Sneak-Review #248: Barbie

Sneak-Review #248: Barbie

Massentauglich offenherziger Plastik-Pop und gesellschaftskritische Indie-Sensibilität: Greta Gerwigs Barbie nutzt das weltweit bekannte Spielzeug als Fundament für eine vielseitige, humoristische Geschichte über Identitätskrisen und löchrige Oberflächen. 

Was für Greta Gerwig, eine der interessantesten gegenwärtigen Regisseurinnen, als bloßer Drehbuchschreibauftrag begann, den sie zusammen mit ihrem ebenfalls als Regisseur bekannten Mann Noah Baumbach bestritt, wurde zu ihrer Chance, in die Blockbuster-Gefilde der Filmindustrie einzusteigen. Nach ihren zahlreichen Auftritten als Schauspielerin (unter anderem im großartigen, ‚French-New-Wave‘-inspirierten Film Frances Ha (2012) oder in Jahrhundertfrauen (2016), zuletzt in Baumbachs Weißes Rauschen (2022)) und Drehbuchautorin lieferte sie im Jahr 2017 mit Lady Bird, einer feministischen, Mutter-Tochter- und ‚Coming of Age‘-Geschichte, ihr Regiedebüt. Darauf folgte zwei Jahre später mit Little Women eine ebenso feministische Literaturadaption des gleichnamigen Romans von Louisa May Alcott, in der die mit Heiterkeit geladenen Farben der Kindheit der Figuren den trostloseren Tönen ihres Erwachsenendaseins gegenüberstellt werden. Gerwigs vergangene Filme bestechen durch ihr emotional offenherziges und komplexes Erzählen, ihre formale Leichtigkeit und Vielseitigkeit sowie durch die Zentrierung von kreativen Frauen: Little WomensProtagonistin ist Schriftstellerin, Lady Bird ist nach dem Namen benannt, den sich die Hauptfigur, in einem Akt schöpferischer Umbenennung, selbst verleiht. Sie macht Filme über das für die Menschwerdung notwendige Scheitern an Idealen. Nun also Barbie. Von intimen Identitätsstudien hin zu einem aufwendig produzierten – der Film besaß ein Budget von 145 Millionen USD – Film über eine kontroverse Pop-Ikone. Kann dieser Übergang funktionieren oder zerschellen die künstlerischen Ambitionen Gerwigs am kapitalen Gewicht der Marke? 

Albträume im Traumhaus

Inmitten der zahlreichen Barbies, die im überpinken Barbie-Land als Hauptfigur fungieren könnten, fokussiert sich Gerwig auf die stereotype, normschöne Barbie (Margot Robbie). Norm-Barbie lebt ein perfektes, gleichförmiges Leben im Matriarchat. Dort verändert sich nichts und sie kann wiederum auch von nichts verändert werden. Flüssigkeiten existieren beispielsweise in Barbie-Land nicht, wir sehen lediglich, wie Barbie wiederholt die Leere aus ihrer Kaffeetasse trinkt. Der entscheidende Bruch kommt mit den plötzlichen Gedanken über den Tod, die sich in Barbies Bewusstsein schleichen und ihre Idealverkörperung mit allzu menschlichen Makeln zerstört – darunter Mundgeruch und platte Füße anstelle der gehobenen High-Heel-Form. Um diesen Prozess aufzuhalten und den Status quo wiederherzustellen, muss Barbie in die sogenannte „echte Welt“ aufbrechen und dort ihre Besitzerin finden, die anscheinend im Spiel mit ihren Barbie-Puppen ihre Gefühle auf das Spielzeug überträgt. Begleitet wird sie dabei, jedoch ohne ihre Zustimmung, von Ken (Ryan Gosling), ihrem männlichen Markenpendant.

