„Er ist schwul, jaaaaa!” – Ein AStA-Referat feiert sein 30-jähriges Jubiläum

„Er ist schwul, jaaaaa!” – Ein AStA-Referat feiert sein 30-jähriges Jubiläum

Chor Aqueerious, Foto: Niko Dörr

Seit nunmehr 30 Jahren setzt sich das Referat für „Homosexualität, Kultur und Wissenschaft“ (HoKuWi) für eine verstärkte wissenschaftliche Beleuchtung von LGBTQIA+-Themen ein. Zum Perlenjubiläum wurde es nun bei einem Festakt im Rahmen der Queer-Filmreihe Marburg gefeiert. 

Es gibt mehr als zwei Geschlechter? Nicht alle Menschen sind heterosexuell? Wenn ihr euch diese Fragen schonmal gestellt habt, dann geht es euch wie den meisten eurer Kommiliton:innen. Spätestens im Studium beschäftigen sich viele das erste Mal intensiver mit dem „Anderssein“. LGBTQIA+-Themen und die Uni gehören zusammen – so auch in der Forschung. Nicht nur im Alltag, sondern auch in der Wissenschaft sind queere Themen immer mehr aus der Ecke des Tabus in den Raum der Toleranz vorgedrungen. Das war aber nicht immer so. Noch bis 1990 galt Homosexualität laut WHO als Krankheit. Auch bei uns an der Philipps-Universität Marburg wurde mit Fachliteratur gelehrt, in der Homosexualität als psychische Störung angesehen wurde. Da kann man sich vorstellen, wie schwierig es früher gewesen sein muss, über queere Themen wissenschaftlich zu schreiben. Doch zum Glück waren die Studierenden dabei auch früher schon nicht allein. Es gab das HoKuWi, das sie bei ihrer Arbeit unterstützte. Und dieses HoKuWi feiert jetzt seinen 30. Geburtstag. 

HoKu-Was?

Ihr denkt euch jetzt vielleicht HoKu-Was? Die Abkürzung HoKuWi steht für „Homosexualität, Kultur und Wissenschaft“ und ist ein Referat des AStA. Vor 30 Jahren trat das Referat vom „Wissenschaftlichen Schwulismus”, out of the closet und rein in den Uni-Alltag. Später wurde das von der Rosa Liste gegründete Referat in HoKuWi umbenannt. Mittlerweile haben sich die Arbeitsschwerpunkte des Referats verändert. Für Unterstützung beim Publizieren über LGBTQIA+-Themen kann man sich aber auch heute noch dorthin wenden.

Queere Geschichten, gemütliche Sessel und Popcorn: Die Queer-Filmreihe Marburg

Und was macht das Referat heute? Gemeinsam mit dem Verein Tuntonia e.V. und der Marburger Filmkunsttheater GmbH organisiert es unter anderem die Queer-Filmreihe Marburg. Die Filmvorstellungen finden im Capitol statt und der Eintritt ist frei.

Auftaktfilm der diesjährigen Staffel am 11.05.2023: Der Einstein des Sex – ein Portrait des Mediziners Dr. Magnus Hirschfeld: Vater der Sexualwissenschaften und Begründer des weltweit ersten Instituts für ebenjene 1919 in Berlin. Selbst homosexuell, kämpfte er „für die Rechte sexueller und geschlechtlicher Minderheiten wie Homosexuelle, Transvestiten und Intersexuelle“ (Quelle). Rosa von Praunheim, bedeutender europäischer Regisseur und wichtige Person in der LGBTQIA+-Bewegung in Deutschland, führte die Regie des autobiographischen Spielfilms aus dem Jahr 1999. 

Sekt, Reden und Häppchen verschiedener Art: Die Uni feiert

Anlässlich des HoKuWi-Perlenjubiläums fand vor der Filmvorführung ein Festakt statt. In verschiedenen Redebeiträgen wurde dem Referat gratuliert und für seine Arbeit gedankt. Unter den Redner:innen waren auch der DIE LINKE-Kreisvorsitzende Philipp Henning und Viktoria Ehrke aus dem AStA-Vorstand. Neben den Gratulationen wurde die weiterhin teilweise prekäre soziale Lage von queeren Menschen angeprangert. Viktoria Ehrke (Rosa Liste) sagte dazu: „Queere Menschen werden immer noch auf der Straße, in der Universität und zuhause diskriminiert“. Wer selbst Diskriminierung an der Uni erfahren hat, kann sich neben dem HoKuWi auch an das Autonome FrauenLesbenReferat, das Autonome Schwulenreferat oder eine Vertrauensperson am eigenen Fachbereich wenden. Die Botschaft des HoKuWi ist: Wer sich an der Uni engagieren möchte, soll sich hochschulpolitisch beteiligen, damit die queeren Interessen im Student:innenparlament und im AStA besser vertreten sind. (Kleiner Reminder: Bis zum 27.06.2023 könnt ihr im Rahmen der Hochschulwahlen noch eure Stimme abgeben und PHILIPP hat Interviews mit allen Parteien geführt).

