Die MINT-Herausforderung: Uni Marburg als Pionierin für barrierefreies Studieren

Die MINT-Herausforderung: Uni Marburg als Pionierin für barrierefreies Studieren

Chemiestudentin Gina-Marie Eichhoff nutzt den Tactonom-Reader am neuen barrierefreien Arbeitsplatz; Foto: Markus Farnung

Mit einem neuen barrierefreien Arbeitsplatz für MINT-Studierende (Mathe, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) wird die Uni Marburg zu einer deutschlandweiten Vorreiterin in Sachen „Barrierefreies Studieren“. PHILIPP hat mit Kai Kortus vom Projekt Math4VIP gesprochen. Er hat uns von dem Vorhaben erzählt und erklärt, wie die Hochschule Barrieren in der Lehre abbauen will, um so zu mehr Chancengleichheit, Selbstbestimmung und Inklusion beizutragen.

Marburg ist mit der BLISTA (Blindenstudienanstalt) einer der wenigen Standorte in Deutschland, an denen eine spezialisierte Schule Blinde und Menschen mit Sehbeeinträchtigung zum Abitur führt. Dadurch hat Marburg als ‚Hauptstadt der Blinden‘ einen überproportionalen Anteil an Menschen mit Sehbeeinträchtigung. Das spiegelt sich auch an der Uni wider. Vor allem in vielen Geisteswissenschaften gelingt das Studium mit einer Sehbeeinträchtigung vergleichsweise gut. Die Studieninhalte werden größtenteils in Form von Texten vermittelt, mit denen sich die Studierenden mit Vorlesesoftware oder über Braille-Schrift auseinandersetzen können. 

Barrieren abbauen

Aber wie sieht es in den MINT-Fächern aus? Vor diesen schrecken deutlich mehr Menschen mit Sehbeeinträchtigung zurück. Das liegt unter anderem daran, dass Inhalte in MINT-Fächern oftmals sehr visuell aufbereitet werden. Beispielsweise wenn in der Mathematik Vektoren (da klingelt doch was aus der Oberstufe…) in dreidimensionalen Räumen als Graphik dargestellt werden. Diese Visualisierung hilft der Vorstellungskraft und dem Verständnis der Studierenden für Vektoren. Bislang hatten blinde und sehbeeinträchtigte Studierende zu solchen Inhalten aber schlicht kaum Zugang. Entweder sie bekamen nur sehr grobe Beschreibungen der Graphiken oder sie mussten eigenständig Assistenzen anlernen, die sie unterstützen. Solche Barrieren haben das Studium stark verkompliziert und die Studierenden konnten nicht immer ihr volles Potenzial auf die gleiche Weise ausschöpfen wie ihre sehenden Kommiliton:innen.  

Die Uni möchte aber ein Ort für alle sein, mit gleichen Chancen. Das sei, laut Kai Kortus, ein Ergebnis des Prozesses aus der UN-Behindertenrechtskonvention, die auch die Uni Marburg ratifiziert hat. Darum stellte sich Marburg nun dieser MINT-Herausforderung. Mit dem Projekt Math4VIP unter der Leitung von Kai Kortus und der Mathe-Professorin Ilka Agricola sollen Barrieren in MINT-Studiengängen abgebaut werden. Ein großes Teilprojekt, der barrierefreie Arbeitsplatz, wurde am Donnerstag, den 13.07.2023 offiziell eingeweiht. Finanziert wurde es durch die Paul und Charlotte Kniese-Stiftung

Wie sieht so ein Arbeitsplatz aus?

Durch den neuen Arbeitsplatz haben blinde oder sehbehinderte Studierende nun selbstständig Zugang zu visuell aufbereiteten Inhalten. Der Arbeitsplatz umfasst taktile Zeichenbretter, einen Tactonom-Reader und einen Schwellkopierer. Die Studierenden können Graphiken zu Vorlesungsmaterial aus einer deutschlandweiten Datenbank abrufen und auf beschichtetem Spezialpapier ausdrucken lassen. Die Flächen auf dem Papier werden dann im so genannten Schwellkopierer zu tastbaren Elementen erhitzt.

Mit dem Tactonom-Reader können die Studierenden die Graphik dann erkunden. Mit Fingerbewegungen können sie sich an der Graphik entlangtasten und akustische Information anhören. Der Arbeitsplatz befindet sich auf dem Campus Lahnberge in der neuen Chemie und ist so gut von den meisten MINT-Standorten aus zu erreichen.

Foto: Markus Farnung

Das  Math4VIP-Projekt

Das Projekt Math4VIP ist unter Zuhilfenahme der Expertise des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) entstanden. Die Uni Marburg ist mit einem solchen Arbeitsplatz, neben dem KIT, in Deutschland bislang noch ein Einzelfall. Kai Kortus erzählt uns, dass es ein erklärtes Ziel des Projektes sei, dass für MINT-Fächer bundesweit einheitliche Standards gesetzt werden, unabhängig vom Studienort: „Es soll egal sein, ob ich jetzt in Greifswald oder an der Uni in München studiere. Von überall soll ich Zugang zu einer Datenbank haben, wo aufbereitete Materialien zur Verfügung stehen. Die kann ich mir runterladen und mich dann damit auseinandersetzen. Das gibt es momentan noch nicht.“

Das Projekt Math4VIP verfolgt neben dem neuen Arbeitsplatz außerdem noch das Ziel, den Übergang von Schule zu Hochschule barrierefreier zu gestalten. Für diesen Plan wurde Kai Kortus von der Uni Marburg mit dem Lehrpreis Lehre@Philipp22 ausgezeichnet. Zusätzlich soll der Studienort attraktiver und zugänglicher gestaltet werden. Zum Beispiel durch das Erstellen von taktilen Raumplänen und einer besseren Ausschilderung. Durch diese Fortschritte werden sich hoffentlich bald noch mehr begeisterte Studierende an die MINT-Studienfächer herantrauen und den bereits eingeschriebenen Studierenden wird ein inklusiveres und angenehmeres Studium ermöglicht.

Weitere Informationen könnt ihr auf der Homepage des Projektes finden.

(Lektoriert von jok und hab.)

Helen ist seit Juni,23 dabei und sollte eigentlich lieber Masterarbeit schreiben.

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