Bundestagswahl-Interview: Alexander Keller (FDP)

Bundestagswahl-Interview: Alexander Keller (FDP)

Foto: Frank Ossenbrink, Collage: L. Barth, L. Selbach & A. Sent

PHILIPP hat mit den Direktkandidaten des Kreises Marburg-Biedenkopf für die Bundestagswahl gesprochen. Alexander Keller, Kandidat der FDP, berichtet im Interview von seinen politischen Ideen für Studierende, die Zukunft des Rentensystems und seiner Sicht auf die Zivilklausel an Universitäten. Außerdem verrät er, warum er ein Patenschwein namens Uwe hat.

Wenn Sie jetzt sofort etwas ändern könnten, was wäre das?

Alexander Keller: Langfristig könnte es uns weiterbringen, die Aktienrente im Rentenpaket einzuführen, weil das Rentensystem auf Dauer so nicht funktioniert. Wir schlagen einen öffentlich verwalteten Fonds vor, in den man über Jahre einzahlt. Dann kann man noch ein zweites Standbein schaffen für unseren Rentenhaushalt, der ja ungefähr 25% des Bundeshaushalts einnimmt und so könnte man ein bisschen entlasten auf langfristige Sicht.

Was würde sich im Leben eines Studis in Marburg ändern, wenn Sie in den Bundestag kommen?

Wir setzen uns für ein elternunabhängiges BAföG ein. Wir wollen Studis, wir wollen Menschen generell emanzipieren, dass man aus dem Leben machen kann, was man möchte. Dazu zählt dann ganz konkret für Studenten und Studentinnen das elternunabhängige BAföG. Das muss entbürokratisiert passieren, also mit höheren Freibeträgen und Hinzuverdienstgrenzen, und mit einem automatischen Anpassungsmechanismus an Mindestlohn und Minijobgrenze.

Der Wohnungsmarkt in Marburg ist sehr angespannt, vor allem für Studis. Wie wollen Sie die Situation für junge Menschen verbessern?

Ich bin ja selbst noch Student, daher kenne ich die Probleme. Ich glaube, hier in Marburg haben wir natürlich eine Besonderheit aufgrund der Historie der Stadt. An fast jedem Gebäude ist hier Denkmalschutz. Das heißt, wir müssen Anreize schaffen. Zum Beispiel geht das, wenn man die Vermietung an Studierende durch steuerliche Vorteile attraktiver macht. Durch das Programm „Junges Wohnen“ kann man durch steuerliche Vorteile und steuerliche Abschreibungen den Wohnungsmarkt für die Studis attraktiver gestalten. Dazu gehört natürlich auch der Neubau von Wohnraum. Es ist ganz klar: Wir müssen mehr bauen, wir müssen auch mehr Flächen ausschreiben, weil wir dann für mehr Angebot an Wohnraum sorgen und sich damit die Preise senken würden.

Wie stehen Sie zur Aufforderung der FDP in Hessen, die Zivilklausel bezüglich der militärischen Forschung an Unis abzuschaffen?

Für uns ist klar: Wir sind gegen eine Zivilklausel. Die Uni muss ein Raum von freier Meinungs- und Gedankengestaltung sein, dafür ist sie da. Da wird Wissenschaft betrieben, da kommen verschiedenste Backgrounds zusammen. Ich glaube, Zivilklauseln gilt es zu bekämpfen, mit ihnen tun wir uns keinen Gefallen.

Und wieso sollte die Rüstungsindustrie die Forschung nicht selbst übernehmen? Gelder und Ressourcen stünden zur Genüge zur Verfügung.

Natürlich kann auch frei geforscht werden und Wissenschaft betrieben werden in den Betrieben. Ich glaube aber, es ist auch wichtig, dass sich die Universitäten dessen annehmen, weil das einen Beitrag zur Entwicklung eines Landes, zu den geopolitischen Strategien, zur Außenpolitik darstellt. Die Rüstungsindustrie wird immer als „Teufelspferd“ betitelt. Natürlich muss man immer schauen, wie sich was entwickelt in der Rüstungsindustrie, aber grundsätzlich geht es darum, dass wir Sicherheit und Frieden schaffen in Deutschland, Europa und der Welt.

Das Hauptargument ist oft die nationale Sicherheit Deutschlands. Aber wer garantiert, dass die Forschung nicht doch einen Krieg fördert?

Die Bundeswehr ist eine Institution, die nicht darauf ausgelegt ist, Angriffskriege zu führen. Das ist eine Sache, die in Deutschland so hoffentlich nie wieder vorkommen wird, weil wir da auch, glaube ich, genug gewappnet sind. Wir haben es seit fast drei Jahren gesehen, dass die Bundeswehr eben auch essentieller Bestandteil sein muss als Garant für Sicherheit und Frieden. Auch wenn ich mir natürlich wünschen würde, dass es Armeen und Bundeswehr und Waffen nicht bräuchte in dieser Welt. Aber das wäre ein bisschen naiv.

