Polizei statt sozialer Sicherheit: AStA kritisiert höhere Polizeipräsenz
Polizeipräsenz statt Schutzraumschaffung: In letzter Zeit sind in Marburg vermehrt Polizist:innen an den Lahntreppen und vor der Mensa zu sehen. Wie kam es dazu und wird dadurch wirklich auch eine erhöhte Sicherheit geschaffen? PHILIPP hat sich für euch beim Allgemeinen Student:innenausschuss (AStA) erkundigt.
Vielleicht sind der ein oder der anderen Person in letzter Zeit häufiger die freundlich dreinblickenden und überhaupt nicht einschüchternden Staatsdiener:innen an den Lahntreppen aufgefallen, die für Sicherheit sorgen sollen.
Okay – Spaß beiseite. Es geht um die vermehrte Polizeipräsenz an den Lahntreppen und der Mensa. Wie kam es dazu? Braucht es die wirklich? Macht mehr Polizei eine Stadt sicherer? Mit diesen Fragen ist PHILIPP an den AStA herangetreten, denn der hat am 13. Juli eine Protestaktion gegen die gehäufte Polizeipräsenz vor dem AStA-Gebäude organisiert. Eingeladen waren alle, die sich solidarisieren und gegen vermehrte Polizeipräsenz in Marburg einsetzen wollen.
Die Interviewten
Marc Oran: SDS, ist noch im Student:innenparlament, hat allerdings nicht mehr für Oktober kandidiert, und Finanzvorstand des AStA, studiert Politikwissenschaften
Viktoria Ehrke: Rosa Liste, aktuell im StuPa und im Vorstand des AStA, studiert Informatik
Mareike Stitz: Jusos, ab nächstem Semester im StuPa und aktuell im Finanzvorstand des AStA, studiert Politikwissenschaften
Was hat zu der Veranstaltung geführt? Gab es einen bestimmten Vorfall?
Marc: Es sind zwei verschiedene Aspekte. Zum einen, dass wir als AStA das Semester ausklingen lassen wollen. Aber Viktoria, kannst du nochmal den Punkt mit den Cops erläutern?
Victoria: Der Anlass war, dass Thomas Spies bei der Eröffnungsfeier des Queeren Zentrums seine neue ‚tolle‘ Sicherheitspolitik präsentiert hat und meinte, er wolle ab jetzt mehr Polizei und Hunde (die sind neu!) an den Lahntreppen zum Schutz queerer Menschen einsetzen. Das war ein ganz weirder Take, vor allem wirklich mit dem O-Ton „wir schützen queere Menschen, indem wir mehr Polizei in Marburg einsetzen“. Und das halt auf der Eröffnungsfeier des Queeren Zentrums, was ja wirklich eine völlig andere Thematik ist – also das diente echt nur der Instrumentalisierung. Aber da kennt man ihn halt auch für…
Marc: Was wir dazu sagen ist, dass es nicht die Lösung sein kann, immer mehr Polizei hinzuschicken, wenn es irgendwo mal nach Problemen aussieht, oder sowas. Es gibt in Marburg einfach zu wenig Räume, in denen man kein Geld ausgeben muss, wo man sich nicht in eine Kneipe setzen und was konsumieren muss, um da sein zu dürfen – das gibt’s echt viel zu selten. Deswegen wollen wir uns den Raum jetzt zurückholen, dass soll die kleine Protestaktion zeigen.
Welche konkreten Punkte findet ihr an der Sicherheitspolitik der Stadt nicht sinnvoll? Wieso muss man laut Spies queere Menschen hier an den Lahntreppen besser schützen?
Viktoria: Also das mit den queeren Menschen war wirklich nur diese plakative Aussage auf der Feier des Queeren Zentrums, ich glaube, da war eigentlich nicht viel dahinter.
Ein Beispiel, das ich gerne nenne, ist das Kaffeekästchen, denn 2018 gab‘s da noch gar nichts. Das war quasi ein „verkommener Raum“, da gab‘s einfach nichts. Dadurch war das auch ein Platz, an dem sich einfach aufgehalten wurde, ein Ort, der auch ein bisschen abgeschottet war vom Rest der Stadt, denn durch die Unterführung muss man nicht zwingend durch. Das war ein Raum, in dem Menschen einfach ihr Ding machen konnten. Und jetzt hat die Stadt diesen Raum in den letzten Jahren gentrifiziert – jetzt ist da ein Café und ein Kunstwerk und so. Dadurch wurden die Leute, die da sonst so waren von dort vertrieben und deshalb sind die jetzt eben an den Lahntreppen, um zu trinken und zu sein. Und da will sie die Stadt jetzt auch nicht haben, aber die Stadt will sie letztendlich nirgends haben. Aber irgendwo müssen diese Menschen sein können und so ist das ein ewiges Hin- und Herschieben. Jetzt werden die Lahntreppen als „Brennpunkt“ betitelt. Und das rechtfertigt jetzt anscheinend die vermehrte Polizeipräsenz, teilweise mit acht bis zehn Mann:Frau. Die gehen dann teilweise auch auf Jugendliche los oder andere Menschen, die ihnen „aggressiv“ oder so vorkommen.
