Sneak Review des guten Geschmacks #1: The Innocents

Sneak Review des guten Geschmacks #1: The Innocents

Das neue Semester ist aktuell das einzige, was euch gruselt? Ihr sucht nach einem neuen Lichtblick in eurem Alltag? Dann ist vielleicht die neue Cineplex-Sneakreihe was für euch! Denn ab sofort dürfen sich Kinobesucher*innen an einem ausgewählten Freitag im Monat von einem neuen Film in den Special-Interest-Genres Trash, Sci-Fi und Horror überraschen lassen. Den Anfang machte Regisseur und Drehbuchautor Eksil Vogt mit seinem Horrordrama „The Innocents“. Wird es den Schwestern Ida und Anna nach Entdeckung ungeahnter Fähigkeiten gelingen, das bevorstehende Unheil abzuwenden?

Soziopathie in ihren Kinderschuhen

Zwei Schwestern auf der Rückbank eines Autos. Die Größere hat anscheinend eine Behinderung. Sie kann nicht sprechen und gibt nur Laute von sich. Die Kleinere vergewissert sich, dass die Eltern nicht nach hinten schauen, dann kneift sie ihre Schwester fest in den Oberschenkel, die darauf aber gar nicht reagiert. Eine Momentaufnahme der schwesterlichen Beziehung. Das Geschwisterpaar Ida (Rakel Lenora Fløttum) und Anna (Alva Brynsmo Ramstad) ziehen mit ihren Eltern (Ellen Dorrit Peterson, Morten Svartveit) in eine Wohnanlage. Eigentlich ein Grund zur Freude für die jüngere Ida, die sich wegen der autistischen, nonverbalen Anna von den Eltern oft zurückgelassen und vernachlässigt fühlt. Doch es ist Sommer und die meisten anderen Kinder sind verreist. Auf dem ansässigen Spielplatz lernt sie Ben (Sam Ashraf) kennen, der ihr seine telekinetischen Fähigkeiten zeigt. Zurück in der Wohnung legt Ida Anna Glasscherben in ihre Schuhe, aus Eifersucht um die Aufmerksamkeit der Eltern. Aber Anna scheint die Scherben gar nicht zu bemerken. In einem Moment telepathischer Verbindung spürt aber Aisha (Mina Yasmin Bremseth Asheim) die Schmerzen. Sie wohnt im selben Gebäudekomplex und ist auf der Suche nach ihrer Katze.

Am nächsten Tag treffen die beiden tatsächlich aufeinander, während Ben Ida ermutigt, mit ihm einen verstörenden Akt der Grausamkeit zu begehen. Als Anna sich am Abend weigert, mit ihrer Schwester heimzugehen und erst Aisha sie mit dem Argument umstimmen kann, sie nachhause zu begleiten, begreift Ida, dass die beiden eine besondere Verbindung haben. Tags darauf finden alle vier Kinder schließlich zusammen. Es stellt sich heraus, dass ihre telekinetischen und telepathischen Begabungen erst in der Gruppe ihre ganze Wirkung entfalten und alle in irgendeiner Weise miteinander verbunden sind, außer Ida, die keine dieser Fertigkeiten besitzt. Die Clique beginnt ihre Fähigkeiten weiter auszubauen. Als sie eines Tages weit weg von Eltern und anderen Kindern im Wald testen, ob ihre geistigen Kräfte auch auf Distanz funktionieren, wendet sich das Blatt. Ein dummer Spruch bringt Ben dazu, Anna zu verletzen und treibt damit einen Keil in die Gruppe. Bisher nur stellenweise angedeutet, tritt Bens Soziopathie nun offen zutage und nicht nur die Gruppe leidet darunter, auch andere Kinder und seine eigene Mutter (Lisa Tønne) bekommen seine fehlende Empathie zu spüren.

Nichts für Adrenalinjunkies

Wie viele andere war auch ich gespannt, welches Werk mich auf der Leinwand erwartet, besonders durch die Horrorfilm-Trailer in der Vorschau beschlich mich schon ein mulmiges Gefühl, worauf ich mich hier eingelassen hatte. Doch die Spannung, die sich erst allmählich aufbaute, war vielen offenbar zu langsam. Immer wieder verließen Zuschauer*innen den Saal. Dass der Film nur so mittelgut aufgenommen wurde, zeigte auch die Sneak-O-Mat-Auswertung auf Instagram, bei dem 48% der Zuschauer*innen ein, bzw. das doppelte Minus drückten. Wer an diesem Abend erwartete, von einem Schocker nach dem anderen an den Rande eines Herzinfarkts getrieben zu werden, wurde enttäuscht. Trotzdem sorgte der Film dafür, sich mit weit aufgerissenen Augen an den Kinositz zu pressen, nur um im nächsten Moment wieder aufzuatmen, dank dem unvorhersehbaren Wechsel zwischen idyllischer Nachbarschaft und offener Grausamkeit. In einem Moment spielt ein Kind unbedarft mit seinem Spielzeug, im nächsten liegt es ermordet am Boden. Vielleicht lag die schlechte Quote aber auch daran, dass der Film nicht so einfach aufgebaut war, wie bei einem Trash-Horrorfilm à la Scary Movie. Was ich erstmal positiv bewerte, denn gute Horrorfilme sind selten, wenn man ihn als solchen denn einordnen mag.

Ausnahmelob

Obwohl Kinderdarsteller*innen oft zu Recht wegen fehlender Authentizität verschrien werden, haben sie hier größtenteils einen wirklich glaubwürdigen Job gemacht. Besonders Sam Ashraf als Ben, der sich schnell als gefühlskalt und unberechenbar entpuppt, spielt seine Figur hervorragend, was man vor allem bei Szenen besonderer besonderer Grausamkeit merkt. Nur Alva Brynsmo Ramstad kaufe ich ihre Rolle als Anna nicht ganz ab, in der Art, wie sie in die Luft schaut, sich bewegt, Laute von sich gibt.

Für Shutter-Island-Fans

Eksil Vogts Werk bewegt sich irgendwo zwischen Thriller, Mystery, Horror und Drama. In eine Genre-Schublade lässt er sich nicht stecken. Er ist dramatisch, aber nicht zum heulen, erschreckend, aber nicht zum schreien, mysteriös, aber nicht mystisch. Wer auf subtile Psychothriller steht, wird diesen Film lieben.

Die nächste Sneak des guten Geschmacks läuft am Freitag, den 06.05.22.

Der Film lief am 14. April in den deutschen Kinos an.

Foto: Eksil Vogt/Mer Film AS

Stolze Stuttgarterin, 23 Jahre jung, studiert Nah- und Mitteloststudien. Seit März 2022 dabei und bildet seit Januar 2023 mit Leo die Chefredaktion. Mit dem Körper in Marburg, dem Geist in Palästina und dem Herzen in den Alpen.

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