Sneak-Review #227: Gletschergrab

Sneak-Review #227: Gletschergrab

Zunächst schien es so, als ob die Eintönigkeit der isländischen Gletscherlandschaft Elias‘ (Atli Óskar Fjalarsson) Wahrnehmung beeinträchtigen würde, aber er hat es doch wirklich gesehen: Da ragt eine Haifischflosse aus dem unbeweglichen Meer des Gletschers. Nach einiger Anstrengung stellt sich jedoch heraus, dass es sich dabei um ein altes, deutsches Flugzeug aus dem zweiten Weltkrieg handelt. Elias hat gerade noch genug Zeit, seiner Schwester Kristin (Vivian Ólafsdóttir) am Telefon davon zu erzählen, als plötzlich Agent:innen der amerikanischen Regierung, angeführt von William (Iain Glen), erscheinen und Elias fliehen muss. Da die amerikanische Regierung das Wissen um das Flugzeug und dessen Fracht geheim halten möchte, entspinnt sich eine Verfolgungsjagd, bei der Kristin nicht nur das Mysterium um das Flugzeug lösen, sondern auch ihren Bruder retten und ihren Verfolgern entkommen muss. 

Auf Gletschers Schneide

Nach diesen ersten Szenen von Gletschergrab, die zunächst einen interessanten Fall präsentieren und es durchaus schaffen, Spannung aufkommen zu lassen, weiß der Film jedoch nicht, wo er mit dieser Energie hinwill. Der gleichnamigen Romanvorlage des isländischen Autors Arnaldur Indriðason folgend, möchte der Film ein krimiähnliches Grundmysterium mit Spannungselementen des Thrillers kombinieren, rutscht dabei aber immer wieder aus und verteilt diese Komponenten wahllos über dem Eis. Die Figuren agieren dabei weniger als eigenständige, nachvollziehbare Charaktere, sondern erfüllen eher die sekundäre Rolle von Informationsbehältern, die lediglich die Handlung vorantreiben sollen. Das führt dazu, dass der Film torkelnd von Expositionsszene zu Expositionsszene schlittert und dabei versucht, seine recht simple Prämisse komplexer aussehen zu lassen, als sie es in Wirklichkeit ist. Der Film geht an einigen Stellen sogar so weit, dass bereits beschaffte Informationen und Erkenntnisse über das Flugzeug von mehreren Figuren wiederholt werden, damit das anscheinend für dumm befundene Publikum diese ja nicht vergisst. 

Obwohl der isländische Regisseur Óskar Thór Axelsson bereits zahlreiche Thriller gedreht hat, gelingt es ihm hier nicht über den Anfang hinaus Spannung aufzubauen und in einen Rhythmus zu kommen. Die leider nur behelfsmäßige Inszenierung sorgt vielmehr dafür, dass jede Szene gleichförmig wirkt. Die Schauspieler:innen werden fast immer aus einer mittleren Distanz gefilmt: so, dass die Zuschauer:innen sowohl ihre Körper sehen als auch die Räume, in denen sie sich bewegen. Anfangs funktioniert diese Herangehensweise, sie suggeriert die Perspektive der Verfolger, gibt den Zuschauenden das Gefühl, Kristin versteckt zu beobachten. Doch mit zunehmender Laufzeit wird deutlich, dass es sich dabei nicht um eine pointiert gesetzte Regieentscheidung handelt, sondern um eine rein pragmatische, die schnelles Filmen zu erlauben scheint. Nur in den fast gänzlich ausbleibenden Nahaufnahmen könnte eine bewusste ästhetische Entscheidung vermutet werden, deren Wirkung dem Film jedoch nicht zugutekommt. Insgesamt entsteht dadurch nämlich eine oberflächliche, nur an ihrer eigenen Glätte interessierte Inszenierung, die die Zuschauenden etwas verloren und ziellos durch den Film bringt. Spätestens in dieser kühlen Distanz verglühen jegliche Versuche des Spannungsaufbaus.    

Verloren im Eis

Das rasante Erzähltempo vermag über die fehlende Struktur hinwegzutäuschen, indem es den Eindruck entstehen lässt, dass Spannung nur bedeutet, schnell von Handlungsort zu Handlungsort zu wechseln. Bei näherer Betrachtung zerfällt Gletschergrab jedoch in nur lose miteinander verknüpfte Einzelteile, die weder in sich stabil sind noch in ihrer spezifischen Anordnung ein kohärentes Ganzes ergeben. Länger über diesen Film nachzudenken heißt, um eine leere Mitte zu kreisen, dem Film dabei zuzusehen, wie er wegschmilzt. Es bedeutet, wiederholt ein Loch in der Eisschicht zu begutachten, in der Hoffnung, dass sich doch einige Fische darin finden. In Wahrheit wartet nur eine endlose Tiefe hinter der Reflektion des eigenen Gesichts. Es fühlt sich an, wie sich auf dünnem Eis fortbewegen zu müssen, ohne zu wissen, wann der feste Boden kommt. Am Ende bleibt nur die Wahl: lieber ab- oder einstürzen? 

Die Zuschauenden haben den Film überraschenderweise zu 79% positiv und 21% negativ bewertet.

(Lektoriert von hab und lab.)

ist seit Mitte Februar 2023 Redaktionsmitglied. Studiert Literaturvermittlung in den Medien. Hat den Film "Babylon" acht Mal im Kino gesehen. 25 Jahre alt. Liebt schiefe Vergleiche.

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