Nazi-Rhetorik: Zwischen Ideologie und Sprache

Nazi-Rhetorik: Zwischen Ideologie und Sprache

Es gibt sie immer noch, Worte und Phrasen, aus einer Zeit der dunkelsten Menschheitsgeschichte. Einer Zeit, in der Minderheiten gnadenlos verfolgt und vernichtet wurden. Was davon übrig bleibt, ist nicht nur die Erinnerung an die Taten der Nazis während des zweiten Weltkrieges, sondern eben auch ein Teil ihrer ideologisierten Sprache. Sie hat die Zeit überdauert und ist nach wie vor, man mag es kaum glauben, ein fester Bestandteil unseres Alltags. Und wir verwenden sie, ohne zu wissen, in welchem Kontext sie einst stand. Erschreckend, wenn man bedenkt, dass wir in einer vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft leben. Doch wie sollten wir damit umgehen?

Folgende Szene: Man steht an der Supermarktkasse. Es ist voll und die Warteschlange staut sich weit bis in den Laden hinein. Mit lediglich einer Flasche Wasser in der Hand und der Befürchtung, zum nächsten Termin zu spät zu kommen, bittet man freundlich vorgelassen zu werden. Zurück kommt lediglich: „Keine Sonderbehandlung!“ So weit, so schlecht, denn in dem Wort Sonderbehandlung schwingt die Bedeutung einer dunklen Vergangenheit mit. Denn was für uns eine alltägliche Bedeutung hat, war ein fester Begriff der Nazi-Sprache. Kurzum war das Wort nichts anderes als eine Code-Bezeichnung für die Ermordung von Menschen.

Der Schein trügt

„Wer eine Gerechtigkeitsformel [Jedem das Seine], die fast 2500 Jahre alt ist, schon durch die kurzzeitige Pervertierung durch ein Terrorregime als nicht zitierfähig ansieht, gestattet dessen geistigem Zerstörungswerk fortzuwirken, anstatt offensiv und aufklärend gegen diese Pervertierung vorzugehen.“ – Dietmar von der Pfordten

Nun wird es mit Sicherheit vielen so wie Oskar Schindler beim Gespräch mit seinem Sekretär Itzak Stern ergehen: „In den Weisungen aus Berlin ist immer häufiger von ‚Sonderbehandlung’ die Rede. Ich hoffe, das ist nicht, was sie meinen“. Schindler: „Vorzugsbehandlung, einverstanden? Müssen wir eine ganz neue Sprache erfinden?“ Darauf Stern: „Ich glaube schon.“ Denn wo es ein Wort gibt, gibt es noch viele mehr. Die Frage, die sich nun natürlich stellt ist, welche Worte denn nun als kritisch zu betrachten sind. Ein schwieriges Unterfangen, denn eine negative Konnotation gibt es im heutigen Gebrauch nicht immer.

Beispiele gibt es viele. Völkisch, Mädel oder die Floskel jedem das Seine sind einige wenige Ausdrücke. So bekommen wir Mädel zu Hauf in einer gewissen Modelshow entgegen geschleudert oder werfen jedem das Seine jenen schnippisch vor, die es durch meist ungeschickte Situationen nicht anders verdient haben. Völkisch wiederum ist ein äußerst kritischer Begriff. Denn während Mädel zwar häufig in der NS-Zeit verwendet wurde, was unter anderem dem Bund deutscher Mädel geschuldet ist, aber die negative Verbindung nicht mehr vorhanden ist, so ist völkisch nichts anderes als ein Ausdruck von Nationalismus oder kurzum ,,Deutsch sein“. Und dennoch versuchte Frauke Petry diesen Begriff wieder salonfähig zu machen.

Zur Wirkung von Sprache

Warum wir uns auch heute noch mit der Sprachverwendung im dritten Reich beschäftigen sollten, zeigt folgendes Beispiel: Wenn ihr jemanden „Was ist das für ein Köter?“ oder aber „Was ist das für ein Hund?“ fragt, ist die Reaktion eine andere. Sprache hat immer eine Wirkung. Wenn wir uns diese Wirkung nicht bewusst machen, funktioniert sie unterschwellig. Propaganda lebt von ihrer unterschwelligen Wirkung und die dadurch ausgelösten Emotionen.

Wenn Höcke in einer Rede die Regierung als „zu einem Regime mutiert“ beschreibt, dann greift er auf eine Metaphorik aus dem Bereich der Biologie/Medizin zurück. Diese verwendeten auch die Nazis massiv: Die Bezeichnung des Judentums als Krebsgeschwür oder Parasit am deutschen Volkskörper ist in vielen Reden aus der Zeit des dritten Reichs zu finden. Charakterisiert man nun ein Volk als Körper, so ist es nur logisch, dass dieser Körper auch Krankheiten bekommen kann. Krankheiten sind eine Urangst des Menschen, es ist natürlich, sich gegen sie zu schützen und auch das Virus zu töten, um den Wirt zu retten. Die Metaphorik bedient sich und stärkt ebendiese Urangst. Der Massenmord an 6 Millionen Menschen wird so durch eine bestimmte Sprachverwendung legitimiert.

Was tun?

Nun gibt es Stimmen, die all dem Erbsenzählerei oder übertriebene politische Korrektheit unterstellen. Es geht auch nicht unbedingt darum, all diese Begriffe zu vermeiden. Man sollte sich aber bewusst machen, in welchem Kontext diese Worte einst standen, so wie es der Rechts- und Sozialphilosoph Dietmar von der Pfordten anführt. Wir müssen darüber reden, so viel steht fest. Gerade in Zeiten, wo Björn Höcke sich einer radikalen Sprache bedient oder Frauke Petry völkisch wieder etablieren will. Doch wie sollen wir nun damit umgehen? Die Tatsache ignorieren und die Sprache entkontextualisieren, bis der ursprüngliche Sprachgebrauch vergessen ist? Oder all diese Worte tilgen und auf irgendeine Liste setzen, wo es in der Beschreibung heißt: „Dies sind böse Worte! Verwendet sie nicht!“ Sind wir dann nicht genauso, wie das NS-Regime? Lassen wir dadurch das Böse gewinnen?

Sensibilität ist das Stichwort. Sprache lässt sich nun mal nicht so einfach von heute auf morgen verändern. Sie ist ist ein langwieriger Prozess, wo ein plötzlicher Eingriff schnell den Eindruck einer Einschränkung der Meinungsfreiheit laut werden lässt. Denn nicht alle Worte, die von den Nazis verwendet wurden, hatten den ursprünglichen Zweck, eine menschenverachtende Ideologie zum Ausdruck zu bringen. Tatsache ist dennoch, dass diese negativ behaftet sind. Eine Rückforderung der Sprache mag dementsprechend sinnvoll erscheinen, doch das klingt einfacher als es ist. Letztendlich ist der sensible Umgang und das Bewusstsein der Vergangenheit entscheidend.

Mehr Infos zum NS-Sprachgebrauch findet ihr hier.

Um zu sehen, wann welcher Begriff wie häufig verwendet wurde ist dieses Tool sehr hilfreich.

FOTO: CC Diogo P. Duarte, unverändert

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