Musikalisch umrahmt wurden die Redebeiträge durch den queeren Chor Aqueerious. Auf sich aufmerksam machten die hessischen Sänger:innen jedoch schon bevor sie überhaupt einen Ton von sich gaben – durch ihre Outfits: bunte Shirts mit Aufdrucken wie „lesbisch”, „gay”, „Queen”, oder „Mensch“. Dann wurde gesungen und das ganz nach dem Motto: proud and loud. Die Setlist bestand aus Cover-Versionen berühmter Klassiker. So wurde aus Hit the Road, Jack ein Song darüber, dass man die „Pfoten“ wegnehmen solle, denn „nein heißt nein heißt nein“. Leonard Cohens berühmtes Hallelujah wurde umgetextet zu „Er ist schwul, jaaaaa“.

Auf die musikalischen Leckerbissen folgten weitere – auch für die Seele, aber diesmal nicht für die Ohren: ein Buffet mit kleinen Häppchen. Und Sekt. Gut gestärkt konnte man sich dann in die gemütlichen Kinosessel fallen lassen und sich auf den Film konzentrieren.  

Eine schmerzhafte, aber wichtige Reise in die Vergangenheit: Homosexualität und Nationalsozialismus

„Film ab“, heißt es auch wieder am 22.06.2023 bei der Queer-Filmreihe Marburg. Dann wird um 20:00 Uhr der Dokumentarfilm Paragraph 175 gezeigt. Der Film von Jeffrey Friedman und Robert Epstein aus dem Jahr 2000 behandelt das Leben von Homosexuellen in der Zeit des Nationalsozialismus. Das Leiden von Homosexuellen zu dieser Zeit bildet den zweiten Schwerpunkt des HoKuWi.

Die Nationalsozialist:innen schränkten nicht nur die Rechte und Freiheiten von Jüd:innen ein, sondern auch von anderen Menschen, unter anderem Homosexuellen. So kam es im Jahr 1935 zu einer Verschärfung des § 175 des deutschen Strafgesetzbuches. Die Folge: Alle „unzüchtigen“ Handlungen zwischen Männern wurden verboten. Weibliche Homosexualität hingegen war in Deutschland nicht strafbar. Grundsätzlich wurde das „Konzept Weibliche Sexualität” (noch) nicht ernst genommen. Und was hieß die Verschärfung jetzt konkret? Nur ein einziger falscher Blick zwischen zwei Männern konnte schon zu einer Verhaftung führen. Eine Welle der Verfolgung, Verhaftung und Verschleppung in Konzentrationslager rollte über Nazi-Deutschland. Insgesamt wurden zwischen 1933 und 1945 bis zu 15.000 homosexuelle Männer in Konzentrationslager deportiert – Lager wie das KZ Buchenwald, nur 250 km von Marburg entfernt. Was sie dort erwartete? Ein rosa Winkel zur Kennzeichnung, Demütigung, schwere körperliche Arbeit, Gewalt und der Tod. Tausende schwule Männer überlebten die Gefangenschaft nicht – 300 allein in den KZ Buchenwald und Mittelbau-Dora. 

Zu dem Thema „Homosexuell verfolgte Häftlinge in den KZ Buchenwald und Mittelbau-Dora“ organisiert das Referat am 23.06.2023 eine Tagesexkursion zur KZ-Gedenkstätte Buchenwald. Start ist um 8:00 Uhr am Erwin-Piscator-Haus und anmelden kann man sich per Mail: hokuwi@asta-marburg.de. Dank Hebebühne ist auch Rollstuhlfahrer:innen eine Teilnahme an der kostenlosen Exkursion möglich. Die Führung dauert drei Stunden und die geplante Ankunft in Marburg ist um 21:30 Uhr.

Mehr Informationen zu der Exkursion findet ihr hier.

(Lektoriert von let, jok und hab.)

ist 1999 in NRW geboren. Studiert seit 2018 in Marburg. Beim Philipp Magazin seit Mai 2023 in der Redaktion aktiv. Wohnt immer noch in ihrer ersten Marburger WG.

2001 in München geboren. Studiert KuMuMe in Marburg. Seit 2023 im Social-Media-Team und der Redaktion bei PhilippMag.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Wordpress Social Share Plugin powered by Ultimatelysocial
Instagram
Twitter