Sneak-Review #230: Maigret

Sneak-Review #230: Maigret

Patrice Lecontes neuer Film Maigret ist mit seinen verbitterten Protagonisten und dem Pariser Großstadtleben eine Hommage an den französischen Film noir der 1940er und 1950er Jahre. Als Grundlage für den Plot dient Georges Simenons Roman Maigret und die junge Tote aus dem Jahr 1954, welcher vom Mordfall an einer jungen Unbekannten handelt. Die überaus erfolgreiche Maigret-Reihe des belgischen Schriftstellers dient dabei nicht zum ersten Mal als Vorlage für einen Kriminalfilm. Die Besetzung mit Gérard Depardieu als Kommissar Maigret verspricht diesmal eine qualitativ hochwertige Besetzung. Ob das jedoch für einen gelungenen Film ausreicht, bleibt fraglich.

Ein dramatischer Mordfall

Kommissar Jules Maigret, Meisterdetektiv der Pariser Kriminalpolizei, wollte eigentlich gerade Feierabend machen. Nachdem sein Team endlich einen komplizierten Fall durch die lang ersehnten Geständnisse abgeschlossen hat, kommt jedoch die nächste Herausforderung auf den stämmigen Maigret zu. Die Ermordung einer unbekannten jungen Dame (Clara Antoons) leitet die Kriminalgeschichte ein, die es von nun an aufzulösen gilt.

Maigret begibt sich auf die Suche nach Hinweisen, die zum Mörder führen könnten, und trifft dabei auf alle möglichen Gestalten, die dem Opfer, das später als die gerade mal zwanzigjährige Louise Louvière identifiziert wird, nahegestanden haben. Dabei bemerkt man, dass das Paris der 1950er Jahre neben seiner allbekannten romantischen Seite auch Abgründe aufweist, die in jeder Metropole zu jener Zeit existierten. Junge Frauen, die es voller Hoffnungen und Träume in die Großstadt zieht, um lediglich später in der Prostitution zu landen, sowie Displaced-Persons, die durch die Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs ein prekäres Leben in bitterer Armut führen. Die Spur der Hinweise führt jedoch in ein ganz anderes Milieu: Zu den gut situierten, frisch verlobten Jeanine Arménieu (Mélanie Bernier) und Laurent Clermont-Valois (Pierre Moure). Deren Verlobungsfeier wurde zu Beginn des Films als Szenerie gezeigt, in der das Pärchen einen Streit mit der später tot aufgefundenen Louise hatte. Die Beiden geraten immer stärker ins Fadenkreuz der Ermittlungen. Auch Laurents Mutter (Aurore Clément) scheint mit dem Paar unter einer Decke zu stecken. Bei der Auflösung des Falls sind demnach die geballten Fähigkeiten Maigrets gefragt, um die Verdächtigen zum Reden zu bringen.

Kommissar Maigret als der Schweigsame

In Maigret gibt Gérard Depardieu ein überzeugendes Portrait eines Detektivs ab, der es durch sein ruhiges und besonnenes Gemüt schafft, Verdächtige und Zeug:innen zum Reden zu bringen. Sein phlegmatisches Erscheinungsbild täuscht zunächst, bei ihm handelt es sich keinesfalls um jemanden, der seine besten Zeiten als Detektiv bereits hinter sich gelassen hat. Seine Prioritäten sind klar: Als guter Detektiv müsse man lediglich zuhören, dadurch erkenne man sofort, welche Position der jeweilige Akteur im vorangegangenen Verbrechen eingenommen hat. Das wirkt sich natürlich auch auf den Verlauf des Films aus: Wir sehen hier keine typischen Krimi-Szenen, in denen sich der Kommissar gefährliche Verfolgungsjagden oder hitzige Verhöre mit Beschuldigten liefert. Ganz im Gegenteil ist Maigrets Herangehensweise meist von empathischem Einfühlungsvermögen bestimmt. Auch seine Überzeugungskraft geht so weit, dass sich die junge Betty (Jade Labeste) dazu bereit erklärt, sich in extrem gefährliche Situationen zu begeben, um dabei mitzuhelfen, den Fall zu lösen.

Der Kommissar hat außerdem etwas Tristes an sich. Der vorausgegangene Tod seiner Tochter und die Erfahrungen im Morddezernat machen Maigret zum unglücklichen Melancholiker; die grau-dunkle Gesamtszenerie untermauert seinen Gemütszustand. In dieser Hinsicht kann der Film als eine Hommage an das französische Film-noir-Kino der 1940er und 1950er Jahre betrachtet werden, in welchem all die dunklen Abgründe einer glorifizierten Nachkriegsgesellschaft zum Ausdruck kamen. Das kann in den Nostalgiker:innen unter den Filmschauenden Befriedigung hervorrufen – fraglich bleibt dabei jedoch, ob der Film darüber hinaus auch aus anderen Blickwinkeln sehenswert ist.

Was kann Krimi?

Zentrales Element eines Krimis sollte immer die Verworrenheit der Handlungsstränge sein, die den Zuschauenden bis zum Ende verbirgt, wer hinter dem Verbrechen steckt. Dafür sind ausgegklügelte Beziehungen zwischen Charakteren notwendig, deren Fassade in der Regel nur schwer durchschaubar ist. Leider überzeugt Maigret unter diesem Gesichtspunkt nicht. Von Anfang an müsste jedem klar sein, wer hinter dem Mord an der jungen Louise steckt. Dass man daraufhin den schwermütigen Maigret fast eineinhalb Stunden beim Auflösen des Falls begleitet, schafft lediglich eine gelungene, zwielichtige Atmosphäre, von Spannung kann aber kaum die Rede sein. Die fehlenden Puzzlestücke, die der Kommissar zur Lösung des Falls benötigt, werden den Zuschauer:innen bereits am Anfang auf dem Präsentierteller dargelegt, wie zum Beispiel die Streitszene auf der Verlobungsfeier. Das ist schade – zeigen doch andere, in den letzten Jahren erschienene Adaptionen von Kriminalromanen, wie beispielsweise Kenneth Branaghs Verfilmungen von Agatha Christies Werken, dass eine spannende, filmische Neuauflage von Klassikern möglich ist. Verteidiger:innen des Films von Patrice Leconte könnten zwar darauf verweisen, dass ein Film nur den Grad an Komplexität und Spannung erzeugen kann, den die literarische Vorlage hergibt. Damit machen sie es sich allerdings zu leicht. Es genügt nämlich nicht, den Film lediglich in Verbindung mit der Romanvorlage zu betrachten. Er existiert als unabhängiges Werk, in dem die Neuausgestaltung durch die Filmemacher:innen für ein qualitativ hochwertiges Resultat essenziell ist. Maigret versagt leider an dieser Stelle – auch wenn er im Einzelnen durchaus gute Ansätze enthält.

Maigret von Patrice Leconte kann seit dem 30. März in den deutschen Kinos gesehen werden.

(Lektoriert von let und hab.)

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