Zwischen Corona und Klima

Zwischen Corona und Klima

Seit November zieht sich eine Mischung aus Lockdown, Lockdown light, Osterlockdown und viel Verwirrung dazwischen hin. Es ist kein Geheimnis, dass die Beschränkungen eine große Belastung im Alltag sein können, aber nun gibt es auch in Marburg endlich wieder Lockerungen. Trotzdem oder gerade deshalb darf eine noch größere Krise und die mit ihr einhergehenden Herausforderungen nicht in den Hintergrund geraten. Denn anders als die Coronakrise lässt uns die Klimakrise leichter wegschauen. Ihre Auswirkungen kosten nicht täglich Menschenleben in unserem direkten Umfeld. Zumindest nicht hier in Deutschland. Aber die Klimakrise findet auch hier statt, direkt vor unserer Haustür.  


Deutschland ist, Stand 2020, auf Platz 6 der klimaschädlichsten Länder der Welt. Klimakarten vom Anfang der Pandemie, auf denen die verbesserte Luftqualität an heruntergefahrenen Wirtschaftsstandorten zu sehen waren, erweckten den Eindruck, die Klimakrise profitiere geradezu von der Coronakrise. Mittlerweile ist aber völlig klar, dass das ein Irrtum war. Stillstehende Industrie, eingeschränkter Flugverkehr und der stornierte Sommerurlaub waren, so schön das auch gewesen wäre, nicht die Lösung für die Klimakrise.  
Wissenschaftler:innen sind sich vielmehr mittlerweile sicher, dass die Coronakrise eine direkte Folge der Klimakrise ist. Denn der Eingriff in den Lebensraum vieler Tiere, durch beispielsweise Rodung, sorgt für das Aufeinandertreffen von Lebensräumen verschiedener Tiere und so auch von deren Viren. Demnach gilt also: Wird die Klimakrise nicht zeitnah wirksam bekämpft, wird die Coronakrise nur eine von vielen Pandemien gewesen sein.  

Der offensichtliche Widerspruch in der Vergabe von Subventionen im Zuge des Corona-Konjunkturpakets an Firmen, die fossile Brennstoffe fördern, steht also außer Frage. Die Organisation Greenpeace fordert daher den Abbau von Subventionen für eben diese klimaschädlichen Firmen. Laut einer 2020 von Greenpeace veröffentlichen Studie wurden rund 4 Billionen Euro an Corona-Subventionsgeldern für die EU bereitgestellt. Davon seien bereits 33 Milliarden Euro für die Rettung der europäischen Fluggesellschaften vorgesehen. Steuererleichterungen für die europäische Industrie, insbesondere auf Öl, Gas und Kohle, kommen hinzu. Wo hier Rücksicht auf das Pariser Klimaabkommen genommen wird, erschließt sich mir nicht.  

Ein Gespräch mit Mariele Diehl

Mich beängstigen diese Fakten. Ich spreche mit der Aktivistin, Studentin und Politikerin Mariele Diehl. Neben ihrem Vollzeitstudium in Psychologie an der Philipps Universität Marburg und dem Engagement in gleich zwei klimaaktivistischen Organisationen bleibt ihr dennoch Zeit für einen Sitz im Stadtparlament. Als ich sie frage, wie sie das alles schafft, antwortet sie mir, dass ein gutes Zeitmanagement alles sei. Aber Mariele sagt auch, dass sie erschöpft sei und sie wohl bald mit ihrem Studium einen Gang zurückschalten würde. Ihr sei dabei aber auch sehr wohl bewusst, dass dies ein Privileg sei. Ihr Engagement biete ihr neue Chancen und erlaube ihr weit mehr zu lernen, als sie es in ihrem Studium könne. Für mich, die bereits mit dem Studium allein gut beschäftigt ist, ist kaum zu verstehen, wie sie das alles unter einen Hut bekommt. Mich macht der Gedanke wütend. Warum müssen sich junge Menschen so sehr aufopfern müssen um etwas zu bewirken, während Politiker:innen in Machtpositionen oft wegschauen. Schüler schwänzen die Schule und demonstrieren, weil Politiker ihre eigenen Versprechen nicht einhalten wollen.  
Mariele kennt sich mit der Klimaproblematik aus und für mich bleibt es rätselhaft, dass sie dennoch optimistisch wirkt. Ich frage nach und Mariele erklärt mir, ihre positive Einstellung schöpfe sie aus den vielen klugen und engagierten Menschen um sie herum. Trotzdem spricht Mariele auch von einem Zweckoptimismus. Für sie ergebe es keinen Sinn, mit einer pessimistischen Denkweise die Fakten hinzunehmen. Ihr Engagement habe ihr gezeigt, dass es nicht einen Menschen allein brauche, der die Welt rettet, sondern ein Team. 

