Endgegner*in: Plastikweihnachtsmänner und andere Geschmacklosigkeiten

Endgegner*in: Plastikweihnachtsmänner und andere Geschmacklosigkeiten

Wenn dir das Leben Zitronen gibt, gibt dir die wacklige Internetverbindung oder die Drehtür in der Bib vielleicht noch den Rest – in dieser Reihe schreiben wir über die Endgegner*innen des Unialltags, also Dinge, die Studis an den Rand der Verzweiflung bringen.

Das Glück hat einen Namen, in Spanien heißt es „la felicidad“. In Kleinbürgertums-Marburg dagegen ist es wohl eher so etwas wie „Der Nachbarschaft zeigen, dass man es sich leisten kann“. Ist es im Sommer mittlerweile der Rasenmäherroboter, der dieses Glück zum Ausdruck bringt, so ist es im Winter traditionell die Weihnachtsdeko in, an und um das Eigenheim, die ausdrückt: Sehet meine Werke und staunet. 

Erstaunenswert ist vor allem, dass Hausbesitzende in Kauf nehmen, Menschen wie mich mit dieser Art von quietschvergnügtem Pomp in wenig weihnachtliche Stimmung zu versetzen. Der vorweihnachtliche Marathon an Dingen, die noch zu erledigen, zu beschaffen, zu verschicken oder zu beenden sind, wirkt sich schon nicht positiv auf das persönliche Stimmungsbild aus. Dazu kommen Weihnachtsfeiern, die sich überhaupt nicht wie alkoholgetränkte Zeitverschwendungen anfühlen, sich nähernde Deadlines von Unikram, die überhaupt gar keine Panik auslösen, und bevorstehende Verwandtschaftsbesuche in der Heimat, für die man natürlich total gerne die angeblich geruhsamste Zeit des Jahres opfert. Ein drei Meter großes Rentier aus 7000 Energiesparlampen im Vorgarten, ein lachender Plastikweihnachtsmann auf dem Dach und eine Strobobeleuchtung, die Berliner Großraumdiscos alt aussehen lässt, tragen als Mahnmale der verhöhnend guten Laune definitiv nicht dazu bei, mich diesen Stress vergessen zu lassen. Eher werfen sie zusätzliche Holzscheite in meinen gedanklichen Ofen des unverarbeiteten Stresses. 

Dabei würde ich noch nicht mal von mir behaupten, dass ich sämtliche Weihnachtsdekoration verachte. Es soll sich eben einfach in einem gewissen Rahmen bewegen, am besten in den jeweils eigenen vier Wänden, wo niemand unfreiwillig von diesen exhibitionistischen Geschmacklosigkeiten belästigt wird. Dennoch wird ein lichttechnischer Kollateralschaden verursacht, der wahrscheinlich auch von der ISS aus erkennbar ist. Jingle all the way in Reinkultur. Da ich aber nicht möchte, dass mir ein grünes Fell wächst und ich auch keine Idee habe, wo und von wem ich Weihnachten stehlen sollte, ist es an der Zeit, meine Einstellung zu ändern. Ich sehe es mittlerweile als Ausdruck von Nächstenliebe. 

So wie der Heiland die Sünden aller Menschen auf sich nahm, so nimmt die geschmacklose Fassadendekoration meinen stressgeborenen Hass und meine Verachtung auf sich. Der lächelnde Plastikweihnachtsmann ist mein Ventil für den gedanklichen Mittelfinger geworden, den ich in dieser Zeit gerne vielen Menschen präsentieren würde. In seiner starren Fröhlichkeit liegt nicht etwa Hohn, sondern Freude. Freude, meinen seelischen Ballast auf sich nehmen zu können. Mir die Zeit ein wenig erträglicher zu machen. „Fick dich, Santa. Ich hoffe, dein Schlitten zerschellt an einem Bergmassiv“ – ah, das tat gut. Und Santa lächelt. Ich fühle mich verstanden, geradezu geborgen. Ich fühle mich weihnachtlich. Feliz Navidad!

(Lektoriert von hab, bjr, jok und let.)

Seit November 2023 bei PHILIPP am Start. Studiert Literaturvermittlung in den Medien. Ist gut darin, schweigend auf Bildschirme jeglicher Größe zu starren. Hält sich durch übermäßigen Matekonsum bei Bewusstsein.

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