Von Philipp zu Patrick: Eine kleine Geschichte Irlands

Von Philipp zu Patrick: Eine kleine Geschichte Irlands

Fotos: Hendrik Floter; Collage: Elija Ash Pauksch

Im September 2023 ist Hendrik mit seiner Freundin für den Master von Marburg nach Dublin gezogen. Er studiert dort Journalismus. Von Pub-Abenden über stressige Uni-Abgaben bis zu Ausflügen an die raue Küste im Westen der Insel erlebt er viel – und berichtet für PHILIPP davon in seiner Kolumne Von Philipp zu Patrick.

„Hibernia“ – so nannte man die grüne Insel Irland zu Zeiten des Römischen Reiches. Kelten, Wikinger, Normannen, Briten, Hungersnot, Massenauswanderung, Unabhängigkeitskrieg, Nordirlandkonflikt, Wirtschafts-Boom – heute schreibe ich, natürlich stark verkürzt, über die irische Geschichte. Nehmt euch eine Tasse Tee und lehnt euch zurück, es geht erstmal ein ganzes Stück in die Vergangenheit. 

Man schätzt, dass um 7000 v. Chr. die ersten Siedlungen auf der Insel entstanden. Ungefähr 300 v. Chr. prägten keltische Einwanderer*innen fortan die Kultur der Insel. Unter St. Patrick wurde das Christentum ab 400 n. Chr. auf der Insel etabliert, die religiösen Herrscher sorgten für eine starke Entwicklung des Gebiets, auch wenn mehrere Überfälle durch Wikinger schwere Schäden anrichteten. So viel zu den ersten paar tausend Jahren. 

Unter britischer Herrschaft

Die bis heute für die Ir*innen prägendste Zeit begann ab dem 12. Jahrhundert. Die Normannen eroberten Irland. Für die nächsten fast 800 Jahre war das Leben der Ir*innen fremdbestimmt durch die englische Krone. Dies ließen die Inselbewohner nicht einfach so über sich ergehen. Vor allem im Norden der Insel leisteten sie erbitterten Widerstand gegen die englischen Mächte. Ab dem 17. Jahrhundert siedelten Protestanten aus England und Schottland dort an. Über Generationen gab es nun Menschen auf der Insel Irland, die ihre Herkunft auf diese Siedlung zurückführen und sich als britisch verstehen: Der Beginn des Nordirlandkonflikts. 

Im 19. Jahrhundert dann der große Exodus. Seit Jahrzehnten ließen die englischen Herrscher hauptsächlich Kartoffeln anbauen, da dies am billigsten war. Die meisten Ire*innen ernährten sich daher ausschließlich von Kartoffeln und waren abhängig von dem Anbau. In den Jahren 1845 bis 1849 führten zahlreichen Missernten durch Kartoffelfäule zur Katastrophe: Über eine Million Menschen verhungerten. Etwa die gleiche Zahl wanderte aus, viele in die USA – in dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten schrieben diese nun irisch-amerikanischen Familien ihre Geschichte weiter. Einer davon ist der aktuelle US-Präsident Joe Biden. Die englische Verwaltung blieb während dieser Krise weitestgehend untätig. Dies entzündete den Willen der Ir*innen nach Unabhängigkeit. 

Kampf um Unabhängigkeit 

Im Jahr 1916 wurde ein Aufstand in Dublin, genannt „Easter Rising“, noch niedergeschlagen. Drei Jahre später folgte ein Unabhängigkeitskrieg, der mit einem Angebot der Briten 1921 endete. Nach diesem sollte ein Teil der Insel die Möglichkeit bekommen, einen teilunabhängigen Freistaat im Vereinigten Königreich zu bilden. Die Provinz „Ulster“, also der Teil der Insel im Norden, auf dem 300 Jahre zuvor Briten angesiedelt wurden, sollte nach diesem Angebot allerdings ein fester Teil des Vereinigten Königreichs bleiben. Darüber, ob man dieses Angebot annehmen sollte, bestand Uneinigkeit, welche in einem kurzen Bürgerkrieg zwischen Vertragsbefürwortern und -gegnern ausgefochten wurde. Vor einigen Jahren kämpften die Ir*innen noch gemeinsam gegen die englische Herrschaft, nun richteten sie die Waffen gegeneinander. Die Vertragsbefürworter gewannen und der irische Freistaat wurde im Jahr 1922 gegründet. 

