Das Unwort des Jahres: zwar kein Unwort, aber trotzdem nicht unwichtig

Das Unwort des Jahres: zwar kein Unwort, aber trotzdem nicht unwichtig

Kann ein Wort ein Unwort sein? Nein, kann es nicht. Wieso es trotzdem Unwörter gibt, wer über ebendiese Unwörter entscheidet und wieso wir uns trotz allem mit ihnen beschäftigen sollten.

Ein Wort als Unwort zu betiteln, ist ein Widerspruch in sich. Genauso wie Unkraut. Ein Kraut gibt schließlich nicht plötzlich sein Kraut-Dasein auf, nur weil jemand es als unerwünscht charakterisiert. Bei den Wörtern läuft es aufs Gleiche hinaus: Das amtierende Unwort „Alternative Fakten“ war nicht bis Dezember 2017 ein Wort (besser gesagt zwei) und hörte dann vor einigen Tagen auf, sein Wort-Dasein zu pflegen. Ohne Frage, optimal gewählt ist der Begriff nicht. Hört man allerdings kurz auf, so unglaublich kleinkariert und erbsenzählerisch zu sein, fallen einem noch einige sprachliche Nachbarn des Unkrauts ein – Unmensch, Untier, Unmenge, Unsitte – und man kann sich endlich auf das eigentliche Thema konzentrieren. Das da wäre?

Was zur Hölle ist ein Unwort und wieso gibt es jedes Jahr eins?

Das Unwort des Jahres ist ein Begriff, der im öffentlichen Sprachgebrauch unangemessen gebraucht wurde. Unangemessen heißt in diesem Fall nicht unsachlich oder unpassend. CSU-Spitzenkandidat Markus Söder sprach von einem „Zwergenaufstand“, als es um die Kontrahaltung der SPD-Basis gegen die GroKo ging. Das ist zwar unsachlich und unpassend, aber kein Unwort. Letzteres muss durch mehr charakterisiert sein, beispielsweise verstößt es gegen die demokratischen Werte oder die der Menschenwürde, diskriminiert soziale Minderheiten oder kaschiert negative Aspekte und wirkt irreführend. Das betreffende Wort muss im öffentlichen Sprachgebrauch geäußert worden sein und eine gewisse zeitliche Relevanz haben, das heißt, es muss im jeweiligen Jahr aufgetreten sein.

Gekürt wird das Unwort des Jahres im Januar des Folgejahres durch eine Jury. Diese besteht aus vier Linguist:innen, einem Journalisten oder einer Journalistin und einer jährlich wechselnden Person aus dem Bereich Kultur und Medien. Es bestand in den ersten Jahren (1991-93) eine personelle Verbindung zur Gesellschaft für deutsche Sprache, die z. B. gegen Anglizismen vorgehen möchte und sich gegen Sprachwandel ausspricht. Trotzdem versteht sich die Jury des Unwortes nicht als Sprachschützer. Es geht also nicht darum, die Verwendung eines bestimmten Wortes zu kritisieren, weil es etwa aus dem Englischen entnommen ist, sondern weil es in einer bestimmten Art und Weise gebraucht wird. Denn über eines sind sich Linguist:innen einig: Wörter erhalten ihre Bedeutung durch den Gebrauch. „Folter“ mag im Mittelalter ein ganz üblicher Begriff für ein nicht ungewöhnliches Verfahren gewesen sein. Heute sieht das anders aus, deswegen verwendete die CIA in einem 2014 öffentlich gewordenen Bericht den Begriff „erweiterte Verhörmethoden“.

Und wieso genau sollte mich das jetzt interessieren?

Die FAZ wendet berechtigterweise ein, der gewählte Begriff sei schon einige Monate alt und außerdem habe es viele potenzielle Unwörter gegeben. Und dennoch: Es lohnt sich, mal einen Blick auf die gekürten Unwörter der letzten Jahre und besonders auf die jeweiligen Begründungen zu werfen. Der Begriff „alternative Fakten“ wird kritisiert, weil er „Falschbehauptungen salonfähig gemacht und mit Tatsachenbehauptungen auf eine Stufe gehoben“ habe. Diese Kritik ist nicht nur berechtigt, sie zeigt auch, welche Wirkung öffentlich geäußerte Begriffe haben können. Es macht eben einen Unterschied, ob man von einer anderen Sichtweise spricht, oder diese Sichtweise als Fakten darstellt. Ob man jedes Jahr ein Unwort küren sollte, sei dahingestellt. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Sprachgebrauch von Personen des öffentlichen Lebens ist allerdings in jedem Fall sinnvoll.

Foto: CC Matthias Mueller, unverändert

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