Sneak-Review #193: Licorice Pizza

Sneak-Review #193: Licorice Pizza

Der neue Film von Paul Thomas Anderson (u.a. „There Will Be Blood“, „Der seidene Faden“, „The Master“) trägt den kuriosen Titel „Licorice Pizza” und wurde am 18.01.2022 in der Sneak-Preview des Cineplex Marburgs gezeigt. Dieser großartige Coming-of-Age Film sorgte für Gelächter im Saal, aber ließ auch einige Fragen zurück.

Wasserbetten, Nixon und die Ölkrise

Am Schulfototag in den 1970ern lernt der 15-jährige Kinderschauspieler Gary Valentine (Cooper Hoffman) die zehn Jahre ältere Assistentin des Fotografen Alana Kane (Alana Haim) kennen. An ihr prallen seine schmachtenden verliebten Kommentare ab. Sie fühlt sich geehrt von seiner Anhimmelei, aber weist ihn zurück. Gary gibt jedoch nicht auf und schafft es, sie zu einem Date am selben Abend zu überreden, aus dem sich eine einzigartige Freundschaft entwickelt. Innerhalb der kompletten 133 Minuten Laufzeit entfaltet sich die Freundschaft der beiden weiter und wird auf die Probe gestellt. Denn Garys Eifersucht wächst, als Alana bereits nach einigen Tagen seinen Schauspielkollegen datet. Alanas und Garys Verbundenheit scheint fragil und dennoch standfest zu sein: Sie gründen ein eigenes Wasserbett-Unternehmen, haben mit der Ölkrise 1973 zu kämpfen und dann ist da noch der nicht zu vernachlässigende Altersunterschied.

Harmonie auf ganzer Linie

Der Film stützt sich eindeutig auf die Rollen, keineswegs auf die Handlung. Cooper Hoffman und Alana Haim harmonieren in jeder einzelnen Einstellung des Films, als seien die beiden für die Leinwand geschaffen. Beide geben ihr Spielfilmdebüt, aber mangelnde Erfahrung ist in keiner Sekunde anzumerken. Als Nebendarsteller:innen tauchen Tom Waits, Sean Penn, die echten Schwestern und Eltern von Alana Haim, sowie Bradley Cooper auf. Letzterer stiehlt jeder anderen Figur die Show und liefert mit viel zu wenig Screentime die wohl beachtlichste Nebenrollenleistung seit langem ab. Dennoch wartete ich sehnsüchtig auf gemeinsame Szenen von Hoffman und Haim. Erst zusammen auf der Leinwand ergänzen sie sich und wirken vollkommen. Wenn sie in Zeitlupe aufeinander zulaufen, die Haare in der heißen Sommernacht an der Stirn klebend, begleitet von einer ausgezeichneten Musikwahl, dann geht jeder Person das Herz auf. Eine echte Dynamik und Lebensenergie zwischen zwei fiktiven Personen durch aufgenommene Bilder zu spüren, ist äußerst selten.

Der Film handelt im Grunde von der Beziehung der beiden zueinander. Das bedeutet aber nicht, dass Zuschauer:innen nur dem alltäglichen Leben zweier langweiliger, junger Erwachsener folgen. Wie in seinen vorherigen Filmen, erzeugt der Regisseur und Drehbuchautor Paul Thomas Anderson eine Unvorhersehbarkeit der Geschehnisse, die seinesgleichen sucht. Ein Zwischenfall ist absurder als der nächste, eine Idee übertrifft die vorherige. Selten geht der Film über die reine Begleitung der Hauptfiguren hinaus, doch sind die Stationen, zu denen die Zuschauer:innen ihnen folgen, nicht unwichtig. An der Seite der beiden werden die Auswirkungen der Ölkrise, die zu überwindenden Hürden auf dem Weg einer erfolgreichen Schauspielerkarriere und letztendlich der Wert der Freundschaft greifbar. Der Humor wirkt dabei nie erzwungen, die Witze sind dynamisch in die Dialoge eingebaut. Der Film war über weite Strecken weitaus lustiger als das emotionslose Ausschnauben des Zuschauers neben mir annehmen ließe.

Wo hört realistische Darstellung auf?

Die Kameraarbeit von Paul Thomas Anderson und Michael Bauman ist eine Reise in das Jahr 1973. Das Produktionsdesign, die Farben, Kostüme, ja sogar das Verhalten der Figuren, gab mir das Gefühl zwei Stunden lang in den 70ern zu leben. Durch die Musik von David Bowie, The Doors, Paul McCartney oder Chris Norman & Suzi Quatro überträgt der Film ein Lebensgefühl, das in der Filmwelt selten erlebt werden kann (Der Soundtrack läuft danach in Dauerschleife). Paul Thomas Anderson möchte das Jahrzehnt scheinbar in all seinen Facetten zeigen, denn selbst vor unpassend erscheinenden, an Absurdität nicht zu übertreffenden, rassistischen Szenen schreckt er nicht zurück: Jerry Frick (John Michael Higgins) spricht ausgezeichnetes Englisch, bevor er sich zu seiner japanischen Frau (Yumi Mizui) dreht und einen grotesken, japanischen Akzent über sein Englisch legt, um ihr etwas zu erklären. Bei solch einer Szene reichen die Reaktionen von Unwohlsein bis hin zu lauten Lachern. Es hätte dem Film an nichts gefehlt, wenn diese Szene einer Kürzung zum Opfer gefallen wäre.

So muss Film sein

Häufig erinnerte mich „Licorice Pizza“ an eine jüngere, in die 70er verfrachtete, glanzlosere Nicht-Musical Version von „La La Land“ (Damien Chazelle). Über die gesamte Laufzeit mögen sich die Zuschauer:innen fragen, was der Film aussagen möchte. Worum geht es überhaupt? Was ist seine Essenz? Dem Film ist nicht abzusprechen, dass er in der greifbaren Handlung tatsächlich ein wenig unergiebig ist. Lassen die Zuschauer:innen sich darauf ein, dann begegnet ihnen ein originelles, nostalgisches Erlebnis, das voller Energie und Leben strotzt. Die beiden Hauptfiguren brachten meine Augen zum Leuchten. Eine Meisterleistung eines Regisseurs, dessen Filme sich an Einzigartigkeit immer wieder überbieten. Endlich bringt ein Film mal wieder Gefühle hervor!

„Licorice Pizza“ erscheint am 27. Januar 2022 in den deutschen Kinos.

Foto: Paul Thomas Anderson, Metro-Goldwyn Mayer Pictures

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