Das Deutschlandticket wird als eine der größeren Errungenschaften der Ampelregierung gesehen und ist vor allem für junge Menschen wichtig. Gibt es Ansätze, wie Sie das Ticket in Zukunft sichern und bezahlbar halten wollen?

Ich glaube, die Frage nach der Bezahlbarkeit beim Deutschlandticket ist immer gegeben. Dass das Ticket zum anfänglichen 9€-Tarif nicht haltbar ist, war damals schon klar. Klar ist aber auch, wir müssen das Ticket langfristig sichern, weil es eben Freiheit und Sicherheit bedeutet. Wenn ich das richtig erkennen kann, sind wir gerade bei 58€. Wir müssen schauen, dass wir die starren Strukturen des Mobilitätssektors irgendwie modernisieren. Unser Ansatz im Verkehr ist, dass wir Privatanbieter am Markt teilnehmen lassen. So können wir dann langfristig einen relativ stabilen Preis sichern. Wie dieser im Endeffekt aussehen soll, das kann ich nicht sagen, da ich kein Verkehrsexperte bin. Dass er vielleicht bei 60 Euro liegt, könnte ich mir vorstellen, ist aber nur eine persönliche Einschätzung.

Auf Ihrer Website steht, dass Sie Politik machen, „weil die großen Themen unserer Zeit lange nicht angegangen worden sind“. Ein großes Thema unserer Zeit ist der Klimawandel. Wie stehen Sie zum Vorhaben der FDP, die Luftverkehrssteuer zu streichen und das Tempolimit auf Autobahnen zu verhindern? Das widerspricht sich doch, oder?

Beim Tempolimit bin ich eigentlich ganz unemotional. Also ich bin da nicht so ein Hardcore-Gegner, der sagt wir müssen alle 200 fahren dürfen. Aber ich glaube, da gibt es in Zukunft kein Problem, weil die Union das Tempolimit bald einführt, Grüne und SPD fordern das sowieso. Deswegen kann ich mir vorstellen, dass es mittelfristig ein Tempolimit geben wird. Und das Argument, dass die Straßen mit dem Tempolimit sicherer würden… Wenn man sich mal die Nachbarländer anguckt, in denen 120, 130 gefahren werden muss, dann sieht man, dass die Anzahl der Verkehrsunfälle auf Autobahnen in Deutschland immer noch am niedrigsten ist.

Um kurz zum Klimaschutz zu kommen: Unsere Forderung ist der Emissionshandel, den es in Europa schon gibt. Den wollen wir ausweiten auf alle Bereiche. Das funktioniert nach dem Cap-Trade-System, das heißt, wir legen einen Deckel fest an CO2-Emissionen, die pro Jahr ausgestoßen werden dürfen. Die werden dann von Jahr zu Jahr verringert, sodass wir dann 2045 bei null Emissionen sind. Gleichzeitig geben wir der Wirtschaft und anderen Playern die Zeit für die Umstellung, die nun mal keine Einfache ist. Heißt: Um CO2 ausstoßen zu dürfen, müssen diese Zertifikate gehandelt werden. Wer keine Zertifikate mehr handeln kann, darf nicht mehr ausstoßen. Gegenargument ist, dass das dann abgewälzt und alles teurer wird, dagegen wollen wir natürlich vorgehen mit der Klimadividende. Das heißt, was wir an Ertrag reinholen, wird an Bürger und Bürgerinnen pauschal ausgezahlt, sodass das Geld nicht beim Staat verrottet, sondern wieder direkt zurück in die Taschen der Bürgerinnen und Bürger geht.

Die Luftverkehrssteuer kann man machen, kann man lassen, ich bin da relativ emotionslos. Ob die Steuer gestrichen wird oder nicht, spielt im Endeffekt keine Rolle.

Ihr Wahlprogramm beschäftigt sich viel mit der Entlastung von Steuerzahler*innen. Welche finanziellen Entlastungen sind für Studierende geplant, abgesehen von der BAföG-Reform?

Den Rundfunkbeitrag für Studenten wollen wir abschaffen. Grundsätzlich muss der öffentliche Rundfunk verschlankt werden. Für Studierende und Auszubildende soll der Beitrag abgeschafft werden, weil das eine finanzielle Belastung ist, die sich für Studierende erstens nicht rechnet, zweitens ist es unverhältnismäßig in diesen Apparat einzuzahlen, wenn die Inhalte sowieso nicht ansprechend sind.

