Holy Moly! „Stolz und Vorurteil* (*oder so)“ begeistert auf der Schlossparkbühne

Holy Moly! „Stolz und Vorurteil* (*oder so)“ begeistert auf der Schlossparkbühne

Foto: Jan Bosch; Collage: Laura Schiller

Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass das letzte Stück der HLTM-Spielsaison auf der Open-Air-Bühne im Schlosspark stattfindet. Üblicherweise darf man dabei auch mit einem Spektakel rechnen. Dieses Jahr hat sich das Hessische Landestheater den Literaturklassiker Stolz und Vorurteil vorgenommen – allerdings in einer überarbeiteten und modernisierten Version von Isobel McArthur. Das angehängte „*oder so“ mag dabei zunächst abschrecken, bringt aber letztendlich frischen Wind und viel Spaß in das Werk der englischen Autorin Jane Austen. 

Love is in the air! Voller Aufregung flitzen die fünf Dienstmädchen Flo, Tillie, Clara, Effie und Anne über die große Bühne, ziehen lange Kleider hinter sich her, binden sich hastig ihre Schürzen um. Eilig bereiten sie alles für ihre Herrschaften vor, die in einer englischen Regency-Gesellschaft, die „von Stadtball zu Stadtball“ existiert, leben. Vom Liebesglück bleiben die Dienstmädchen jedoch ignoriert: Sie finden keine Erwähnung in der Geschichte und können deshalb auch nie ein happy end erlangen. Einige der Dienstmädchen sehen das pragmatisch – „Niemand kann eine stürmische Romanze führen ohne saubere Bettwäsche, gern geschehen“. Andere leiden sehr unter diesem Schicksal: Effie schmeißt sich deswegen laut lamentierend auf den Boden. Schon in der ersten Szene wird deutlich, dass dieses Stück nichts von der vermeintlichen(!) Steifheit eines Regency-Romans hat, sondern voll von Übertreibung, Theatralik und großen Emotionen ist. 

Gern zu singen heißt schon halb verliebt sein

So schnell wie sie auf die Bühne gelaufen sind, rücken die Dienstmädchen auch wieder in den Hintergrund, um Platz für die eigentlichen Protagonist*innen zu machen. Obwohl sie laut Prämisse im Zentrum von Stolz und Vorurteil* (*oder so) stehen sollten, wird ihrer Geschichte erstaunlich wenig Raum gegeben. Ein wenig wird sogar der Anschein erweckt, dass selbst für die Dienstmädchen die Welt von Stolz und Vorurteil interessanter ist, als ihre eigene Lebensrealität: Es wirkt so als ob sie die Geschichte ihrer Herrschaften in groß angelegtem Format nachspielen – und nachsingen. Neben wilden Liebesverstrickungen und Themen wie Klassismus und Sexismus der englischen Gesellschaft ist nämlich auch noch Zeit für die ein oder andere Karaoke-Einlage. 

„Konfetti-Regen … schwer-romantische Musik …“

Dabei kommt keine der fünf talentierten Hauptdarsteller*innen Jorien Gradewitz, Zenzi Huber, Mechthild Grabner, Lisa Grosche und AdeleEmil Behrenbeck zu kurz. Sie verkörpern zusätzlich zu den Dienstmädchen, die nun eher als Erzählerinnen fungieren, nämlich sämtliche Figuren der Geschichte, oft in doppelter und dreifacher Funktion. In einer Szene hetzt Grosche zwischen zwei Dialogen einmal als Charlotte und einmal als Bingley über die Bühne, den langen Weg nutzt sie für einen hastigen Kostümwechsel.

Unterstützt werden die Figuren von zwei „DJane Austen“, gespielt von Lilian Heeb und Johanna Schwaiger, die permanent in einem gelben Häuschen stehen und das Stück begleiten: als DJ, aber auch als Klavierbegleitung, als Geräuschkulisse, als Gesangseinlage oder ebenfalls als Erzählerinnen. Einmal steuern sie nach Monty Python-Manier Pferdehufgeräusche mit Kokosnussschalen bei, bevor sie Rosenblätter mit einer Windmaschine auf der Bühne verteilen, bevor sie sich vor fiktivem Regen unter ihren Tischen verstecken müssen. Oft weiß man dabei gar nicht, wo man hinschauen soll, passiert doch auf jeder Ecke der großen Schlossparkbühne ein anderes amüsantes oder chaotisches Geschehen. 

Follies and nonsense

In Stolz und Vorurteil* (*oder so) geht es ziemlich genau darum, worum es in Jane Austens Roman von 1813 auch geht. Mrs. Bennet hat fünf Töchter: Jane, äußerlich und innerlich hübsch, Elizabeth, sarkastisch aber lieb zu ihren Schwestern, Mary, wer ist nochmal Mary?, Lydia, „eine aufmerksamkeitsgestörte kleine Dumpfbacke“ und Kitty, mindestens genauso unreif. Sie alle sind im heiratsfähigen Alter und müssen deswegen ganz dringend unter die Haube gebracht werden, denn natürlich erbt keine von ihnen auch nur einen Pfennig.

Als dann Mr. Bingley, der reich, jung, gutaussehend und ledig ist, in die Nachbarschaft zieht, ist die Aufregung selbstverständlich groß. Während Jane und Bingley sich sofort ineinander verlieben, bekriegt sich Lizzy mit Bingleys bestem Freund Mr. Darcy, der nochmal doppelt so reich ist wie der treue Bingley, aber dafür auch doppelt so miserabel. Und so ist schnell das Fundament gelegt für die vielleicht klassischste aller enemies-to-lovers Geschichten. 

