Theater Review #32: Die Rocky Horror Show am 06.04.22

Theater Review #32: Die Rocky Horror Show am 06.04.22

„Die Rocky Horror Show“ ist wieder in Marburg! Am Mittwoch, 06.04.2022 durften erste Besucher*innen in der Waggonhalle in Marburg das Kultmusical von 1973 der besonderen Art erleben, inszeniert von Jens Daryousch Ravari. Bis zum 24. April könnt ihr noch erfahren, ob das Paar Janet Weiß (Sarah Merten) und Brad Majors (Jakob Wirnsperger) sich noch rechtzeitig aus den Fängen des genialen sowie sexbesessenen Dr. Frank‘n‘Furter (Marc Staudinger) retten kann.

Ein kleines bisschen Horrorschau

Wie ein x-beliebiger Kitschfilm beginnt die Story. Das glücklich verliebte und frisch verlobte Pärchen Janet Weiß und Brad Majors hat seinen ersten gemeinsamen freien Abend, an dem es mit dem Auto zu seinem Freund und ehemaligen Lehrer Dr. Everett Scott (Stefan Baltzer) fahren will. Unterwegs werden sie von einem Gewitter überrascht, dann fallen sie mitten in der Pampa auch noch einer Autopanne zum Opfer. Doch es gibt einen Lichtblick; und zwar wortwörtlich in Form hell erleuchteter Fenster, die die beiden zu einem finsteren Schloss führen. Eigentlich wollen sie nur kurz telefonieren, um sich aus der Misere helfen zu lassen, doch schnell wird ihnen klar, dass die unheimlichen Schlossbewohner*innen mehr mit ihnen vorhaben, als ihnen lieb ist. Der „Sweet Transvestite“ Frank will ausgerechnet in jener Nacht die Geburt seiner neuen Kreatur Rocky (Felipe Ramos) feiern. Und zunächst scheint auch alles perfekt für ihn zu laufen; er verführt sowohl Janet als auch Brad in der Maske des jeweils anderen und destruiert ihre Unschuld. Doch damit weckt er auch Janets Libido, die sich jetzt an Rocky ranmacht. Dieses Vergehen muss gebührend bestraft werden. Noch bevor Frank jedoch zur (schauererregenden) Tat schreiten kann, entdeckt sein Handlanger Riff Raff (Henrik Stolte) einen unerwarteten Besucher.

Mitmachen erwünscht!

Viele Zuschauer*innen kennen die Rocky Horror Show schon in- und auswendig. Aber was hebt diese Rocky Horror Show vom Normalen ab? Also, normal ist hier ja erstmal wenig, denn wer erwartet, sich im Publikum auf seinen Stuhl zu fläzen und berieseln zu lassen, sollte von diesem Stück lieber Abstand nehmen. Dank der Überraschungstüten, die noch vor Einlass erworben werden können, dürfen die Zuschauer*innen im Stück kräftig mitmischen. Wer also nichtsahnend im Publikum sitzt und auf einmal punktuell Nässe verspürt, den kann ich beruhigen, es regnet höchstwahrscheinlich nicht durchs Dach, sondern wurde Opfer eines hinterhältigen Wasserpistolenangriffs. Es kann durchaus auch passieren, dass mal eine Klopapierrolle auf der Bühne landet oder im eigenen Schoß. Auch Konfetti im Haar ist kein Ding der Unwahrscheinlichkeit. Des Weiteren sind in der Tüte ein Schnuller, um das innere Kind auszuleben und ein Kondom, um keine eigenen zu bekommen. Auch Spielkarten finden sich in der Tasche, allerdings zum Werfen (Architektonische Meisterwerke können Sie schließlich auch zuhause bauen!).

Mit vollem Einsatz für die deutsche Rocky Horror Show

Doch zurück zur Ausgangsfrage: Ist diese Veranstaltung wirklich eine ganz normale Rocky Horror Show? Nein, natürlich nicht. Denn im Gegensatz dazu, wie Rocky Horror Show seit Jahrzehnten in Deutschland aufgeführt wird, ist sie dieses Mal komplett auf Deutsch, auch die Songs. Das liegt an Regisseur Jens Daryousch Ravari. Wie er mir nach dem Stück erklärt, spielt er am liebsten auf Deutsch. Das sei die Sprache, die wir hier sprechen, unsere Muttersprache. Deswegen habe er begonnen, die Lieder vom Englischen ins Deutsche zu übersetzen. Nach drei Songs setzte er sich mit dem Produzenten zusammen, der sie anschließend an den Verlag in London zum Erfinder und Initiator der Rocky Horror Show, Richard O‘Brien schickte. Zwei Monate lang kam keine Rückmeldung, doch Ravari gab nicht auf. Er bat die Schauspieler*innen Janet Weiss und Brad Majors, den von ihm ins Deutsche übersetzten Song „Verdammt, Janet“ einzusingen und schickte es anschließend ebenfalls nach Großbritannien. Nach zwei Wochen endlich eine Antwort: Die Lieder dürfen nach 50 Jahren zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt werden. Ravari setzte sich also an seinen Schreibtisch und übersetzte, korrigierte und formulierte um, was das Zeug hielt, bevor er die übersetzten Stücke wieder einsingen ließ und nach London schickte. Mit Erfolg! Obwohl die Lieder auf Deutsch teilweise anders klingen als im Englischen, zum Beispiel beim Lied „Touch Me“, wurden die Übersetzungsrechte genehmigt. Ich fand die Texte teilweise etwas holprig und nicht so passend wie im Englischen (Ich möcht verdorben sein Erreg mich, erhitz mich, erfüll mich), das restliche Publikum hat sich daran aber überhaupt nicht gestört. Dies war der Beginn der ersten komplett deutschen Rocky Horror Show!

Ikonisch und zeitlos

Die Rocky Horror Show wurde 1973 uraufgeführt im Londoner Royal Court Theatre und begeistert seitdem Jahr für Jahr Millionen von Menschen. Doch nicht nur das, auch auf die Drag-, Burlesque- oder Rockszene hat Richard O‘Brien mit seinem Musical großen Einfluss genommen. Sein Stück steht seit jeher für Toleranz und Akzeptanz, Werte, die nie an Aktualität verlieren und die Rocky Horror Show zu einem der zeitlosesten Musicals seiner Art machen. Diese deutsche Interpretation des Stücks ist auf jeden Fall für all diejenigen was, die wie Regisseur Ravari, ganz genau wissen möchten, was gesungen wird und für die sich Musik in der deutschen Muttersprache „echter“ anfühlt. Ich tendiere allerdings eher zur englischen Version, da sich das Original für mich echter anfühlt. Doch egal ob auf Deutsch oder Englisch, dieses Musical bleibt jedem ein unvergessliches Ereignis. Spaß kann man nicht kaufen, aber die Rocky Horror Show bietet den perfekten Anlass dafür.

Weitere Darsteller*innen:

Magenta – Helena Lenn

Eddie – Leonard Linzer

Columbia – Pauline Schubert

Musical Director – Patrick Schauermann

Foto: Luca Gercke/ WAGGONHALLE MARBURG

Stolze Stuttgarterin, 23 Jahre jung, studiert Nah- und Mitteloststudien. Seit März 2022 dabei und bildet seit Januar 2023 mit Leo die Chefredaktion. Mit dem Körper in Marburg, dem Geist in Palästina und dem Herzen in den Alpen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Wordpress Social Share Plugin powered by Ultimatelysocial
Instagram
Twitter