Außerdem wollen wir die Zweitwohnsitzsteuer abschaffen für Studierende. Wenn man in der Heimat noch seinen Wohnsitz behalten möchte – aus welchen Gründen auch immer – dann sollte diese Steuer für Studierende abgeschafft werden, das ist nicht verhältnismäßig.

Bei der ersten Abstimmung zum Antrag zur „Zustrombegrenzung“ sind viele aus Ihrer Fraktion der Abstimmung ferngeblieben. Was ist Ihre persönliche Meinung zur Zusammenarbeit mit der AfD?

Ich kann Ihnen sagen, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD gegeben hat. Was vorlag, war ein Antrag der Union, dem haben wir zum Großteil zugestimmt, zeitgleich hat die AfD dem auch zugestimmt. Ich möchte die Frage inhaltlich jetzt auch gar nicht bewerten. Bei uns ist klar, wir machen niemals gemeinsame Sache mit der AfD, dabei würde ich es gerne belassen.

Und wie ist ihre Position insgesamt zum Thema Migration?

Klar ist, wir brauchen einen Wandel, der auch von der Gesellschaft gefordert wird. Das ist der Zwiespalt, in dem die Politik steht: Einerseits muss man seine Inhalte vertreten, andererseits muss man auf den Wandel in der Gesellschaft reagieren. Wir müssen jetzt was ändern. Wir brauchen klare Bedingungen für die Einreise in den Arbeitsmarkt, denn da brauchen wir Einwanderung. Aber wir müssen klar prüfen: Gibt es eine Bleibeperspektive? Wenn es eine Bleibeperspektive gibt, dann muss es eben auch eine Arbeitserlaubnis geben.

Das ist eine Sache, die sich mir nie erschlossen hat: Dass wir Leute in unser Land holen, die einen Asylantrag stellen, weil sie Zuflucht suchen und die auch bekommen sollen. Dann sagen wir als Staat, wir geben euch aber keine Arbeitserlaubnis. So kann Integration überhaupt nicht funktionieren. Mit der Aufenthaltserlaubnis müssen wir auch die Arbeitserlaubnis ausstellen. Es gibt natürlich Fälle, da ist das nicht möglich. Wenn trotzdem Asyl gewährt wird, müssen wir das eben auffangen als System.

Das ist eine Sache, die sich mir nie erschlossen hat: Dass wir Leute in unser Land holen, die einen Asylantrag stellen, weil sie Zuflucht suchen und die auch bekommen sollen. Dann sagen wir als Staat, wir geben euch aber keine Arbeitserlaubnis. So kann Integration überhaupt nicht funktionieren. Mit der Aufenthaltserlaubnis müssen wir auch die Arbeitserlaubnis ausstellen. Es gibt natürlich Fälle, da ist das nicht möglich. Wenn trotzdem Asyl gewährt wird, müssen wir das eben auffangen als System.

Welchen Wandel nehmen Sie wahr?

Meine persönliche Einschätzung und Erfahrung ist, dass die Gesellschaft ein bisschen konservativer geworden ist. Und in der Migrationspolitik wird eben dieser Wandel gefordert, der muss dann eben vollzogen werden. Da wollen wir wie beschrieben daran arbeiten, dass wir als Deutschland ein weltoffenes Land bleiben.  

Der Wehrdienst soll durch höheres Gehalt und „gesellschaftliche Vorteile“ attraktiver werden. Was konkret heißt hier „gesellschaftlicher Vorteil“?

Wir sind gegen die Wehrpflicht, weil wir jungen Leuten diesen Eingriff ins Leben nicht vorschreiben wollen. Aber wir müssen schauen, dass die Bundeswehr als Arbeitgeber attraktiver wird. Dazu zählt einerseits die Bezahlung, das ist einfach gelöst, es muss mehr Geld in die Bundeswehr gesteckt werden. Andererseits geht es eben darum, das gesellschaftliche Image aufzuwerten. Ich sehe natürlich auch die Probleme und Skandale, die es in der Vergangenheit bei der Bundeswehr gab. Aber dennoch glaube ich, dass die Bundeswehr als Institution in die Mitte der Gesellschaft gehört. Deshalb sollten finanzielle Erleichterungen in Form von kostenlosem Bahnfahren in Uniform ermöglicht werden, damit rückt sie eben kognitiv ins Gedächtnis der Menschen, wenn man sie öfter sieht als das jetzt der Fall ist. Damit kann man die Abschreckung, die vielleicht in der Vergangenheit begründet ist, ein bisschen nehmen.

Es gibt für Marburg-Biedenkopf nur männliche Direktkandidaten. Wurde das bei Ihnen diskutiert, ist das irgendwem aufgefallen?

