Marburg, deine Vögel
Neben Universitätsgebäuden, Treppen, Anspielungen auf die Gebrüder Grimm und Fachwerkhäusern gibt es in Marburg eine Welt, die Unaufmerksamen verborgen bleibt. Marburg ist nämlich auch reich an Vögeln. Tauben und Amseln finden sich beinahe überall, an ausgewählten Orten in Marburg sind aber noch viele andere Arten heimisch. Die hier vorgestellte Route durch die Stadt ist vor allem im Frühling und Sommer gültig. Danach ziehen viele Arten in ihre Wintergebiete und sind nicht mehr zu sehen. Familien mit Kindern finden entlang der Route ein Stück Natur und Fotograf:innen entdecken die ein oder andere Art als neues Fotomotiv, dessen Farbvielfalt begeistern kann. Selbst diejenigen, deren Begeisterung für Vögel bislang nicht zum Vorschein kam, können hier eine Menge über die luftbewohnenden Tiere erleben.
(Hinweis: Dies ist nur ein kleiner Einblick in die Vogelwelt Marburgs mit Arten, die durchaus häufig anzutreffen sind. Alle hier genannten Arten und deren Standorte stammen aus meinen persönlichen Erfahrungen, die Fotos wurden in Marburg aufgenommen und können durch Klicken vergrößert werden.)
Zum Abflug bereit
Der Start befindet sich am Hauptbahnhof, für die Anreisenden praktisch und für alle anderen einfach zu finden, sowie mit fast jeder Busverbindung zu erreichen. Es mag ein bisschen dauern, bis euch die Stadttauben (Columba livia f. domestica) vom Hauptbahnhof nicht mehr vor die Füße laufen, ihr gen Süden den Krummbogen entlang geht und einige Minuten später im Ludwig-Schüler-Park ein fremdes Revier betretet – das des Buchfinks (Fringilla coelebs). Er ist einer der am weitesten verbreiteten Vögel Mitteleuropas und mit mehreren Hunderttausend Brutpaaren hierzulande vertreten. Sein charakteristischer, von Wiederholungen geprägter Gesang kann die anderen Singvögel in der Nähe schnell übertönen. In einer anderen Stadt mag der Vogel fremd klingen, seine Rufe und Gesänge gibt es nämlich in verschiedenen, regionaltypischen Dialekten. Die Grundstruktur seines Gesangs ist durch die laute, ruhelos wiederholte Strophe dennoch sehr einprägsam und auch für Anfänger:innen der Ornithologie (Vogelkunde) schnell zu lernen.
Viele Wege führen über die Lahn. Diesem Spruch folgend, wird die Brücke vom Krummbogen zur Uferstraße überquert. Wem ein Kormoran (Phalacrocorax carbo) über den Weg fliegt, darf sich glücklich schätzen. Es kommt nicht häufig vor, dass die Wege sich dort kreuzen, bevor er sich einige Meter weiter am Ufer niederlässt. Im Gegensatz zu den meisten anderen Wasservögeln fettet er sein Gefieder vor Tauchgängen nicht ein, sodass er es hinterher in imposanter, fotowürdiger Pose trocknen lassen muss. Hinter euch liegt nun der Ortenberg, über den hin und wieder einzelne Rotmilane (Milvus milvus) kreisen. Ihr natürliches Brutgebiet liegt an Waldrändern, ihr Jagdgebiet auf offenen Landschaften, deshalb ist die Stadt Marburg kein typischer Flugraum.
Weiter führt die Route entlang der Deutschhausstraße in Richtung der Elisabethkirche. Vorher biegt ihr jedoch zum Alten Botanischen Garten ab. Bevor das Paradies für Hobbyornitholog:innen betreten wird, lässt sich in einer der vielen Hecken und Büsche in der Johannes-Müller-Straße ein lautes Tschilp-tschilp hören. Die zwitschernden Sperlinge sitzen gemeinsam direkt am Gehweg und lassen sich von Fußgänger:innen nicht stören. Der als „Spatz“ betitelte Vogel ist besonders mit zwei Arten in der Stadt vertreten: Feldsperling (Passer montanus) und der in urbanen Gebieten häufigere Haussperling (Passer domesticus). Das geübte Auge vermisst beim Männchen des Feldsperlings den schwarzen Wangenfleck des Haussperlings, erkennt aber eine schwarze Kehle und eine graue Kappe auf dem Kopf. Das Weibchen des Feldsperlings sieht hingegen viel unscheinbar grauer aus. Wer sie nicht zu Gesicht bekommt, erkennt Sperlinge definitiv an den krächzenden, harten Tönen, die aus der Hecke kommen.
