Sneak-Review #192: Spencer

Sneak-Review #192: Spencer

Im Film „Spencer“ von Pablo Larraín wird die Krise des englischen Königshauses um Prinzessin Diana behandelt, indem die Princess of Wales und ihr Gefühlsleben konsequent in den Mittelpunkt gestellt werden. Es handelt sich um keinen typischen Historienfilm, der genaue Abläufe und Ereignisse wiedergeben will, sondern vielmehr um ein Psychodrama, das eine höhere Wahrheit ins Visier nimmt – Dianas inneren Konflikt zwischen gesellschaftlicher Pflichterfüllung und ihrem Streben nach persönlichem Glück.

Weihnachten bei den Royals

Die Handlung vollzieht sich über das Weihnachtfest 1991 auf dem königlichen Sandringham Estate in Norfolk, zu dem Diana mit Verspätung erscheint. Angesichts der kommenden Tage ist sie von tiefem Unbehagen erfüllt, denn ihre Ehekrise mit Prinz Charles, nicht zuletzt verursacht durch dessen Verhältnis zu einer anderen Frau, sorgt bereits seit geraumer Zeit für große Spannungen zwischen ihr und der königlichen Familie. Bereits beim Empfang wird sie mit der förmlichen, von ihr mittlerweile verachteten, adeligen Etikette begrüßt und beim Abendessen begegnen ihr die soziale Kälte und die Missachtung der anderen Familienmitglieder. Nur bei ihren Söhnen sowie ihrer Bediensteten und Freundin Maggie findet Diana Ablenkung und Trost in warmherzigen Gesprächen. Ständig beäugt und überwacht wird sie von dem ehemaligen Offizier Major Alistair Gregory, welcher dafür Sorge tragen soll, dass keine für das Königshaus unerwünschten Einblicke in Dianas Privatleben an die Presse gelangen. Inmitten ihres sich durch den psychischen Druck zusehends verschlechternden Geisteszustands, durch den sie sowohl Halluzinationen als auch einen Drang zur Selbstzerstörung entwickelt, wird Diana schließlich vor eine grundsätzliche Lebensentscheidung gestellt.

Eine handwerklich ausgezeichnete Bescherung

Kristen Stewart verkörpert die nahezu universal populäre Lady Di mit ihrer Sehnsucht nach Selbstbestimmung hervorragend und meistert die äußerst schwierige Aufgabe als Star in einem Film zu überzeugen, der voll und ganz auf deren Charakter zugeschnitten ist. Auch alle anderen Darsteller liefern vortreffliche Darbietungen, egal ob als stoische Mitglieder der Königsfamilie, als diszipliniert pflichtbewusstes Personal oder verständnisvoll mitfühlende Bedienstete. Besonders gut gelungen sind die Kameraarbeit und Bildsprache des Films. Keine Kamerafahrt ist unnötig, sondern konzentriert sich immer auf die Hauptdarstellerin und ihre Bewegungen. Auch die sehr ästhetische Inszenierung der vor königlichem Prunk protzenden und adelige Kälte ausstrahlenden Räumlichkeiten ist beachtenswert. Ein weiteres Qualitätsmerkmal stellt die Filmmusik dar, welche sich abwechselnd von langsamer, formbewusster Klassik zu schnellerer, eigenwilliger Jazzmusik bewegt und so Dianas Zerrissenheit inmitten von aristokratischem Ethos und persönlichem Widerstand ausdrucksstark begleitet. Die Schwächen des Films sind vor allem in der Handlung zu finden, denn die eher langsame Inszenierung des Films wird sicherlich nicht jedermanns Geschmack treffen und einzelne Momente bergen eine gewisse Gefahr allzu sehr ins Melodramatische abzurutschen. So beispielsweise, als Diana auf eine etwas unglaubwürdige, dramatische Weise ihre Söhne von der ihr verhassten Fasanenjagd wegholt, indem sie sich zwischen die Jäger und ihre Beute begibt. Des Weiteren zeichnet sich die sehr geradlinige Handlung durch vorhersehbare Charaktere und eine nicht wirklich subtile Symbolik aus, was zwar auch darauf zurückzuführen ist, dass die historischen Abläufe weitgehend bekannt sind, aber nicht allein dadurch gerechtfertigt werden sollte.

Adel verpflichtet

Den thematischen Mittelpunkt des Films bildet der Konflikt zwischen adeliger Tradition und bürgerlich liberaler Lebensweise. Zahlreiche symbolische Momente, wie das Zunähen ihrer Vorhänge sowie das Tragen unliebsamen Schmucks, verdeutlichen dabei das psychische Gefängnis, in dem sich Diana befindet und aus dem sie immer wieder auszubrechen versucht. Ganz klar ausformuliert wird das Dilemma, als Major Gregory an ihr Pflichtgefühl appelliert. Wenn Soldaten im Kampf für die Interessen der Krone ihr Leben ließen, solle auch sie Loyalität zeigen, worauf Diana antwortet, dass sie ein solches Opfer niemals verlangen würde. Die Hingabe des Einzelnen für eine in der Tradition verankerte Idee steht hier gegen die moderne, individuelle Selbstbestimmung. Außerdem zieht der Film eine interessante Parallele zu Anne Boleyn, der von König Heinrich dem VIII. hingerichteten zweiten Ehefrau, welche Diana wiederholt als Halluzination erscheint. Boleyns Leben wurde durch ihre Beziehung zum Königshaus zerstört und Diana will diesem Schicksal entkommen, bevor sie an ihrem Gewissenskonflikt zerbricht.

Königlicher Schmaus

Diese langsame aber intensive Darstellung von Prinzessin Dianas moralischer Odyssee ist trotz einiger melodramatischer Momente sehr gut gelungen. Kinobesucher, die ein eindringliches Psychodrama nicht scheuen, werden mit wunderbaren Bildern, exzellenter Filmmusik und starken schauspielerischen Leistungen belohnt. Für Interessierte an Dianas Person oder dem britischen Königshaus generell, die mit dieser eher kritischen Betrachtung aristokratischer Werte umgehen können, wird der Film ohnehin ein Leckerbissen sein.

Spencer“ ist ab dem 13.01.2022 in deutschen Kinos zu sehen.

Foto: © Pablo Larraín, DCM

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