Das ist eigentlich immer das Erste, was bei den Podiumsdiskussionen auffällt. In der Vergangenheit hatten wir bei der Landtagswahl 2023 in beiden Wahlkreisen [Marburg-Biedenkopf I und II] eine Kandidatin, unsere hessische Spitzenkandidatin zur Bundestagswahl ist weiblich, unsere Spitzenkandidatin zur Europawahl war weiblich. Wir haben eine Kreisvorsitzende, wir haben eine Landesvorsitzende. Ich glaube, wir sind da schon relativ gut aufgestellt. Wir sind kein Fan von Quoten. Wir wollen, dass die bestqualifizierten Leute sich für Mandate bewerben. Ich kenne natürlich die Probleme, die Frauen in Parteien haben, auch in unserer Partei. Unsere Partei ist auch größtenteils männlich. Da gilt es, Förderung zu betreiben und Frauen zu ermutigen: Kandidiere mal für einen Kreis und kandidiere mal für ein Mandat.

Ist Ihnen Diversität denn ein Anliegen?

Ja klar, der Großteil der Bevölkerung ist weiblich und es wird im Bundestag nicht repräsentiert. Aber man muss halt auch ganz klar sagen, der Souverän, der entscheidet, wer in der Bundesregierung sitzt, das sind die Wählerinnen und Wähler. Da muss man dann als Partei sagen, wir betreiben Förderung von Frauen.

Im Wahlprogramm der FDP steht, dass häusliche Gewalt gegen Frauen durch mehr Frauenhausplätze bekämpft werden soll. Frauenhausplätze sind zwar wichtig, aber nicht die Ursache für häusliche Gewalt. Wie stehen Sie dazu?

Muss ich fairerweise sagen, habe ich mir leider in letzter Zeit noch zu wenige Gedanken zu gemacht. Ohne das Parteiprogramm zu kennen, kann ich einfach mal ein bisschen frei rausplaudern. Ich glaube es müssen, wenn es einen Fall gibt, harte Konsequenzen folgen. Wie gesagt, ich kann da fachlich nichts zu sagen. Ich glaube, das Problem liegt ja auch fast eher dabei, das eben an die Öffentlichkeit zu bringen. Vielleicht wäre es ein Ansatz zu sagen, wir schaffen Stellen, wo man Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner hat, um sowas loszuwerden. Aber hab ich wie gesagt das Wahlprogramm nicht dazu gelesen und hab ich auch nicht wirklich was dazu im Kopf, weil ich mich leider persönlich zu wenig damit beschäftigt habe.

Aber das beantwortet die Frage nach der Bekämpfung nicht. Haben Sie konkrete Ideen zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen?

Ja, da haben Sie recht. Müsste ich mir ehrlicherweise Gedanken zu machen. Ich glaube, da kann ich jetzt keine qualifizierte Aussage geben. Das ist auch ein emotionales Thema, zu dem ich nicht einfach irgendwas raushauen möchte.*

Abschließend: Gibt es einen Funfact zu Ihnen, den Sie in noch keinem Interview erzählt haben?

Ich habe ein Patenschwein, das habe ich tatsächlich zum Geburtstag geschenkt bekommen. Ich bin quasi Patenonkel eines Schweins, Uwe heißt das. Das ist ein Schwein auf dem Lebenshof in Rheinland-Pfalz. Ich ernähre mich vegan und bin ein bisschen im Tierschutz tätig, daher kam das Geschenk. Jemand zahlt also für mich den Beitrag an den Lebenshof, damit der sich und die Schweinehaltung finanzieren kann. Ich selber habe dann auch noch eine Patenschaft an jemand anderen verschenkt und zahle so 20 Euro im Monat, das kann ich mir als Studi noch leisten.


* Herr Keller hat uns folgende Antwort per Mail nachgereicht:
„Für uns als Freie Demokraten spielt das Sicherheitsgefühl und der Schutz von Frauen gerade in ihren eigenen vier Wänden eine große Rolle. Präventiv lassen sich solche grausamen Taten in erster Linie durch bessere Aufklärungsarbeit bei vor allem jungen Männern verhindern. Der Großteil der Gewalttaten in Deutschland wird von Männern begangen. Der gesellschaftliche Kompass muss in Zukunft auf der Aufbrechung eines solchen maskulinen Problems liegen. Um es mit den Worten von Gisele Pelicot zu sagen: „Die Charme [sic!] zwischen Opfer und Täter muss die Seite wechseln.““

(Lektoriert von jap.)

Seit Anfang 2023 dabei

Bitte nicht schubsen, ich bin im Kreativteam und sonst seht ihr wieder mehr Stockfotos auf der Startseite:(

Ansonsten... Ich mag Dinos, Feminismus und DuLö (Durstlöscher Granatapfel Zitrone)

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