Marc: Ja, wie Viktoria schon sagt, die Leute werden von den Orten, an denen man sich aufhalten kann, vertrieben. Und natürlich passiert an Orten mal was, an denen viele Leute sind und getrunken wird. Aber das ist eben das Problem, es ist eben sonst kein Platz [da], deswegen sind so viele Menschen an einem Ort geballt. Dann kann aber die Lösung nicht sein einfach mehr Polizei da hinzuschicken, weil das ist ja ein strukturelles Problem.
Wieso findet ihr kann soziale Sicherheit nicht durch die Polizei hergestellt werden? Durch was dann?
Mareike: Mehr Polizeipräsenz erhöht nicht die Sicherheit, du unterdrückst dadurch nur die Probleme, löst sie aber nicht. Diese Menschen werden durch die Polizei nur noch mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Das finde ich nicht zielführend und ich fühle mich nicht annähernd sicherer durch die vermehrte Polizeipräsenz – im Gegenteil, ich finde das einschüchternd. Und für Leute, die neu nach Marburg kommen, finde ich, ist es schon ziemlich abschreckend, wenn du erst mal so eine Achtergruppe Polizeimenschen hier triffst.
Viktoria: Ich finde auch ein Punkt ist: Wen schützt man überhaupt? Und wenn man das hier mal abends beobachtet, sieht man schon, dass weiße Menschen eher hinten in der Ecke stehen und schwarze Menschen kontrolliert werden. Also da sind auf jeden Fall die strukturellen Probleme der Polizei zu sehen.
Marc: Eine Lösung kann ja dann nur sein, mehr Freiräume zu schaffen, also wir brauchen einfach mehr Flächen in der Stadt, wo man sich gut aufhalten kann. Wo die Stadtarchitektur eine solche ist, dass man da gut sein kann, auch wenn es mal lauter wird – also nicht unbedingt in einem Wohngebiet. Aber das ist was, das muss man mit der gesamten Stadtbevölkerung offen diskutieren. Davon sind ja auch alle betroffen, das ist unsere Forderung: Dass es einen Prozess gibt, in dem man sich überlegt, wie man das Zusammenleben hier besser gestalten kann im öffentlichen Raum, weil das ist ja der Raum, der uns gehört. Aber man kann nicht die Leute – wie eben hier – zusammenlaufen lassen und sich dann ärgern, dass mehr passiert und dann mehr Cops hinschicken.
Findet ihr Polizeipräsenz gar nicht sinnvoll? Wie müsste Sicherheitspolitik umstrukturiert werden?
Marc (lacht): Oh, das kann ich nicht sagen, dass wäre verfassungsschutzrechtlich relevant…! Na ja, sagen wir‘s mal so: Wir haben massive, strukturelle Probleme in der Polizei, gerade hier in Hessen – NSU-Prozesse, rechtsextreme Chatgruppen und so weiter. Und dann sagt man: „Wir kriegen die doch alle.“ Aber das Problem ist, dass überhaupt so viele da sind! Die Polizei ist anscheinend ein Ort, an dem sich Rechtsextreme sehr wohl fühlen und dann muss man sich als Gesellschaft fragen, ob wir das überhaupt wollen: Eine Struktur schaffen, in der sich Faschisten und Rechtsextreme wohlfühlen? Das glaube ich nicht.
Und da muss man auch grundsätzlich hinterfragen: Welche Rolle spielt die Polizei in diesem Staat, welche Befugnisse hat sie und wieso? Ist es überhaupt sinnvoll, dass sie diese Befugnisse hat?
Viktoria: Und da muss man sich auch fragen, führt Repression überhaupt zu mehr Sicherheit? Gibt es nicht sinnvollere Maßnahmen? Zum Beispiel Drogenstandorte, damit diese Leute sicher sind und auch niemand anderen gefährden. Und dann muss man auch Hilfestellungen bieten. Die Polizeipräsenz wird nicht zu weniger Drogenkonsum führen.
Wie kann man queere Menschen WIRKLICH schützen?
Viktoria: Ich glaube, der beste Schutz ist, Akzeptanz und Schutzräume in der Gesellschaft zu schaffen. Wir haben ja auch im AStA Schutzräume, wo queere Menschen sich organisieren können, um selbst für ihren Schutzraum einzustehen, denn im Kollektiv ist man nicht mehr so gefährdet. Zum Beispiel das autonome Schwulenreferat und das Lesben- und Frauenreferat. Aber es hilft eben nicht, dass man pro queerem Menschen zwei Polizist:innen mehr in der Stadt hat. Die Vorfälle wird‘s trotzdem geben. Da kann Thomas Spies auch noch so viele Regenbogenkrawatten besitzen, wie er will. Er nutzt solche Veranstaltungen immer, um marginalisierten Gruppen zu sagen: „Ihr seid sicher“, um dann seine Sicherheitspolitik zu rechtfertigen. Das ist seine Art, Veranstaltungen so zu nutzen. Er verkauft seine Demoauftritte als Imagekampagne.
(Lektoriert von let, jok und hab.)
Seit Anfang 2023 dabei
Bitte nicht schubsen, ich bin im Kreativteam und sonst seht ihr wieder mehr Stockfotos auf der Startseite:(
Ansonsten... Ich mag Dinos, Feminismus und DuLö (Durstlöscher Granatapfel Zitrone)