What Our Professors Do in the Shadows – Einblicke in die Arbeit außerhalb der Seminare

What Our Professors Do in the Shadows – Einblicke in die Arbeit außerhalb der Seminare

Collage: Annabell Sent

Einblicke in die Arbeit der Dozent:innen gehen selten über Vorlesungen, Seminare und die ein oder andere Sprechstunde hinaus. Aber was machen unsere Professor:innen während ihrer Arbeitszeit außerhalb der Seminarräume? PHILIPP hat für euch bei Prof. Dr. Wohlleben und Elisa Risi vom Fachbereich 09 Germanistik und Kunstwissenschaften nachgefragt.

Wie Poetik zu Wissenschaft passt

Manch eine:r wird sie vielleicht schon einmal entdeckt haben, die Bücher in der Uni-Bib, auf denen die Namen der Dozent:innen aus der letzten Uni-Veranstaltung stehen. Eine Aufgabe von Professor:innen neben den Seminar- und Vorlesungsvorbereitungen ist das Herausgeben von wissenschaftlichen Schriften und Büchern. Diesen Monat (Juli 2023) erschien der Band Massenwahntheorie und Friedenspoetik – Hermann Broch und die bedrohte Demokratie des 20. Jahrhunderts. Neben Sarah McGaughey oder Daniel Weidner finden sich auch Namen, die insbesondere den Studierenden aus dem Fachbereich 09 etwas sagen dürften: Doren Wohlleben und Elisa Risi. Die Zwei erzählten PHILIPP im Interview von ihrer Herausgeberinnentätigkeit und von dem Buch. Denn gleich beim Titel stellt sich die Frage: Wie passen Massenwahn und Friedenspoetik zusammen? 

Wohlleben erklärt: „Hermann Broch, ein jüdischer Emigrant, Schriftsteller und wichtiger Intellektueller, der sich mit politischen Theorien, mit Philosophie, Geschichte auseinandergesetzt hat, arbeitete in den 1940er-Jahren im Princetoner Exil an einem ganz großen Werk, das nannte er wirklich Massenwahntheorie. Er versucht hier das Phänomen des Nationalsozialismus psychoanalytisch, historisch, politisch zu fassen. Gleichzeitig hat er aber auch an einem literarischen Werk geschrieben, an einem experimentellen Roman: Der Tod des Vergil, der auch eine Art Friedensutopie darstellt, zurück projiziert in die Antike, mit politischen Analogien zu Brochs Schaffensphase der 1940er-Jahre. Somit laufen diese beiden Werke parallel. Auch in Der Tod des Vergil spielt das Phänomen der Masse eine ganz große Rolle.“ Der Massenwahn an sich geht, wie Wohlleben verdeutlicht, von einer Angst des Menschen aus, die kompensiert werden soll durch die Beteiligung an Großereignissen und an Massenphänomenen, angeführt von bewunderten Personen, die totalitäre Machtstrukturen verkörpern. Diese Art von ‚Anführern‘ solle den Ängstlichen also ein Gefühl von Zugehörigkeit und Sicherheit vermitteln, um ihnen angeblich so die Angst nehmen zu können. Dieser Massenwahntheorie stellte Broch eine Friedenspoetik entgegen, wie Wohlleben zusammenfasst. 

Von der US-Präsidentschaftswahl zu Arendt zu Broch

Was das Buch vor allem auszeichnet ist, dass es nicht nur für Studierende aus der Literaturwissenschaft oder der Germanistik von Interesse sein kann, sondern auch für Politikwissenschaftler:innen, Philosoph:innen oder auch für Studis aus der Friedens- und Konfliktforschung und damit ein breites Spektrum bedient, wie Risi bestätigt: „Im Band selber sind ganz viele Beiträge vorhanden, von Autor:innen, die sich zum Beispiel in politischer Hinsicht mit Brochs Massenwahntheorie auseinandersetzen, gerade der erste Beitrag zum Beispiel betrachtet solche aktuellen gesellschaftlichen Themen wie die US-Präsidentschaftswahl. Es geht um politische Phänomene generell, die eben mit Massenwahn zusammenhängen oder dann als Kontrapunkt um Friedenspolitik und Menschenrechte. Und das könnte auch interessant sein für Studierende, die nicht nur aus unseren Fächern kommen, also Literaturwissenschaften oder Germanistik, auch für Politikwissenschafler:innen bietet das Anschlusspunkte. Philosophie steckt auch ganz viel drin. Für Studierende, die sich mit Philosophie beschäftigen, kann der Band daher interessant sein, weil viele philosophische Denker:innen, Hannah Arendt zum Beispiel, eine große Rolle spielen, das wird auch mit verhandelt. Da gibt es viele Anknüpfungspunkte für Studierende in Marburg.“

Vier Jahre Vorbereitungszeit, auch für studentische Hilfskräfte

Oft entstehen solche Herausgeberschriften aus einer Tagung heraus. Alle Vorträge, die dort gehalten wurden, werden dann im Nachhinein verschriftlicht und abgedruckt. So verhielt es sich auch bei Massenwahntheorie und Friedenspoetik. Doch der Prozess von der Tagung zum fertigen Buch ist ein langer, wie im Gespräch mit Wohlleben klar wird: „Vier Jahre vorher fängt man tatsächlich an, sich auf einen Ort, auf ein Thema und auf einen Personenkreis zu einigen. Zweieinhalb Jahre vorher stellt man einen Antrag an eine Förderinstitution (in diesem Fall die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)), dessen Absage oder Bewilligung man ein dreiviertel Jahr abwarten muss. Die heiße Phase beginnt dann richtig, ein bis eineinhalb Jahre vor der Tagung.“ Doch auch nach der Organisation der Tagung, die ohne die Hilfe von studentischen Hilfskräften nicht zu meistern gewesen wäre, ist die Arbeit nicht vorbei.

