Sneak-Review #191: Risiken & Nebenwirkungen
In der letzten Sneak Preview des Jahres zeigte das Cineplex Marburg am 07.Dezember 2021 den neuen Film des Österreichers Michael Kreihsl „Risiken & Nebenwirkungen“. Der Film beschäftigt sich mit der Frage, wie viel man für seine Liebsten zu opfern bereit wäre, wenn eine Beziehung und das eigene Leben davon abhängt. Ob der Film das sensible Thema geschickt und reflektiert aufgreift und wie schwierig es ist, Filme zu bewerten, die letztendlich gleichgültig erscheinen, erfahrt ihr hier.
Diagnose: Ehestreit
Arnold (Samuel Finzi) ist erfolgreicher Architekt. Mit dem Bau eines der imposantesten Gebäude in Wien ist das Projekt sein ganzer Stolz. Als seine Ehefrau Kathrin (Inka Friedrich) ihm nach einer Vorsorgeuntersuchung ihren Befund mitteilt, kommt er in eine Bredouille: Bei Kathrin wurde ein Nierenleiden festgestellt, sie benötigt eine Spenderniere. Da trifft es sich äußerst gut, dass Arnold die gleiche Blutgruppe wie seine Frau hat und ihr eine seiner Nieren durch eine Lebendspende abgeben könnte. Wäre das so einfach, dann endete der Film nach zehn Minuten, doch Arnold ist ein angsterfüllter und unsicherer Mann. Zwischen beruflichen Sorgen, eigenen Todesängsten und der Sorge, seine Frau verlieren zu können, schwankt seine Entscheidung, seine Niere abzugeben.
Zum Glück stimmt der gemeinsame Freund Götz (Thomas Mraz), der die gleiche Blutgruppe wie Kathrin hat, einer sofortigen Spende zu. Dessen Frau Diana (Pia Herzegger) macht der lebensrettenden Aktion einen Strich durch die Rechnung: Sie möchte nicht, dass Götz seine Niere hergibt. Nun steht Kathrin ohne sofortige Lebendspende und mit bröckelnder Liebesbeziehung dar, während selbst ihre beste Freundin ihr nicht mehr zur Seite steht.
Ach, die verflixte Niere
Der Film beginnt mit schönen Aufnahmen einer Berglandschaft und einer heilen Familie im Kletterurlaub. Bereits dort hätten die Figuren ihre Persönlichkeiten zeigen können, doch die nachfolgenden Szenen bleiben, mit ständiger Unterbrechung von Akkordeonklängen, vollkommen irrelevant bis zum entscheidenden Punkt: Kathrin braucht eine Spenderniere. Diese interessante Prämisse steckt durchaus voller Möglichkeiten, stellt daraufhin aber schon die Weichen für den weiteren, einfallslosen Verlauf. Das eindeutige Problem des Films wird gefühlt zweimal pro Minute genannt: Die Niere. Für Kathrin steht nicht viel auf dem Spiel. Die Lösung liegt sogar direkt vor ihr: Der hilfsbereite Freund Götz ist der Retter in der Not. Der Konflikt wird angestachelt durch Arnolds Stolz und Dianas völlig unbegründete Eifersucht. Dabei erreicht er leider niemals seinen Höhepunkt, ständig werden die gleichen Fragen gestellt: Wie hoch ist das Risiko? Würdest du das gleiche für mich tun? Gibt es ansonsten keine Spender*innen? Arnold bleibt bei seiner Unentschlossenheit, während Kathrin – für die man aufgrund ihres Schicksals eigentlich Sympathie empfinden müsste – ständig bissig und zynisch reagiert. Selbst in dieser für sie schwierigen Zeit, weist sie ihre Reinigungskraft zurecht, den Müll doch bitte korrekt zu trennen. Das Paar schafft es nicht, innerhalb von 93 endlos langen Minuten Laufzeit, ein klein wenig Charakterentwicklung durchzumachen. Selbst die anderen beiden Hauptfiguren Diana, die Rationale, und Götz, der Selbstlose und Emotionale, bleiben hinter ihrer aufgezwungenen Maske. Der Film endet und sogar die Reinigungskraft trennt, zum Ärger von Kathrin, den Müll immer noch nicht korrekt.
A bisserl Wiener Schmäh
Ungefähr 70 Minuten lang bleibt der Film unkreativ, spielt immer nur die „Niere abgeben – Niere nicht abgeben“-Karte. Dann bahnt sich eine originelle Wandlung an, die Story könnte ihr volles Potential entfalten, doch sie fällt kurz darauf wieder in alte Muster zurück. In einigen Momenten glänzt der Humor des Films, ganz allein durch die charmante, leichte Art des Wiener Lebens. Einzelne Witze zünden wunderbar. Schallendes, anhaltendes Gelächter blieb dennoch aus. Das ändert nichts daran, dass der Film zu häufig zwischen einer melodramatischen Schicksalhaftigkeit und einer Nonsens-Komödie hin und herspringt, die Vorzüge beider Genres nicht trifft und in einer Schwebe bleibt, die in mir nur Gleichgültigkeit hervorrief. Der Vorhang schließt sich und mir ist es egal, welche Nieren über den OP-Tisch gehen und ob es überhaupt erfolgreich verläuft.
Keine Niere – Kein Problem
Der Film ist eine Adaption des Theaterstücks „Die Niere“ von Stefan Vögel. Die Gemeinsamkeiten mit einem schlichten Bühnenwerk liegen auf der Hand: Die Figurenkonstellation ist stark reduziert, die nüchtern gestalteten Drehorte kann man an einer Hand abzählen, hin und wieder wirken ausschweifende Dialoge wie ein Kammerspiel. Die Komödie ist schnell auf Herz und Nieren geprüft: Letzteres hat sie im Überfluss und Herz leider keines. Liebe spürt man nicht in einer Sekunde des Films. Nach dem Film fühlte ich mich bestens über Risiken & Nebenwirkungen einer Nierenspende aufgeklärt, zu dem Beziehungsdrama konnte ich keinen Bezug herstellen. Und ganz ehrlich: Wer weiß schon auf Anhieb seine/ihre eigene Blutgruppe?
„Risiken und Nebenwirkungen“ erscheint im Jahr 2022, besitzt aber noch kein offizielles deutsches Startdatum.
Foto: Epo-Film