Der Alte Botanische Garten
Nun führt der Weg über die kleine Holzbrücke neben der Universitätsbibliothek. Der vor über 200 Jahren angelegte Alte Botanische Garten beherbergt mittlerweile mehr als 300 Baum- und Straucharten, sowie „Allerweltsarten“ und Schätze der Vogelwelt. Egal ob in der Lernpause oder als Abendspaziergang, der Teich hier ist immer einen Besuch wert. Mit hoher Sicherheit verweilen dort Stockenten (Anas platyrhynchos) – von April bis Juli sogar mit Jungtieren. Die Geschlechterbestimmung ist während der Paarungszeit bei den erwachsenen Stockenten sehr einfach: Der Erpel ist in seinem Prachtkleid durch das auffällig farbenfrohe Gefieder vom braunen Weibchen zu unterscheiden, ein Paradebeispiel des Geschlechtsdimorphismus. Dieser bezeichnet die äußerlichen Unterschiede zwischen Männchen und Weibchen der gleichen Art. Ab Juli und August mausert der Erpel sein Prachtkleid, sieht dem Weibchen zum Verwechseln ähnlich, ist jedoch an seinem gelben Schnabel weiterhin zu erkennen.
Schwieriger wird es bei den Teichrallen (Gallinula chloropus). Sowohl Männchen als auch Weibchen sind auf den ersten Blick schwarz gefiedert, bei genauem Hinsehen olivbraun schimmernd. Am auffälligsten ist der rotgelbe Schnabel, die rote Stirn und die grünen Beine mit den großen Zehen. Sie kommen sich durchaus mit den Stockenten in die Quere, wenn beide Arten den Teich als Habitat nutzen und ihre Jungtiere neugierig zur anderen Art hinübergehen.
Auch andere allgemein bekannte Arten lassen sich mit gespitzten Ohren und scharfem Blick täglich in den Bäumen entdecken: Die Blaumeise (Cyanistes caeruleus) ist der kleinste (11-12 cm) und leichteste (10 g) Vogel auf dieser Route. Er klettert schnell von Ast zu Ast, um – manchmal auch kopfüber – nach Nahrung zu suchen. Der Greifreflex, den Vögel innehaben, ermöglicht es ihnen, ohne Anstrengung ihre Krallen um oder an einen Ast zu klammern. Die Beine knicken ein, die Sehnen straffen sich und selbst im Schlaf fällt der Vogel nicht vom Baum. Erst, wenn sie ihre Beine durch Flügelschläge entlasten, löst sich der Griff. In direkter Nähe sitzt die Amsel (Turdus merula). Wenn ein schwarz gefiedertes Amselmännchen nicht gerade mit einem Konkurrenten in der Luft oder am Boden kämpft oder von einer hohen Warte singt, kann es auf einem Ast in nächster Nähe beobachtet werden. Eine kräftige Orangefärbung des Schnabels eines Männchens deutet auf seine Gesundheit hin: Die Karotinoide, die für die Färbung verantwortlich sind, können die Vermehrung von Parasiten zwar nicht verhindern, aber verlangsamen.
Die größte Art im Alten Botanischen Garten ist der Graureiher (auch Fischreiher genannt, Ardea cinerea). Der bis zu 1 m lange Vogel verweilt häufig vormittags auf dem über den Teich ragenden Baum. Im Flug sind sie an ihrem eingezogenen Hals zu erkennen und präsentieren ihre ca. 2 m große Flügelspannweite. Eine berühmte Vogelart, die sich jedoch selten blicken lässt, ist der Eisvogel (Alcedo atthis). Der Ursprung seines Namens bleibt weiterhin ungeklärt. Möglicherweise hat er sich aus dem Begriff „Eisenvogel“ entwickelt, ein Hinweis auf die stahlblaue Färbung der Oberseite und die rostrote Färbung des Bauchgefieders. Der Name des „fliegenden Edelsteins“ kann sich aber auch von „eisan“ ableiten, ein altdeutscher Begriff für „schillernd“ oder „glänzend“. Seine schnellen Flüge und pfeilartigen Tauchgänge zur Nahrungssuche machen ihn zu einem raren und begehrteren Fotomotiv, bei dem sich Geduld und Schnelligkeit auszahlen.
Über den Köpfen – nah am Menschen
Parallel zum botanischen Garten führt der Steinweg hinauf und durch die Oberstadt. Besonders dort sind die kreischenden Rufe der Mauersegler (Apus apus) gut zu hören. Sie verbringen den Großteil ihres Lebens in der Luft, außerhalb der Brutzeit sind sie beinahe ununterbrochen am Himmel zu sehen. Die Fähigkeit, während des Flugs zu schlafen, macht sie zu wahren Pionieren der Lüfte. Tagsüber vollziehen sie blitzschnell und über den Köpfen der Menschen ihre unberechenbaren Flugmanöver. Es scheint, als würden Sicheln die Luft durchschneiden. Nur von Mai bis August verbringt der Mauersegler als Zugvogel seine Zeit in unseren Breitengraden, bevor er nach Afrika in die Überwinterungsgebiete zieht. Die Mauersegler zu verpassen ist jedoch unwahrscheinlich.