Rasanter Wandel im 20. Jahrhundert auf einer geteilten Insel

Im Jahr 1949 wurde die Republik Irland im Süden gegründet und die volle Unabhängigkeit erreicht. Im Norden entstand das Land Nordirland im Vereinigten Königreich. Die Republik hatte über Jahrzehnte mit ihrer misslichen Wirtschaftslage zu kämpfen. Im Jahr 1973 wurde die Republik Irland ein Mitglied der heutigen EU und profitierte ab den 1980er Jahren von wirtschaftlichen Reformen. Das Land öffnete sich für ausländisches Investment, senkte Steuern und machte den Standort attraktiv für Unternehmen.

Bis in die späten 1990er Jahre verzeichnete die Republik ein massives Wirtschaftswachstum. Viele Ir*innen, die heute um die 20 sind, erzählen, dass sie sich in ihrer Kindheit jede Woche etwas aus dem Spielwarenladen aussuchen durften – in dieser Zeit beeinflusste der Aufschwung tatsächlich alle Bevölkerungsschichten. Die Weltwirtschaftskrise ab 2008 traf allerdings auch die Republik Irland hart. Seit ungefähr zehn Jahren ist das Land jedoch wieder eines der wirtschaftsstärksten der EU, nachdem sich Unternehmen wie Google und Facebook aufgrund der niedrigen Gewerbesteuer in Irland ansiedelten. Jedoch profitieren bei weitem nicht alle – die Preise stiegen und vor allem die unregulierten Freiheiten für Vermieter sorgen für eine schwere Wohnungskrise. 

Nordirland – britisch oder irisch?

In Nordirland entbrannte ab dem Jahr 1969 ein blutiger Konflikt. Gewaltsame Aufstände fanden statt zwischen Nordir*innen, die sich als irisch verstehen und meist katholisch sind, und jenen, die sich als britisch verstehen und meist protestantisch sind. Die britische Armee wurde seitdem in Nordirland eingesetzt. Einen negativen Höhepunkt markierte der „Bloody Sunday“, als am 30. Januar 1972 britische Soldaten auf Demonstranten in der Stadt Derry schossen und dabei 26 Menschen töteten.

Auf beiden Seiten gründeten sich mehrere paramilitärische Gruppen, die bekannteste davon die „Provisional IRA“, meist auch nur „IRA“ genannt. Die zahlreichen Kämpfe, Anschläge und Bombenattentate forderten über 3000 Tote und 40.000 Verletzte. Im Jahr 1998, nach fast 30 Jahren, konnte ein Friedensabkommen erreicht werden. Die Ressentiments bestehen allerdings bis heute und die Diskussionen über eine Vereinigung der beiden Länder Irland und Nordirland reißt nicht ab. 

Allgegenwärtige Erinnerungen an die Vergangenheit

Die irische Geschichte ist der heutigen Bevölkerung immer noch sehr präsent. Die Erinnerung an die Freiheitskämpfe am Anfang des 20. Jahrhunderts ist für viele Menschen ein wichtiger Teil ihrer Identität. Viele der Volkslieder aus dieser Zeit werden noch heute mit Vorliebe gesungen. Die Erfahrung der Fremdherrschaft bestimmt viele Aspekte der Politik. So steht die Republik Irland zum Beispiel seit jeher immer auf der Seite der Palästinenser.

Die katholische Kirche hatte ebenso seit der Christianisierung immer einen starken Einfluss, so war es bis in die 1990er Jahre nicht möglich, Kondome ohne Rezept zu kaufen. Verhütungsmittel waren bis 1980 sogar gänzlich verboten. Mittlerweile ist die Gesellschaft progressiver geworden. Aber die Erinnerung an die Vergangenheit ist immer präsent. Auch dadurch, dass auf jedem Straßenschild und bei jeder Ansage im Bus zuerst die gälische, oder irische, Sprache verwendet wird und viele offizielle Ämter einen Titel in dieser Sprache haben. Aktuell beschäftigt die Menschen auf der Insel vor allem der Umgang mit der Wohnungsnot und den gestiegenen Lebenskosten sowie die Frage, wie nah man mittlerweile an einer irischen Vereinigung ist. 

(Lektoriert von nir und lhs.)

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