Visuell wird der Vergleich zwischen einer nostalgisch verklärten Vergangenheit und den der harschen Wirklichkeit entsprechenden Realbedingungen aus Little Women in Barbie durch das Aufeinandertreffen zweier Welten ersetzt. Das farblich gesättigte, taktil wirkende Plastikparadies von Barbie-Land trifft auf die neutraleren und dadurch im Vergleich lebloseren Farben der „echten Welt“, die Barbie in mehrerlei Hinsicht desillusioniert zurücklässt. Wo sie sich erhofft, eine Welt vorzufinden, in der Frauen durch die emanzipatorische Vorbildfunktion der Barbies florieren, findet sie stattdessen ein von Sexismus durchsetztes Patriarchat vor, in dem Barbie als unerreichbares, kapitalisiertes Körperideal kritisiert wird. Ken dagegen, der sonst um Barbies Aufmerksamkeit kämpfen muss und scheinbar nur dadurch wirklich glücklich werden kann, findet schnell Gefallen an den Privilegien, die ihm allein durch sein traditionell-amerikanisch codiertes Männerdasein (Dominanz, Muskeln, Pferde) zukommen. Der Film spielt sich in der Spannung zwischen diesen beiden Welten und Figuren ab. 

Diese zunächst überfüllt wirkende Inhaltszusammenballung des Films wird halbwegs durch seine visuellen Spielereien ausgeglichen. Zusammen mit dem Bildgestalter Rodrigo Prieto, bekannt durch seine langjährige Zusammenarbeit mit Martin Scorsese, übersetzt Gerwig das der Marke inhärente Transformationspotential Barbies in unterschiedliche Filmreferenzen, die zusammengewoben werden und die Wandelbarkeit Barbies unterstreichen (darunter seien mit 2001: A Space Odyssey, Singin‘ in the Rain und Jacques Tatis Playtime nur die offensichtlichsten erwähnt). Barbie wird so durch die Linse mehrerer Genres betrachtet und in unterschiedlichen Kontexten erfahrbar: als Kosmogonie, als Musical, als Dystopie, als feministische Parabel, aber auch als im Kapital ihrer selbst ertrinkende Kapitalismuskritik. Dahinter scheint der Film primär die Identitätskrise von Norm-Barbie verhandeln zu wollen. Getragen wird dieser inhaltliche und visuelle Überbau von einem durchweg humoristischen Ton, der trotz seiner polemischen Spitzen stets auf leicht verdauliche Unterhaltsamkeit gebürstet ist.

Die Ken-Frage

Es ist nur ein sehr kleiner, fast schon nebensächlicher Gag des Films. Ken wird mehrmals als unscheinbare, ja unwichtige Figur bezeichnet. Dass diese Bemerkungen nur dazu dienen, die Wendung des Films vorzubereiten, funktioniert zunächst dramaturgisch, droht jedoch, Barbie in seiner zweiten Hälfte in einen Abgrund zu reißen. Dort verliert der Film seine vermeintliche Hauptfigur plötzlich völlig aus den Augen. Ken nimmt, besonders durch das humoristisch präzise, Charisma atmende Schauspiel von Ryan Gosling – also einer in diesem Sinne stärker subjektiv geprägten Wahrnehmung –, die vorderste Stelle ein. 

Warum ist es dem Film so wichtig, nicht nur die Identitätsbildung Barbies, sondern auch die Kens zu erzählen? Er sträubt sich bewusst und klugerweise davor, die beiden in ein klischiertes Liebesverhältnis zu zwängen. Warum dann so viel Zeit für Ken verwenden, wenn Barbie als Figur so schon fast vor lauter Nebenfiguren unterzugehen droht? Es könnte der Ambition oder der Unordnung des Filmes geschuldet sein, aber die mögliche politische Implikation einer (wenn auch binär gedachten) symbolischen Kooperation von Barbie und Ken, die sich aus diesem Fokus ergeben und für eine genderbezogene Zusammenarbeit stehen könnte, stellt sich nicht ganz ein. Hier wirkt der Film überraschend unentschlossen und zaghaft. Es gelingt ihm gerade so, am Ende noch Barbie zurück in den Mittelpunkt zu stellen, da ihr Innenleben letztendlich die Oberhand gewinnt, aber diese Mischung bleibt in ihrer Umsetzung verwirrend. Wobei an dieser Stelle ein Trugschluss zu berücksichtigen ist, der hier möglicherweise vollends zutrifft: Sorgt die kritische Behandlung eines das Patriarchat kritisierenden Films innerhalb eines patriarchalen Systems dafür, dass die verinnerlichten Wahrnehmungsmuster gerade das hervorheben, was in Wahrheit nebensächlich ist? Anders gesagt: Sehe ich vor lauter Kens mein eigenes Ken-Dasein nicht?

