Wendelstein – ein kleiner Schritt zur zweiten Sonne

Wendelstein – ein kleiner Schritt zur zweiten Sonne

Die Sehnsucht nach einer potenten und unerschöpflichen Energiequelle verfolgt die Menschheit seit Äonen. Diesem Traum sind nun Forscher an dem Forschungsreaktor Wendelstein 7-X in Greifswald einen kleinen, aber wichtigen Schritt näher gekommen. Was es mit Wendelstein 7-X auf sich hat und warum das etwas besonderes ist, erklärt euch PHILIPP.

Greifswald, Norddeutschland. In einem grauen, unscheinbaren Gebäude drückt Bundeskanzlerin Angela Merkel einen ebenso unscheinbaren Knopf. Ein Countdown startet und die Menge von Wissenschaftler:innen und Journalist:innen im Kontrollraum von Wendelstein 7-X hält den Atem an. In der Stille, die vor der schlagenden Null eintritt, könnte man eine Stecknadel zu Boden fallen hören. Drei, zwei, eins… Einige Räume weiter werden nun riesige elektrische Ströme durch Spulen getrieben, die in monatelanger Arbeit auf -270°C gekühlt wurden. Für nicht mehr als eine viertel Sekunde werden im Inneren eines Torus aus Metallrohren Temperaturen erreicht, die jenen im Zentrum unserer Sonne nahe kommen. Das Aufblitzen auf den Bildschirmen lässt die Menge in Jubel ausbrechen, Forschende und Journalist:innen stoßen mit Sekt an. Doch was ist da in dieser viertel Sekunde passiert, dass sogar die Bundeskanzlerin eingeladen war und die anwesenden Forschenden von „einem Meilenstein der Physik“ sprechen?

Das ehrgeizige Ziel: eine winzige,
zweite Sonne in einem Stahlkäfig zur Versorgung einer Großstadt

Wendelstein 7-X ist der Name eines Forschungsreaktors des Max-Planck-Institutes für Plasmaphysik in Greifswald. In der 1 Milliarde Euro teuren Anlage wird Grundlagenforschung betrieben mit dem Ziel, eines Tages die Kernfusion für Stromerzeugung nutzen zu können. Seit den 60ern forscht man daran und genauso lange schon behaupten die Forschenden, dass man in 50 Jahren Fusionsreaktoren zur Stromerzeugung haben wird.

Die Kernfusion ist der Prozess, aus dem unsere Sonne in ihrem Kern bei Dutzenden Millionen Grad ihre Energie schöpft. Das Prinzip ist auf dem Papier einfach: Heize sehr leichte Atome (Wasserstoff) so sehr auf, dass die Elektronen, die sich um den winzigen, aber massiven Atomkern bewegen, von dem Kern gelöst werden. Dieser Zustand, wenn Atomkern und Elektronen getrennt vorliegen, nennt man Plasma. Sind Temperatur und Druck in dem Plasma hoch genug, verschmelzen zwei leichte Kerne zu einem größeren Kern und geben dabei ein wenig nutzbare Energie ab. Dieses Plasma konnten die Forscher in W7-X im Dezember letzten Jahres schon mit Helium herstellen – mit dem schwereren Gas ist das etwas leichter, aber dennoch unglaublich aufwendig. Nun konnte mit dem Wasserstoff-Plasma zum ersten Mal in der Geschichte das Ausgangsmaterial für die Kernfusion stabil erzeugt werden. Bis ein Reaktor zum ersten Mal damit wirklich Strom erzeugen kann, wird es noch dauern – die Temperatur muss noch etwas hundertmal höher sein, bessere Technologie und tieferes Verständnis werden benötigt. Auch braucht es für eine stabile Kernfusion zur Energieerzeugung einen größeren Reaktor, als die Anlage in Greifswald.

Kernfusion – der Heilige Gral der Stromerzeugung und feuchter Traum für jede:n Plasmaphysiker:in

Die Forschung daran ist langwierig und immens teuer. Doch wenn die Menschheit es schafft, mit Kernfusion Strom zu erzeugen, könnten damit nahezu alle Energieprobleme der Welt gelöst werden. Der Ausgangsstoff, Wasserstoff, ist das mit großem Abstand häufigste Element im Universum. Im Reaktor entsteht neben wenigen Strahlungsabfällen nur das harmlose Helium – dieses Edelgas atmen Scherzkekse ein, damit ihre Stimme höher klingt. Auch kann ein Fusionsreaktor nicht „kritisch“ werden und überhitzen, wie es in einem AKW passieren kann: Fällt die Kühlung des Reaktors aus, hört die Reaktion einfach von selbst auf. Außerdem bei der Fusion frei werdende Energie ist um einige Größenordnungen größer, als bei der Verbrennung von Kohle oder der Kernspaltung: Mit einem einzigen Gramm Wasserstoff lässt sich so viel Energie freisetzen, wie mit einigen Tonnen Kohle. Damit wäre ein Fusionsreaktor allein in der Lage, genug Strom für eine Großstadt bereitzustellen – sicher, sauber und effizient. Ohne langlebige Strahlenabfälle, GAUs oder Treibhausgase. Leider wird es noch Jahrzehnte dauern, bis die ersten Fusionsreaktoren zur Stromerzeugung anlaufen werden – zu groß sind die Schwierigkeiten, zu aufwändig die nötige Technologie. Doch wenn erstmal die ersten Meiler stehen, heißt es: Goodbye, ihr Brüder und Schwestern von Tschernobyl, Harrisburg und Fukushima!

Wendelstein AnlageHEAT IT UP! Alle Interessierte, die noch mehr über das Thema wissen wollen, finden hier den Link zum MPI für Plasmaphysik und deren Pressemeldung. Auch bietet das Institut gerne Führungen durch die Experimentieranlage Wendelstein 7-X und deren Werkstätten an. Ein lohnenswerter Besuch beim nächsten Ostsee-Urlaub, auch für Menschen, die sonst nichts mit Plasmaphysik zu tun haben!

FOTO: Pressestelle IPP.
Im Kasten: Wikipedia, User: Bernd vdB

Als Science Guy zuständig fürs Wissenschaftsressort bei PHILIPP und studiert gerade Physik.
Liebt schottische Single Malts, Kafka und alles, was irgendwie mit Astronomie zu tun hat.

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