Endgegner*in: Fern- und Nahverkehr in Marburg

Endgegner*in: Fern- und Nahverkehr in Marburg

Bild: Malu Wolter


Wenn dir das Leben Zitronen gibt, gibt dir die wacklige Internetverbindung oder die Drehtür in der Bib vielleicht noch den Rest – in unserer neuen Reihe schreiben wir über die Endgegner*innen des Unialltags, also Dinge, die Studis an den Rand der Verzweiflung bringen.

Die Tür zu meinem Mehrparteien-Flur fällt ungefähr eine Stunde, bevor mein Zug am Marburger Hauptbahnhof halten soll, hinter mir ins Schloss. Es nieselt. Ich öffne die blaue Klapphülle meines Smartphones und die Google Maps-App, während ich die Stufen hinunter zur Straße gehe. Verschiedene Busse werden angezeigt, die mich heute morgen zum Bahnhof kutschieren könnten. Die Abfahrtzeiten der Busse sind mir egal, stimmen eh nie – in Marburg fahren Busse manchmal sogar zu früh! Mir ist nur wichtig, dass ich gleich, wenn ich an der Bushaltestelle Gutenbergstraße stehe, weiß, dass der Bus, der dann tatsächlich auftaucht, auch zum Bahnhof fährt. Manchmal frage ich aus Faulheit und Zeitnot die Person in der Fahrerkabine.

Beim Schreiben dieser Sätze habe ich die Stimme eines Kumpels im Ohr, der sagt, dass ich mittlerweile wenigstens die Busse zum Hauptbahnhof kennen müsste. Dieser Kumpel wohnt jedoch auch im Studentendorf, einer Art Ansammlung von Studentenwohnheimen. Die hier wohnenden Studierenden sind auf Busse angewiesen, auch wenn die Anbindung sehr schlecht ist, Busse insbesondere abends unregelmäßig und spätestens ab Mitternacht eigentlich gar nicht fahren. Ja, ich bin seit vier Jahren in Marburg, aber ja, ich habe bisher vermieden, Bus zu fahren. Ich wohne im Stadtkern und das ist in Marburg ein Privileg. Zu verlockend ist das Angebot von nextbike, zu angenehm frisch die Luft auf den kurzen Fußwegen, zu unzuverlässig und stickig die Busse in Marburg.

In den letzten paar Monaten musste ich dann doch zur Arbeit mit dem Bus fahren und habe beschlossen, mich unabhängig von nicht eingehaltenen Fahrplänen zu machen und an viel befahrenen Haltestellen den nächstbesten Bus zu nehmen – weniger Aufregen über zu späte Busse und mehr Flexibilität. Es hat schon seinen Grund, warum ich mitten in der Stadt wohnen wollte. Zum Bahnhof hätte ich auch laufen können, aber mit Gepäck auf den Schultern und tickender Uhr im Hinterkopf ist mir das doch zu stressig.

Ich komme also eine halbe Stunde zu früh am Bahnhof an, setze mich schon mal ans richtige Gleis, um fünf Minuten später der Ansage zu lauschen, dass mein Zug 40 Minuten zu spät kommen wird, weil ein vorangegangener Zug Probleme hatte. Kurzerhand entscheide ich, nochmal aufzustehen. Mehr als eine Stunde an diesem grauen, kalten und windigen Gleis zu sitzen, würde mich wahrscheinlich meine Gesundheit kosten. Im Gehen schreibe ich unserem Klima-Ressort, dass wir unbedingt etwas über die Leiden der jungen Studierenden mit der Deutschen Bahn schreiben müssen. Ich ärgere mich jedes Mal, wenn ich mit der Bahn in die Heimat fahre. Einmal saß ich sogar in einem Zug, der aufgrund von einer Gleissperrung nicht weiterfahren konnte und zurückgefahren ist. Einen Tag vor Weihnachten.

Angekommen in der Empfangshalle des Bahnhofs, schaue ich mich nach einer Sitzgelegenheit und einer Toilette um. Die öffentliche Toilette dieses Bahnhofs habe ich schon mal benutzt und muss ich gerade ehrlich gesagt nicht haben. McDonalds ist das einzige Restaurant in der Empfangshalle, das Sitzplätze anbietet – keine Lust auf fettige Luft. Während ich mich um mich selbst drehe, entdecke ich eine Freundin, die verunsichert auf ihr Handy schaut. Ich rufe ihren Namen und gehe auf sie zu. „Na, mein Zug hat 40 Minuten Verspätung“, sage ich. „Meiner auch“, erwidert sie – wir meinen denselben Zug. Um aus Marburg rauszufahren, bieten sich den meisten Studierenden nur die Möglichkeiten, über Kassel oder Frankfurt zu fahren, egal wohin. Es ist also nicht verwunderlich, dass wir in dieselbe Richtung fahren.

Nachdem wir uns kurz beieinander über die Situation ausgelassen haben, entscheiden wir, außerhalb des Bahnhofs nach einem Café und einer annehmbaren Toilette zu suchen. Wir sind uns einig, dass die Restaurants und Cafés vor dem Bahnhof höchstwahrscheinlich von genau solchen Situationen profitieren, denn wir sind nicht die einzigen, die das Café aufsuchen, in dem wir uns niederlassen, um die Toilette zu benutzen. Genau wie an Tankstellen auf Raststätten ist die Toilette nur zugänglich, wenn das Personal sie einem extra öffnet. Sieben Euro lasse ich in diesem Café.

Wir bewegen uns Richtung Gleis, neuer Versuch: Die Verspätung hat sich mittlerweile zwar verlängert, aber wir sind zu zweit, haben uns lange nicht gesehen und viel zu bereden. Die Zeit vergeht. Als der Zug Richtung Westerland startet, haben wir beide sogar einen Sitzplatz gefunden. Sie steigt in Kassel aus, weil sie umsteigen muss. Aufgrund der Verspätung hat sie ihren Anschlusszug, eine Regionalbahn, verpasst und weil sie ein Deutschlandticket gebucht hat, hat sie natürlich kein Recht, sich zu beschweren, sondern muss geduldig anderthalb Stunden auf die nächste Regio warten.

Sie ist gerade mal zehn Minuten ausgestiegen, da vibriert mein Smartphone: Ein „Ernsthaft“ begleitet einen Screenshot von ihrem Zug nach Dortmund Hauptbahnhof, der zeigt, dass ihr Halt entfällt. Auch wenn sie sich am Tag zuvor ein Deutschlandticket gekauft hat und extra nicht über Frankfurt gefahren ist, um Geld zu sparen, muss sie sich jetzt ein Fernzugticket für 50 Euro kaufen. Sie fährt jetzt auch über Hannover und schreibt: „Richtig nervig, hätte ja einfach in deinem  Zug bleiben können.“

Was die Marburger Studis sonst noch im Endgame verzweifeln lässt, lest ihr hier.

(Lektoriert von hab und jok.)

studiert im Master 'Soziologie' und 'Literaturvermittlung in den Medien'. Seit 2022 in der Redaktion sowie im Lektorat aktiv und seit Januar 2023 Chefredaktion von PHILIPP.

studiert in Marburg Literaturvermittlung in den Medien und führt eine ungesunde Beziehung zur Marburger Universitätsbibliothek.

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