Sneak Review #7: Die Schüler der Madame Anne
Und auch diese Woche fragen wir wieder: Haben sich die vier Euro Eintritt gelohnt oder greifen bereits die ersten Cineast*innen nach ihren Jacken? Diese Woche in der Sneak des Cineplex Marburg: Die Schüler der Madame Anne von der Regisseurin Marie-Castille Mention-Schaar.
Ein Schuldirektor, eine muslimische Schülerin und deren Lehrerin streiten. Das Thema: Kopftuchverbot. Der Schülerin wird ihr Abiturzeugnis vorenthalten, da sie sich nicht an das Kopftuchverbot hält. Der Streit artet in empörtes Geschrei seitens der Schülerin aus, die kurz darauf die Schule verlässt. Cut! – In der nächsten Szene betreten Schüler und Schülerinnen das Schulgebäude und werden aufgefordert sämtliche religiöse Symbole, seien es Kopftücher oder Kruzifixe, zu verstecken. Diese Konflikte führen den Zuschauer sehr provokant in die Handlung hinein.
„Das ist doch vertane Zeit. Sie haben andere Schüler, die es weitaus mehr verdient haben, dass Sie sich ihnen widmen.“
Wir befinden uns in einem Gymnasium im Pariser Vorort Creteil. Kulturelle und persönliche Konflikte, wie das Kopftuchverbot oder das Tragen anderer religiösen Symbole, stehen in der Schule mit sozialem Brennpunkt auf der Tagesordnung. So auch in der zehnten Klasse, um die es im Folgenden geht. Mit wenig Respekt den Lehrer*innen gegenüber und wenig Vertrauen zu sich selbst gilt die Klasse als hoffnungsloser Fall. Das Kollegium hat sie aufgegeben – bis auf Madame Anne Gueguen (Ariane Ascaride). Sie sieht in den Schüler*innen mehr und meldet sie zu einem Studienwettbewerb zum Thema: „Kinder und Jugendliche im System der Nationalsozialistischen Konzentrationslager“ an.
Anfängliches Desinteresse und Berührungsängste mit dem Thema Holocaust und das Misstrauen des Schuldirektors, die Klasse an diesem Studienwettbewerb teilnehmen zu lassen, sind für Madame Gueguen kein Grund zum Aufgeben. Im Verlauf der Handlung findet sie immer wieder Wege, ihre Schüler zu motivieren, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen – sei es durch einen Museumsbesuch oder das Aufeinandertreffen mit einem Überlebenden aus dem Konzentrationslager Auschwitz.
„Wir haben so viele Bücher über diese Kinder gelesen. Es ist, als würden wir sie kennen.“
Madame Annes Vorhaben geht auf: Sie erreicht, dass ihre Klasse sich mehr und mehr mit dem Thema beschäftigt und es ihnen gar ans Herz geht. Dies führt seitens ihrer SchülerInnen jedoch auch öfter zu Wutgefühlen und Verständnislosigkeit darüber, wie etwas so menschenverachtendes in der Vergangenheit passieren konnte. Gefühle, die der Kinobesuchende sehr gut nachempfinden kann. Der Film berührt. Besonders die Szene, in der der Auschwitz-Überlebende über seine Erfahrungen spricht, lassen nicht nur Tränen in den Augen der Klasse aufkommen. Das Recherchieren über die Schicksale der Vergangenheit und die Bewältigung der gemeinsamen Aufgabe lässt sowohl die Klasse als Gemeinschaft wachsen als auch sich individuell weiterentwickeln.
Das sozialkritische Drama basiert auf einer wahren Geschichte und macht auf verschiedene gesellschaftliche Probleme sowohl aus der Vergangenheit als auch aus der Gegenwart aufmerksam. Nicht nur die Gräueltaten der Nazis in den Konzentrationslagern, sondern auch die ständigen kulturellen Konflikte zwischen den unterschiedlichen Religionen, die im Film immer wieder gezeigt werden, rufen in Erinnerung dass die Mitglieder unserer heutigen Gesellschaft mehr Zivilcourage, Respekt und Verständnis untereinander aufbringen müssen. Am Ende des Films ertönt im Kinosaal Applaus – ein Zeichen dafür, dass der Film den Zeitgeist und die Probleme der Gegenwart angemessen widerspiegelt.
Kinostart ist am 5.11.2016. Und zum Trailer geht’s hier.
FOTO: Neue Visionen Filmverleih GmbH