jede noch so unheimlich wirkende Ecke zu gehen, jeden noch so unbeleuchteten Raum zu betreten. Diese fesselnde Zusammenarbeit aus Regie und Daniel Gottschalks Kameraarbeit wird jedoch leider durch eine ärgerliche Entscheidung von Thomas Sieben untergraben: Viel zu früh wird durch Unterschiede in der Perspektive der Kamera und dem Blickwinkel von Protagonistin Maria das erhoffte Rätsel um die Bedrohung des Hauses gelüftet. Dadurch ergibt sich schnell eine unnötige Langeweile, da Maria noch lange im wortwörtlichen Dunkeln tappt, um zu erkennen, was für die unheimlichen Geräusche sorgt, während wir als Zuschauer*innen ihr schon gerne eine halbe Stunde früher die Lösung entgegen gebrüllt hätten. Der wahrscheinlich angestrebte Effekt, dass dadurch der Blick vor allem auf die schauspielerische Leistung von Nilam Farooq fällt, ist auch eher nicht geglückt. Farooq liefert zwar eine okaye Leistung ab und zeigt ihr Talent als Scream-Queen, bietet aber im Angesicht des Horrors bei weitem keine überzeugende Darstellung wie es z.B. Toni Collette rein durch ihre Mimik in Hereditary zu schaffen vermochte. Deshalb irritiert nach einer gewissen Zeit das In-den-Vordergrund-setzen von Farooqs überraschungsarmen Spiel.
Hinzu kommt der Umstand, dass sie eine hochschwangere Frau spielt, was zwar einen erzählerischen Nutzen hat, aber nie auch nur annähernd in die Reichweite der Unerträglichkeit eines Inside kommt, der mit seiner schwangeren Protagonistin eine überwältigend fiese Spannung und Verletzlichkeit der Hauptfigur zu erzeugen weiß. Auch A Quiet Place schafft es, deutlich effektiver Schwangerschaft als Spannungselement zu nutzen, wenngleich Home Sweet Home in einer Szene eine gewisse Reminiszenz an John Krasinskis Horrorfilm erzeugt. Ansonsten bleibt von den Leistungen der wenigen Darsteller*innen nur Justus von Dohnányis Figur Wilhelm wirklich hängen, der seine Rolle dankenswerterweise recht ruhig und kalkuliert anlegt, obwohl er sich auch hier leicht ins Overacting verrennen hätte können. David Kross wirkt merkwürdig teilnahmslos, wobei er zugegebenermaßen die meiste Zeit nur über einen Handybildschirm im Videochat zu sehen ist. Der kurze Auftritt von Anton Schneider – den meisten eher als Rapper Fatoni bekannt – erscheint merkwürdig irrelevant und somit auch wenig erinnerungswürdig.
Wenig Hui, viel Buh
Eine nennenswerte Stärke von Home Sweet Home ist die atmosphärisch dichte Stimmung, die direkt zu Beginn aufgebaut und zumindest über die erste Hälfte des Filmes gehalten wird. Das Erkunden des Hauses in dämmeriger Abendstimmung, während die Beziehung von Maria zu den einzelnen Figuren über Videotelefonate etabliert wird, geschieht angenehm entschleunigt. Vielleicht wäre es von Vorteil gewesen, wenn der Film noch stärker diesen Aspekt in den Fokus gerückt hätte, ähnlich wie The Descent. Dieser gibt sich über die Hälfte des Films gar nicht als Horrorfilm zu erkennen und nutzt die Zeit, um starke, dreidimensionale Figuren zu etablieren und Beziehungsgeflechte aufzubauen. In Home Sweet Home wurden zwischendrin jedoch zu viele Sequenzen gesetzt, die auf furchtbar vorhersehbare Jump-Scares hinauslaufen – egal ob für Horrornovizen oder Blumhouse-Jünger, überrascht wird hier niemand. Das stört den erzählerischen Aufbau für billige Schockmomente, die keinerlei Mehrwert liefern.
Störend ist dabei auch ein Soundtrack, der teilweise lächerlich klischeebehaftet versucht, Spannung aufzubauen und oftmals dadurch fast schon parodistische Züge annimmt. Worauf sich der schon aus weiter Ferne erkennbare Plottwist bezieht, ist zwar thematisch noch recht unverbraucht und auch die Beschäftigung mit Generationenschuld deutet kurzzeitig begrüßenswerte Tiefe an, doch bleibt Home Sweet Home oberflächlich und die Enthüllung ein reines Vehikel, um halbwegs glaubwürdig eine gewisse Motivation in den Taten einiger Figuren zu liefern. Nachdem ein Film wie Barbarian im letzten Jahr zeigte, wie elegant und subtil thematische Ebenen zusätzlich zu Plottwists in einer ungefähr ähnlichen Handlung eingebaut werden können, wirkt Home Sweet Home im Jahr 2024 erzählerisch leider sehr altbacken.
42% der Sneak-Zuschauer*innen fühlten sich wie zuhause und gaben Home Sweet Home eine positive Bewertung, während 58% dem Film die Haustür vor der Nase zuschlagen würden und negativ abstimmten.
Seit November 2023 bei PHILIPP am Start. Studiert Literaturvermittlung in den Medien. Ist gut darin, schweigend auf Bildschirme jeglicher Größe zu starren. Hält sich durch übermäßigen Matekonsum bei Bewusstsein.