Sneak-Rezension #280: Durch einen Hund der Trauer begegnen

Bild: Annabell Sent

Nach dem Tod ihres Mentors und besten Freundes Walter soll sich Iris, eine Literaturdozentin aus New York, nun um dessen trauernden Hund kümmern. Doch für die dänische Dogge und die Trauer scheint kein Platz in ihrem Leben zu sein. Ein überzeugender Film, der in die Tiefen der zwischenmenschlichen und tierischen Beziehungen dringt.

In den ersten Minuten von Loyal Friend ist ein Stück aus Mozarts Zauberflöte zu hören. Nicht unbedingt der klassische Einstieg, den man bei einem Hundefilm erwarten würde. Die ersten Szenen drehen sich um Iris, eine Literaturdozentin und Autorin aus New York, die der Gedenkfeier des bekannten Autors Walter beiwohnt. Dabei werden die Zuschauenden in einen Kreis aus Menschen eingeführt, bei denen man zunächst kaum erkennen kann, wer eine wichtige Rolle in Iris‘ Leben spielt. Klar wird dagegen: Iris selbst war eine wichtige Person in Walters Leben. Trotzdem ist sie völlig überrumpelt, als es heißt, dass sie sich auf Walters Wunsch hin nach dessen Ableben um seinen Hund Apollo kümmern soll. Ihre Reaktion lässt sich kurz danach gut nachvollziehen, als nach fast einer Viertelstunde zum ersten Mal Apollo durch die Kamera stolpert: Er ist eine riesige dänische Dogge.

Apollo nimmt sofort Platz in Iris‘ Leben ein. Er bestimmt ihr Bett als seinen Lieblingsort und wenn sie gemeinsam durch New York spazieren, wirkt es fast, als würde der Hund Iris an der Leine ausführen. Dennoch hat Iris nicht nur ein riesiges Lebewesen in ihre schuhschachtelgroße Wohnung gelassen, sondern auch eine mindestens genauso große Trauer. Denn Apollo ist nicht er selbst. Er strahlt eine unglaubliche Traurigkeit aus.

Obwohl die Trauer des Hundes im Mittelpunkt des Films steht, kreist die Geschichte um Iris‘ Beziehung zu Walter, sein Leben und seine Arbeit. Dabei ist es auch im weiteren Laufe des Films schwer, bei den ganzen Figuren einen Überblick zu behalten. Es wird nicht nur die erste, zweite und dritte Ehefrau Walters vorgestellt, auch Iris Bekanntenkreis wird immer größer. Auch die junge Frau, mit der Iris gemeinsam an der Veröffentlichung von Walters Briefen aus dem Nachlass arbeitet, stellt sich irgendwann als Walters Tochter heraus.

Die Romanvorlage ist ein internationaler Bestseller

Erzählerisch fordert der Film ebenfalls heraus: Er springt zwischen verschiedenen Erzählebenen und Fiktionen, ohne diese als solche zu kennzeichnen. Daran merkt man, dass die Romanvorlage des Films von Sigrid Nunez als internationaler Bestseller mit Preisen und einstimmigem Lob der Fachkritik ausgezeichnet wurde. Vielleicht bleibt es gerade deshalb für die Zuschauenden schwer, sich in der Erzählung zurechtzufinden.

Sowohl Naomi Watts als auch Bill Murray portraitieren ihre Charaktere und die Trauer glaubhaft. Gleichzeitig geben sie immer wieder einen Grund zum Schmunzeln. Ein besonderes Lob muss dem Hund ausgesprochen werden, der ausdrucksstark Apollos Trauer vermittelt hat. Allerdings stellt sich die Frage, ob Hunde schauspielern können oder ob er tatsächlich trauerte.

Loyal Friend ist kein lockerer Hundefilm. Das erkennt man schon an der Musikauswahl: Der sonst eher ruhige Film wird immer wieder untermalt von klassischer Musik und Opern, die Iris auf dem Plattenspieler auflegt, um Apollo zu beruhigen. Außerdem fordert der Film hohe Aufmerksamkeit und geht thematisch in die Tiefe. So werden neben Themen wie Schreiben, Freundschaft und Grenzen setzen in intelligenten Dialogen auch Suizid und Trauer besprochen. Es lässt sich bis zum Schluss nicht sagen, ob mit „loyal friend“ Apollo oder Iris gemeint ist. Der Film konnte überraschend überzeugen und schnitt auch bei der Sneak-Auswertung im Cineplex Marburg mit 73 Prozent positiven Stimmen gut ab. Kinostart in Deutschland war der 19. Juni.

(Lektoriert von jub und jap.)