Die Route verläuft über die Reitgasse und das Lahntor weiter in das Südviertel. Wenn im akustischen Hintergrund des Straßenmusikers, der kreischenden Mauersegler und der Unterhaltungen der Menschen ein knirschend-kratzendes Geräusch zwischen lieblichem Trillern zu hören ist, dann ist klar, dass der Hausrotschwanz (Phoenicurus ochruros) nicht weit ist. Waren sie vor mehr als 200 Jahren noch im Gebirge beheimatet, fühlen sie sich nun als Kulturfolger (Ansiedelung in der vom Menschen geprägten Kulturlandschaft) an den Häusern der Städte heimisch. In Nischen an Dächern und kleinen Öffnungen an Gebäuden bauen sie ihr Nest. Wenn sie es dann verlassen und nach der Nahrungssuche zurückkehren, sind sie auf Regenrinnen, Balkongeländern oder Dachfirsten an ihren wippenden, roten Schwanzfedern und flinken Bewegungen zu erkennen.
An der Lahn entlang
Nur einige Straßen weiter befindet sich erneut die Lahn, gesäumt von grünen Wiesen. Sie bietet an heißen Sommertagen nicht nur den Einwohner:innen Abkühlung, sondern den Wasservögeln auch einen Lebensraum. Eine Attraktion für Familien mit Kindern sind besonders die Höckerschwäne (Cygnus olor). Von dem schneeweißen Gefieder, dem langen, anmutigen Hals und der schieren Größe dieser Wasservögel sind Kinder schnell begeistert und scheuen sich nicht davor, die Tiere mit Brot zu füttern. Entgegen vieler Erwartungen können sich Vögel jedoch in kalten, harschen Wintermonaten und vor allem während der Brutzeit selbst ernähren. Das Füttern mit Brot ist demnach nicht nur unnötig, sondern sogar gefährlich. Es kann den Magen der Vögel aufblähen und durch den Überschuss an Zucker und Salz ihrer Gesundheit schaden. Bei zu häufiger Fütterung, nehmen die Wasservögel es nicht mehr an, das Brot sinkt auf den Grund des Gewässers, es wird dadurch überdüngt und dem Wasser wird der Sauerstoff überzogen. Beim nächsten Mal besser nur aus einiger Entfernung beobachten, sodass die Schwäne nicht gestört werden.
Eine beträchtliche Vielfalt
Das klein und unscheinbar wirkende Marburg ist das Zuhause vieler weiterer Arten: Das Rotkehlchen (Erithacus rubecula) kann vom Boden heraufschauen und Spaziergänger:innen ganz selbstbewusst im Weg stehen. Vielleicht versteckt sich ein Buntspecht (Dendrocopos major) am Baum in den Parks der Stadt; ein kurzes Trommeln weist auf seinen Standort hin. Ohrenbetäubendes Gekrächze aus den Baumwipfeln kann vom Eichelhäher (Garrulus glandarius) stammen, der an einer leuchtend blauen Gefiederpartie zu erkennen ist. Wer genug Kondition besitzt, kann in den Wäldern auf den Lahnbergen auf den Zilpzalp (Phylloscopus collybita) mit charakteristischem „zilp-zalp“ Gesang, die Mönchsgrasmücke (Sylvia atricapilla), zu identifizieren an der schwarzen Kappe der Männchen und rotbraunen Kappe der Weibchen und den Kleiber (Sitta europaea), kopfüber am Baumstamm kletternd, treffen. Auf den Feldwegen am Waldrand ist außerdem der Vogel des Jahres 1998 und 2019, die Feldlerche (Alauda arvensis), sowie die Nachtigall (Luscinia megarhynchos) zu finden, deren klarer, melodischer Gesang hunderte Strophen umfasst.
Es gibt viele Möglichkeiten die Vogelwelt Marburgs kennenzulernen. Nach diesem Rundgang ist eine Wiese an der Lahn der optimale Ort, um zu ruhen und den Blick nach oben zu richten. Im Frühjahr und im Herbst lassen sich Hunderte Kraniche (Grus grus) erkennen, die eine lange Reise in ihr Brutgebiet beziehungsweise Überwinterungsgebiet antreten. Marburgs einzigartiger Standort im Zugkorridor Mitteleuropas ermöglicht atemberaubende Beobachtungen. Auch Wespenbussarde (Pernis apivorus) und Weißstörche (Ciconia ciconia) zählen zu den Vögeln, die im Zugkorridor fliegen. In einer stillen Umgebung und mit geschlossenen Augen stechen die Gesänge und Rufe der Vogelwelt Marburgs hervor. Und selbst wer nicht die beschriebenen Arten entdeckt hat, findet noch viele andere in Marburg.
Fotos ohne Copyright-Angabe: Benedikt Schniedermeyer
Lieber Benne,
vielen Dank für den informativen Beitrag. Als Leie konnte ich allem sehr gut folgen und werde in Zukunft bei mir in Münster mehr Ausschau nach Vögeln halten und zu den Aufmerksamen gehören. Dank der guten Bilder werde ich nun mehr Arten erkennen können als nur Schluckspechte, Pechvögel und die frühen Vogel, den Wurm fangen.