Die Tagung fand im Mai 2022 statt und die schriftlichen Beiträge der Vortragenden mussten bis September des gleichen Jahres vorliegen. Hier beginnt dann die Lektorats-Arbeit, an der ebenfalls studentische Hilfskräfte beteiligt waren. Die Korrekturen an den Einzelbeiträgen liefen bis Januar/ Februar 2023. Bis dahin mussten die Beiträge aufeinander abgestimmt werden – „wie in einer studentischen Hausarbeit“, merkt Risi an, es muss in dem gesamten Band auf einheitliche Zitierweise, Kommata und Formatierung des Literaturverzeichnisses geachtet werden. Das Endlektorat dauerte noch bis April. „Dann ging der Band an den Verlag, der sich unter anderem noch um den Satz kümmert und ging dann in den Druck im Juni/ Juli“, sagt Risi.

Internationale Aufmerksamkeit für Studienleistung

Parallel zur Tagung organisierten Wohlleben und Risi eine Vorlesung und ein Seminar zum Thema. Hier konnten die Studierenden Podcasts erstellen, in denen sie Szenen der Schlafwandler-Trilogie von Broch vertonten und „kreativ weiterdachten, um sie in die heutige Zeit hineinzuholen.“ Anstatt einer Präsentation spielten die Studierenden diese „kleinen Hörspiele“ bei der Tagung vor: „Das war auch für die etablierten Broch-Forscher:innen noch mal ein ganz neuer Impuls, den wir uns selbst nicht hätten zuspielen können. Besonders bei der älteren Generation erzeugte das Faszination, wie die Studierenden politisch und ästhetisch anspruchsvolle Roman-Passagen kreativ-mutig in ein anderes Medienformat umgesetzt haben“, erzählt Wohlleben.

Die Podcasts wurden zwar nicht im Band selber abgedruckt, jedoch via Hessenbox allen Tagungsteilnehmer:innen und dem Internationalen Arbeitskreis Hermann Broch (IAB), der 220 Forscher:innen aus Asien, Europa und Amerika umfasst, zur Verfügung gestellt. Dadurch erreichte dieses studentische Projekt eine internationale Öffentlichkeit und „soll auch in zukünftigen Uni-Seminaren in Amerika und Europa pädagogisch Anwendung finden“, wie Wohlleben PHILIPP bestätigte. 

Brave Autorenforschung vs. die großen Fragen der Studierendengeneration

Was im Gespräch über den Band deutlich herauskommt, sind die Bandbreite und Fähigkeit von Literatur, die zeigen, wie wichtig dieses Medium für uns alle ist, denn „Literaturwissenschaft ist eben keine brave Autorenforschung, sondern aus der Autorenforschung heraus entwickeln sich interdisziplinäre, internationale, gesellschaftsrelevante Fragen, die uns letztlich alle betreffen“, was Wohlleben näher ausführt, indem sie auf Fragen der Friedenspolitik, der Verführung des Subjekts und der Demokratie zu sprechen kommt und feststellt, dass das eben Fragestellungen seien, die die aktuelle Generation von Studierenden sehr beschäftigen und umtreiben. 

Auch wenn Broch nicht zu den bekanntesten literarischen Figuren der Moderne gehöre, wie Wohlleben bemerkt, biete er ganz viel Inspirationspotenzial, die Einzelanalysen, die in dem Band vorgeführt werden, auf andere Gegenstände, Autoren und Genres anzuwenden. „Das macht Literaturwissenschaft einfach zu so einem spannenden Untersuchungsfeld, weil im Grunde die Fragen der Menschheit, die Fragen der Gegenwart in der Literatur ausgehandelt werden und eben auch experimentell wie im Fall Broch in utopischen oder apokalyptischen Visionen ausprobiert werden können, als experimentelles Forum.“

Falls ihr auch mal einen Blick in das Buch Massenwahntheorie und Friedenspoetik – Hermann Broch und die bedrohte Demokratie des 20. Jahrhunderts werfen wollt: Ihr findet es in der Universitätsbibliothek oder, da es über Open Access verfügt, auf der De Gruyter Website

(Lektoriert von hab, jok und let.)

Studiert Literaturvermittlung in den Medien in Marburg.
24 Jahre alt.
Beim PHILIPP seit Januar 2023 innerhalb der Redaktion und Lektorat aktiv.

Hat eine Katze, aber leider auch eine Katzenhaarallergie.

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