„Es gibt hier ein kleines Problem mit emotionaler Verdrängung.“

Dazu gehören natürlich auch noch zahlreiche Komplikationen. Der Lieutenant Mr. Wickham macht erst Lizzy schöne Augen, nur um dann mit Lydia durchzubrennen. Mr. Collins, der alles erben soll, versucht eine seiner Bennet-Cousinen für sich zu gewinnen. Am selben Nachmittag, an dem er von Lizzy den Korb bekommt, macht er ihrer besten Freundin Charlotte einen Antrag. Bingleys Schwester Caroline setzt alles daran, die Verbindung zwischen Bingley und Jane zu verhindern. Fairerweise muss man sagen, dass dem Stück durch diese ganzen Irrungen und Wirrungen etwas besser zu folgen ist, wenn man die Materie kennt. Doch selbst wenn man nicht das Vergnügen hat, alles zu verstehen:  Man kann auch Spaß haben, wenn man Netherfield Hall, Pemberley und Rosings Park nicht auseinanderhalten kann. 

Denn das Stück lebt von hunderten kleinen Gags. Mr. Collins (ein Priester) hat eine „Holy Moly“ Schärpe um. Lady Catherine de Bourgh trägt zwei Perücken übereinander sowie die größte Perlenkette, die je jemand gesehen hat (wirklich, sie ist größer als die Darstellerin). Mr. Wickhams Auftreten wird durch Western-ähnliche Pfeiftöne begleitet. Außerdem wird so viel gesungen, dass die Inszenierung fast schon als Jukebox-Musical bezeichnet werden kann. Es werden Interpretationen von „Halo“, „You’re so Vain“ und „Lady in Red“ (weil Chris de Burgh natürlich Lady Catherines Neffe ist) vorgetragen. Ein Remix von „Can’t take my eyes off of you“ erinnert an das Sommerstück von vor zwei Jahren, Marburg 800, das von einem ähnlich übermütigen Chaos lebte. 

Lady Catherine de Bourgh trägt zwei Perücken übereinander sowie die größte Perlenkette, die je jemand gesehen hat. Foto: Laura Schiller

Was sind Männer im Vergleich zu Perücken und Häubchen?

Die Requisite und das Kostüm von Hannah von Eiff und Lisa Chiara Kohler machen Stolz und Vorurteil* (*oder so) zu dem, was es ist. Die Darstellerinnen tragen alle verschieden kolorierte Perücken und wechseln ständig von einem handgeschneiderten Kostüm in das nächste. Seidene Kleider, gigantische Reifröcke, Puffärmel, ein pinker Frack folgt auf das nächste, alle tragen weiße Schürzchen, die zwischendurch auch mal als Taschentuch eingesetzt werden können. Die Kostümwechsel werden im Laufe des Abends immer hastiger, irgendwann benutzt Mrs. Bennet ihr übergroßes Häubchen nur noch wie eine Handpuppe, weil sie zwei Sekunden später schon wieder Mr. Darcy sein muss. Zusammen mit der gelb angestrichenen Bühne und den riesigen Requisiten verwandelt sich die Inszenierung in einen Wirbelwind aus Farben, Lichtern, Liedern und ganz viel Liebe zum Detail. 

Von der Ästhetik her erinnert Stolz und Vorurteil* (*oder so) also vielleicht eher an Bridgerton als an Colin Firth im Stehkragen (nicht, dass das was schlechtes wäre, Colin Firth im Stehkragen kennen wir schließlich schon). Dafür spricht auch die Änderung der Sexualität einer der Figuren, um mal aktuellen popkulturellen Diskurs aufzugreifen. Dass Charlotte in Elizabeth verliebt ist, mag dabei weniger umstritten sein, als aus Michael eine Michaela zu machen. ‚This author‘ hielt es jedenfalls für absolut notwendig.

Stolz und Vorurteil* (*oder so) lebt von ständigem Chaos auf der Bühne, kitschigen Liebeserklärungen, schönen, lustigen und schrägen Gesangseinlagen und davon, inmitten all dessen überraschend werktreu zu bleiben – eine Balance, die sicherlich nicht leicht zu halten ist. Die Vorlage der schottischen Autorin von Pride and Prejudice* (*sort of) Isobel McArthur sowie die Umsetzung der Inszenierung durch Romy Lehmann in der Regie transportieren dabei fabelhaft, was für ein unglaublich humorvolles Werk Stolz und Vorurteil eigentlich ist. Mit seinen schrulligen Figuren, übertriebenen Missverständnissen und dem unterschwelligsten Piesacken, das die gehobene Sprache der Regency-Zeit hergibt, gibt es gute Gründe, warum der Roman auch heute noch so beliebt ist. Es gelingt Stolz und Vorurteil* (*oder so) perfekt, die Essenz der Vorlage aufzugreifen und auf ein Maximum aufzudrehen. Nicht nur Jane Austen-Fans, sondern auch jene, die lieber Julia Quinn lesen oder einfach nur zwei Stunden Spaß im Theater haben möchten, wird dieses Stück mit Sicherheit „ganz und gar verzaubern“. 

(Lektoriert von hab.)

schiller

ist 23 Jahre alt und studiert Literaturvermittlung in den Medien, sieht sich selbst aber immernoch als Anglistin. Sie weiß nichts über vieles, aber alles über Jane Austen.

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