Puderzuckrige Kritik

Ein Großteil des Humors von Barbie speist sich aus einem Meta-Bewusstsein, das nicht nur die Markengebundenheit des Films offen zur Schau stellt – dabei darf eine satirische Darstellung der dahinterstehenden Spielzeugfirma Mattel, deren CEO von Will Ferrell gespielt wird, natürlich auch nicht fehlen –, sondern auch sein eigenes Schema der Heldinnengeschichte stets mitreflektiert und als Stoff für Witze verwendet. Daraus ergibt sich zwar eine offenherzige, unterhaltsame Oberflächlichkeit, für die Barbie jedoch mit dem Verlust von Tiefgang bezahlen muss, um seine zugängliche Leichtigkeit nicht zu verlieren. So bleiben die in diesem Kontext von den Figuren geäußerten, gesellschaftskritischen Aussagen, egal ob feministischer oder kapitalismuskritischer Natur, äußerst simpel und altbacken. Einerseits lässt sich darin der Vorzug sehen, dass diesen einfachen Aussagen durch Barbie wenigstens eine Blockbuster-Plattform geboten wird, andererseits bleibt der Film jedoch in diesem Aspekt unterkomplex. 

Ähnlich vertrackt verhält es sich mit seiner übergeordneten Stellung als dennoch in den Kapitalismus eingebettetes Produkt. Seine in dieser Richtung vollzogene Kritik bleibt nur so lange Kritik, bis die bedeutsame Rolle des echten Mattel berücksichtigt wird. Jede Mattel-bezogene, kritische Äußerung des Films muss demnach von der Firma abgesegnet worden sein, sonst würden wir sie überhaupt nicht im Film vorfinden. Dadurch wird Barbie lediglich als Teil einer wohlkalkulierten Marketing-Strategie fassbar, die Mattel nutzt, um sich selbst als authentisch und ironiebegabt zu inszenieren. Die vorsichtige Kapitalismuskritik des Filmes mag während seiner Laufzeit nett wirken, erstickt jedoch schnell inmitten eines Systems, das sich (und damit ist nichts Originelles gesagt) diesen Ton als weiteres Werkzeug zur Profitsteigerung einverleiben kann. Natürlich sind besondere, dem Film entnommene Puppen und Kleidungsstücke bereits zum Kauf erhältlich. Natürlich stellt Barbie nur den ersten, bereits sehr erfolgreichen Schritt Mattels in die Blockbuster-, ‚Live-Action‘-Filmindustrie dar – es wurden bereits 13 weitere Filme über das Spielzeuginventar Mattels angekündigt, noch mehr befinden sich in Planung. So befreiend und ekstatisch sich das Lächeln, mit dem der Kinosaal nach Barbie verlassen wird, auch anfühlen kann, so erdrückend ist doch das dahinterstehende, kapitalistische Ziel einer Firma, jenes Lächeln endlos reproduzieren zu wollen, nur eben in unterschiedlichen Varianten. Come on Barbie, let’s go party.

Hi, Ende der Kritik: Barbie wurde zu 93% positiv und zu 7% negativ beurteilt. 

(Lektoriert von hab und let.)

ist seit Mitte Februar 2023 Redaktionsmitglied. Studiert Literaturvermittlung in den Medien. Hat den Film "Babylon" acht Mal im Kino gesehen. 23 Jahre alt.

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