Marburg und die Oberbürgermeisterwahl

Später erzählt sie mir, dass Marburg sie und ihr Denken stark geprägt habe. In ihrer Schulzeit sei sie eine Außenseiterin gewesen und habe sich oft unverstanden gefühlt. Für Mariele war auch die klare Hierarchie in der Schule ein Konzept, das sie lange glauben ließe, nichts verändern zu können. In Marburg fand sie sich schnell in spannenden Diskursen wieder, in denen sie sich verstanden und gehört fühlte. Als dann vor den letzten Wahlen ein:e Oberbürgermeisterkanditat:in für die Klimaliste gesucht wurde, lässt sie sich darauf ein. Hauptsächlich, so sagt sie, war es eine Entscheidung dafür keinen alten Mann aufzustellen. Wie sie selbst heute sagt, hatte sie das alles ein wenig unterschätzt. Sie muss plötzlich auf so vielen verschiedenen Gebieten Expertin sein, um diesem Amt gerecht zu werden. Schließlich war sie zur Zeit der Oberbürgermeisterwahlen gerade einmal 20 Jahre alt. Mariele ist sich aber auch nicht zu schade anzuerkennen, dass sie nicht alles wissen könne und noch viel zu lernen habe. Dafür, dass sie über sich selbst sagt, sie wollte niemals Politikerin werden, opfert sie allerdings eine Menge Zeit und Geduld um eben das zu sein.   
Mich erleichtert es zu wissen, dass Menschen wie Mariele sich für den Klimaschutz einsetzen. Menschen wie sie nehmen mir ein Stück weit den Druck und das Gefühl, nicht genug machen zu können. Es ist ein sehr egoistischer Gedanke, das ist mir bewusst, aber er erleichtert mich. Auch wenn ich es mir so bequem mache.
 Mariele träumt von einer Energie- und Verkehrswende, Autoverboten und auch von mehr Bürgerbeteiligung. Sie möchte für Begegnungen auf Augenhöhe sorgen. Mariele denkt, klimaneutral funktioniere erst dann, 
wenn alle zusammenhalten und gemeinsam neu denken.

Aktivismus seit Corona

Neben all diesen optimistischen Denkansätzen möchte ich aber auch das leidige Thema Corona mit ihr besprechen. Mariele erzählt mir, auf meine Nachfrage hin, wie sich der Aktivismus seit Corona verändert habe. Der Aktivismus mache seit Corona weniger Spaß. Sie vermisse das Gefühl, auf der Straße zu stehen. Gemeinsam mit Menschen, die für das gleiche kämpfen. Sie vermisse das Gefühl von Empowerment, das auf der Straße entstehe. Ein Problem, das seither ebenfalls bestehe, sei das Erreichen neuer Menschen. Auf der Straße wurden viele Passanten, die sich vorher nicht mit Klimaschutz auseinandergesetzt haben, für das Thema sensibilisiert. Das geschehe aktuell durch Online Aktivismus kaum. Dort erreiche man hauptsächlich die eigene Bubble, die sich ja sowieso schon für das Thema interessiere.  
Ich möchte auch über die aktuelle Corona- und Klimapolitik sprechen und frage sie, ob sie wie ich, wahrnimmt, dass die Klimapolitik hinter der Corona Politik anstehen muss. Mariele stimmt mir hier zu und sagt: ,,Klima ist auch jetzt”. Sie erinnert auch daran, dass die Coronakrise eine direkte Folge der Klimakrise ist. Ihrer Meinung nach werden Chancen vertan die Klimakrise und die Coronakrise parallel zu bewältigen, indem Subventionen nicht in nachhaltige Wirtschaft investiert werden. Sie denkt, wir müssten uns fragen, was wir nach Corona wollen und denkt es ist notwendig unseren Konsum zu überdenken. Denn was auch ich oft versuche zu vergessen: Konsum ist niemals nachhaltig.  
Die Tatsache, dass die Klimakrise bereits Schwellen überschritten hat, die unumkehrbar sind, macht mir Angst. Das Gletscherschmelzen beispielsweise wird nicht mehr aufzuhalten sein und die Unterstützung klimaschädlicher Unternehmen verschlimmert die Ausgangslage immer weiter. Ein Zweckoptimismus muss dann vielleicht einfach ausreichen, um weiterhin für Klimaschutz kämpfen zu wollen. 

Mich hat das Gespräch mit Mariele und auch Mariele als Person zumindest ein Stück weit von meinen Sorgen befreit. Es macht mir Hoffnung, dass sie, obwohl sie über die große Problematik der Klimakrise Bescheid weiß, weiter macht und sich den Optimismus bewahrt. Auch wenn sie zugibt, dass ihr Optimismus nicht ganz ehrlich ist und eher dem Zweck dient, verstehe ich wieso sich Mariele diesem Zweckoptimismus hingibt. Er macht die Fakten erträglicher und er überträgt sich auf ihre Mitmenschen, so auch auf mich.

FOTO: @Mariele Diehl

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