Endgegner*in: 1. Klasse oder: Pack dein MacBook wieder ein und setz dich zu mir – Klassenkrampf auf Schienen

Endgegner*in: 1. Klasse oder: Pack dein MacBook wieder ein und setz dich zu mir – Klassenkrampf auf Schienen

Illustration: Annabell Sent

Wenn dir das Leben Zitronen gibt, gibt dir die wacklige Internetverbindung oder die Drehtür in der Bib vielleicht noch den Rest – in dieser Reihe schreiben wir über die Endgegner*innen des Unialltags, also Dinge, die Studis an den Rand der Verzweiflung bringen. 

Die Klassengesellschaft wird nicht kommen und sagen: „Hallo, hier bin ich, teilet euch!“ Sie wird kostenlose Gummibärchen und Zeitungen auf deinen kleinen Klapptisch in der Bahn legen und sagen: „Willkommen bei der Deutschen Bahn, möchten Sie einen Kaffee für 5.50 € in einer Porzellantasse?“

Ganz ehrlich, den versnobten Typ im Anzug mit seinem MacBook auf dem Schoß und mich unterscheidet höchstens die Porzellantasse, aus der er den gleichen wässrigen und überteuerten Filterkaffee säuft wie ich aus meinem Pappbecher. We are the same, mein Lieber, auch wenn du deine Beine ausstrecken kannst, denke ich mir angefressen, während ich mich durch die erste Klasse zur zweiten durchwurstel und ein paar beanzugte Ellenbogen zur Seite schiebe, an denen geschäftige Hände auf kleinen Tastaturen herumtippen. Hier ist niemand unter 40, scheint mir. Schließlich erreiche ich die Schiebetür und der Wind der Bodenständigkeit weht mir um die Nase – aka der Geruch, der durch die kaputte Tür der Toilette ins Abteil kommt. Eine ältere Dame packt gerade ihr hart gekochtes Ei und ein Salamibrot aus, zwei Kinder stecken sich die Finger gegenseitig in die Nasen und irgendjemand spielt mit hörbarer Lautstärke Candy Crush auf dem Handy – und nach meinem kleinen Exkurs in die erste Klasse finde ich das sehr sympathisch. Keine homogene Anzugmasse. Dafür aber auch kein Platz …

Wieso Beinfreiheit, Porzellantassen und kostenlose Gummibärchen Bluthochdruck bei mir auslösen – oder etwas ganz anderes

Ich seufze, quetsche mich durch die vollen Reihen. Da! Schnell setze ich mich auf den letzten freien Platz im Abteil neben eine junge Frau, die – versunken in ein Buch – am Fenster sitzt. Unter unseren Sitzen rollt eine Bierflasche immer wieder hin und her, bis ich nach unten greife und sie auf den kleinen Tisch stelle – jetzt klebt meine Hand und die Wahrscheinlichkeit, dass das Waschbecken in der eben erwähnten Toilette funktioniert, geht gegen null. Ob das in der ersten Klasse auch so ist? Oder wird dort penibel drauf geachtet, dass es fließendes Wasser, einen vollen Seifenspender und gefaltetes Klopapier gibt? Mehr Platz haben sie auf jeden Fall, denke ich bisschen angesäuert und schweife gedanklich wieder zum MacBook-Typen mit seiner Porzellantasse.

Draußen sausen Rapsfelder vorbei. Über was rege ich mich eigentlich wirklich auf…? Auch, wenn ich mich mit den Menschen in der ersten Klasse nicht identifizieren kann, geht es doch um die Tatsache, dass die erste Klasse überhaupt existiert. Könnte man von dem Geld, das man jetzt in die erste Klasse steckt, nicht genau so gut oder noch besser für alle investieren? In einen klassenlosen Zug, der insgesamt besser für alle wird – Kommunismus auf Schienen? Dann gibt es eben keine kostenlose Zeitung, kein abgegrenztes Abteil und Pappbecher für alle. Aber auch mehr Platz, günstigen Kaffee, bezahlbarere Tickets und Toiletten, die zuverlässig funktionieren.

Ob sie sich 2. Klasse überhaupt leisten können

Stattdessen überlegt ein Großteil der Menschen, ob sie sich die Zugfahrt wirklich leisten können, während sich Justus in der ersten Klasse die Zeitung bringen lässt. Ich schüttle in Gedanken versunken den Kopf und schaue weiter aus dem Fenster, ein Wahlplakat für die Europawahl von der FDP: „Erwirtschaften kommt vor Verteilen“. Und ich frage mich, wie lange wir noch erwirtschaften müssen, bis mal irgendwas verteilt wird.

(Lektoriert von nir und jok.)

Seit Anfang 2023 dabei

Bitte nicht schubsen, ich bin im Kreativteam und sonst seht ihr wieder mehr Stockfotos auf der Startseite:(

Ansonsten... Ich mag Dinos, Feminismus und DuLö (Durstlöscher Granatapfel Zitrone)

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