Bald nur noch reiche Kids in der Wissenschaft? – Sparpolitik der Uni lastet auf Studierenden

Bald nur noch reiche Kids in der Wissenschaft? – Sparpolitik der Uni lastet auf Studierenden

Collage: Annabell Sent

Wieso die geplanten Sparmaßnahmen am Fachbereich 06 die Zukunft von Universitäten gefährden, wie sich die vorgesehenen Stellenkürzungen auf die Bildungsgerechtigkeit auswirken und was Widerstand bewirken kann, kommentiert die Studentische Hilfskraftinitiative für PHILIPP.

Das Präsidium der Universität Marburg hat Sparmaßnahmen für den Fachbereich 06 Geschichte und Kulturwissenschaften verordnet. Es gibt nicht mehr genug Studierende, die nicht mehr schnell genug durch das System geschleust werden und daher nicht mehr genug Geld da lassen.

Man muss also sparen.

Und wo spart man, wenn man ein unternehmerisch denkendes Subjekt ist, das schwarze Zahlen für den eigenen Betrieb schreiben will?

Am besten da, wo man schnell und einfach Kürzungen vornehmen kann. Am besten da, wo wenig Widerspruch zu erwarten ist, weil das Personal keine ordentliche und gesetzlich anerkannte Vertretung und Mitbestimmungsrechte hat. Am besten da, wo man Verträge einfach auslaufen lassen kann, ohne eine Begründung vorzulegen.

Das scheint auf den ersten Blick die einzig logische Konsequenz zu sein – in einem System, das in der Finanzierung an das Erreichen von Kennzahlen wie ausreichend hohe Einschreibungszahlen und die Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit gebunden ist.

An dieser Logik sind allerdings zwei Dinge auszusetzen: Zum einen das System, das dann vielleicht kein gutes ist, wenn es nur so funktionieren kann, und zum anderen die Prioritätensetzung.

Wenn die Uni Geld bringen soll, liegt der Fokus nicht auf guter Lehre

Fangen wir beim ersten Punkt an.

Eine Universität ist kein Betrieb, der wie ein Wirtschaftsunternehmen geführt werden sollte. Eine Universität sollte Forschung unabhängig von finanziellen Sachzwängen leisten können. Leider haben wir es bei den Problemen am Fachbereich 06 nicht mit einem Einzelfall zu tun – erst im Herbst 2020 wurden drastische Sparmaßnahmen für den Fachbereich 03 Gesellschaftswissenschaften und Philosophie verordnet. Hier wurden Stellensperren (dabei dürfen auslaufende Verträge für 12 Monate nicht nachbesetzt werden) sowie eine Verkürzung der Vertragslaufzeiten für wissenschaftliche Mitarbeiter*innen verhängt, die besonders den akademischen Mittelbau trafen. In einer Stellungnahme des wissenschaftlichen Mittelbaus wurde damals die Forderung laut, „an den Ursachen der chronischen Unterfinanzierung anzusetzen“, statt Entscheidungen zu treffen, die letztendlich eine Abwärtsspirale verursachen: Sparmaßnahmen führen dazu, dass Lehr- und Betreuungsverhältnisse immer schlechter werden, was wiederum zu einem Rückgang der Studierendenzahlen führen kann – womit wieder neue Sparmaßnahmen nötig werden.

Für das Präsidium scheint dies jedoch the way to go zu sein, denn auch für den Fachbereich 06 sind nun Sparmaßnahmen verordnet worden. Wieder trifft es die Geisteswissenschaften und wieder die Statusgruppe, die sich in einer sowieso schon prekären Ausgangslage befindet: die studentischen Hilfskräfte.

Stellenkürzungen bedeuten auch weniger Bildungsgerechtigkeit

Womit wir bei Punkt zwei wären: Die aktuellen Sparmaßnahmen am Fachbereich 06 und 03 haben besonders schwerwiegende Auswirkungen für studentische Beschäftigte. Stellen werden gestrichen, Neuausschreibungen erscheinen unmöglich, Arbeitszeiten werden drastisch reduziert, sodass der Job schlichtweg nur noch von Personen gemacht werden kann, die nicht auf das Einkommen angewiesen sind. Damit wird auch der Zugang zur Wissenschaft noch mehr auf Menschen aus privilegierten Haushalten zugeschnitten, denn hier wird eine vorherige Beschäftigung als Hilfskraft in der Regel vorausgesetzt. Schon jetzt haben 61,3% der studentischen Hilfskräfte mindestens ein Elternteil mit (Fach-)Hochschulabschluss.

Für viele Studierende sind diese Stellen jedoch eine unverzichtbare Einkommensquelle, um ihren Lebensunterhalt und ihr Studium zu finanzieren. Die Folgen sind existenziell, da es für viele Studierende in Zeiten von steigenden Wohnraumkosten und Inflation schwer ist, mit der reduzierten Stundenzahl die Miete zu bezahlen.

Nichtsdestotrotz werden gravierende Entscheidungen über unsere Köpfe hinweg und ohne Vorankündigung getroffen, und wieder bekommen wir zu spüren, wie sich ein Ausschluss aus der Personalratsvertretung anfühlt. Die leichtfertige Kürzung der „Sachmittel“ (aka studentische Hilfskräfte) zeugt auch von der beispiellosen Ignoranz der Realität unserer Arbeitsbedingungen: 74,7% der hessischen Hilfskräfte leben laut Angaben der Studie Jung, akademisch, prekär. Studentische Beschäftigte an Hochschulen und Forschungseinrichtungen: eine Ausnahme vom dualen System regulierter Arbeitsbeziehungen bereits unter der Armutsgrenze. Unsere Arbeit an der Uni ist auch kein „Hobby“, dem wir aus purer Leidenschaft und Liebe zur Wissenschaft in unserer vielen freien Zeit nachgehen, denn wie die Daten aus der Studie belegen, bildet die Arbeit mit knapp 40% des Gesamteinkommens die Haupteinnahmequelle und für 66,2% der studentischen Hilfskräfte stellt das Einkommen das Hauptmotiv für die Tätigkeit dar.

Widerstand lohnt sich!

Doch die studentischen Hilfskräfte wehren sich gegen diese Einschnitte und organisieren sich, um für ihre Rechte und bessere Arbeitsbedingungen einzustehen. Es zeigt sich, dass Widerstand sich lohnt, denn durch die koordinierte Gesprächsstrategie und solidarische Unterstützung konnten vorerst die geplanten Kürzungen verhindert werden. Jedoch ist der Kampf noch nicht vorbei und es ist wichtig, dass die studentischen Hilfskräfte ihre Forderungen nach einer Aufnahme in den Tarifvertrag weiterverfolgen. Denn trotz der positiven Erfahrung aus dem kollektiven Eintreten für die eigenen Rechte ist nur ein akutes Problem abgewendet und das auch nur vorerst. Die Arbeitsbedingungen für studentische Hilfskräfte sind nach wie vor miserabel und nach wie vor ist diese Statusgruppe so vulnerabel, dass sich die Situation ohne tarifliche Absicherung, Mindestvertragslaufzeiten und Personalvertretung jederzeit wiederholen könnte. Die Situation an der Universität Marburg ist auch kein Einzelfall, sondern ein strukturelles Problem, das nur durch gemeinsame Anstrengungen und kollektive Organisation gelöst werden kann.

Denn eine Universität darf nicht ausschließlich als wirtschaftliches Unternehmen betrachtet werden. Ihre Hauptaufgabe liegt in der Bildung und Wissensvermittlung, und dafür braucht es engagierte und gut bezahlte Lehrkräfte und Hilfskräfte. Die Ausfinanzierung der Universitäten und die Erarbeitung realistischer Finanzierungsmöglichkeiten im Interesse der Fachbereiche müssen im Fokus stehen, um den Bildungsbetrieb nachhaltig zu sichern. Die Unterfinanzierung der Universitäten und des gesamten Bildungssystems sind kein neues Phänomen, weshalb wir uns langsam fragen, wann die Präsident*innen und Kanzler*innen der hessischen Hochschulen anfangen, politisch aktiv zu werden und dem hessischen Bildungs- und Innenministerium mit Nachdruck deutlich zu machen, wie dramatisch die Lage an den „Motoren für Innovation“, wie es im hessischen Hochschulpakt heißt, ist.  

Solidarität für gute Bildung an der Uni!

Der Widerstand der studentischen Hilfskräfte und anderer Akteur*innen an der Universität Marburg zeigt, dass Solidarität und kollektives Handeln entscheidend sind, um gegen die Auswirkungen der Unterfinanzierung anzukämpfen. Nur durch gemeinsame Anstrengungen können die strukturellen Missstände behoben und eine bessere Zukunft für alle Beteiligten erreicht werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Universität Marburg und andere Bildungseinrichtungen in Deutschland die Bedeutung einer angemessenen Finanzierung und die Wichtigkeit der Bildungsgerechtigkeit erkennen und entsprechende Maßnahmen ergreifen.

Sparpolitik ist nicht alternativlos und um hier ein wirksames Gegengewicht zu schaffen, braucht es nachhaltige Aktionsformen, gute Organisation und solidarische Zusammenschlüsse. Als Beschäftigte und auch als Studierende der Universität Marburg gehen uns diese Situation und die Bedingungen, unter denen unsere Kommiliton*innen, Kolleg*innen und Dozierenden arbeiten, alle etwas an. Deshalb fordern wir auch als Hilfskraftinitiative, wie schon der wissenschaftliche Mittelbau des Fachbereichs 03 vor uns, vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst: eine Ausfinanzierung der Universitäten; und vom Präsidium der Universität Marburg: die Erarbeitung realistischer Finanzierungsmöglichkeiten im Interesse des Fachbereichs, die nicht auf Kosten von Lehre und Forschung gehen!

Am Ende des Tages müssen wir uns sonst die Fragen stellen:

Was bleibt von einer Universität noch übrig, wenn wir sie vollständig einer ökonomischen Funktionsweise unterwerfen?

Und wer hält die Universität am Laufen, wenn kein Personal mehr da ist?

(Lektoriert von let und hab.)

stellvertretend für die "Initiative für Studentische Hilfskräfte Marburg"

Referentin des AStA-Referats Hilfskraftinitiative

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