Das StuPa – über Spaltung, Sandkästen und Stellungnahmen

Das StuPa – über Spaltung, Sandkästen und Stellungnahmen

Bild: Annabell Sent

Am Mittwoch letzter Woche diskutierte das Student*innenparlament (StuPa) über eine mögliche Stellungnahme gegen einen Antrag im hessischen Landtag, der die Bundeswehr stärken soll, aber viele Sorgen um Wissenschaftsfreiheit aufwirft. Dabei waren die Parlamentarier*innen merklich gespalten.  

Das StuPa wurde einmal als „House of Cards im Sandkasten“ bezeichnet (wonach wir eine weniger langwierige Artikelreihe benannten). Auch wenn das natürlich überspitzt formuliert ist, kann es sich tatsächlich so anfühlen – da kommen ein paar Studierende zur StuPa-Sitzung, die sich wie Schüler*innen in einem PoWi-Planspiel eine Partei ausgesucht haben. Im Vorlesungssaal des CNMS entfaltet sich dann das politische Drama: es wird heftig diskutiert, die Geschäftsordnung rezitiert, der Bürokratie strengstens gefolgt und handschriftliche Änderungsanträge auf grünen Zetteln eingereicht. Die winzigen Tische stehen voll mit koffeinhaltigen Getränken, Snacks und Laptops, auf denen man entweder den gewissenhaft geöffneten ILIAS-Ordner oder auch mal die Übertragung eines Fußballspiels beobachten kann.

Dennoch wird in diesem charmanten Sandkasten echte Politik gemacht. Dort werden Interessen und Gelder der Studierendenschaft besprochen, berücksichtigt und verteilt. Darin spielen sehr engagierte Parlamentarier*innen, die monatlich oft sechsstündige StuPa-Sitzungen aushalten, die in ihrer Freizeit Anträge schreiben und Ausschüsse formen, die sich Gedanken um die Interessen der Studierenden machen, die versuchen, so viele Studierende wie möglich mit einem Beschluss zufrieden zu stellen. Und es ist ein undankbarer Job – das StuPa verschwindet fast in der Obskurität, so wenig wird seine Arbeit an der Uni besprochen oder auch nur anerkannt. Dafür spricht auch die astronomisch niedrige Wahlbeteiligung.

Vom Sandkasten in den Boxring

In der letzten Sitzung allerdings gab, wie es manchmal der Fall ist, der Sand einem Schwingboden nach. Die niedrigen Holzwände erhoben sich zu elastischen Ringseilen. Es ertönte die Glocke zum Beginn des Box-Kampfes. In der roten Ecke: die „links-grün-Versifften“, die Antifa-Sticker-auf-den-Laptop-Kleber, die, liberal formuliert, Liberalen: der SDS, die Rosa Liste, die Sozialistisch-Ökologische Liste. In der blauen Ecke: die Medizin- und Jurastudis, die meine-Großeltern-würden-mich-enterben-wenn-ich-nicht-CDU-oder-FDP-wähle, die, konservativ formuliert, Konservativen: die LHG, der RCDS und die Unabhängigen (letztere vielleicht nicht so konservativ wie ihre Sitznachbarn). Bewaffnet waren sie nicht mit Boxhandschuhen, sondern mit Argumenten und Gegenargumenten, wie es sich in einer guten Demokratie gehört.

Die Thematik: ein Antrag der FDP, der im hessischen Landtag vorgelegt wurde. Darin wird verlangt, dass die Zivilklausel abgeschafft wird, die es verhindert, dass an hessischen Hochschulen militärische Forschung betrieben werden kann. Die Abschaffung solle die Bundeswehr stärken. Die Landes-ASten-Konferenz (LAK) forderte die ASten der hessischen Hochschulen dazu auf, Stellung zu beziehen – gemeinsam solle in einem Schreiben an den Landtag Einspruch gegen diesen Antrag eingereicht werden.

Nationale Sicherheit, aber zu welchem Preis?

Schnell wurde klar: die Debatte spaltete das StuPa perfekt in der Mitte. Dabei waren die zwei Lager vor allem durch zwei Argumente voneinander zu unterscheiden: Wissenschaftsfreiheit versus nationale Sicherheit. Die im Parlament links-sitzenden (Rosa Liste, Sozialistisch-Ökologische Liste, SDS) beharrten darauf, dass Universitäten autonom bleiben müssen. Es könne nicht sein, dass Wissenschaftler*innen auf einmal damit konfrontiert werden, sich entweder an der Militärforschung zu beteiligen, oder wohlmöglich keine Finanzierung mehr zu erlangen. Die andere Hälfte des Parlaments, auf der rechten Seite sitzend, hielt das für eine Überdramatisierung. Sie richteten vor allem ein Augenmerk darauf, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse für die Verteidigung gedacht seien, nicht etwa für einen Angriff.

Ebenfalls debattiert wurde die Frage, ob die Zivilklausel eine Daseinsberechtigung habe. Sie besagt, dass Universitäten nur an zivilen Themen forschen dürfen, die zum Frieden beitragen. Die FDP fordert allerdings nicht nur die Abschaffung dessen, sondern auch, dass Hochschulen dazu verpflichtet werden, sich an militärischer Forschung zu beteiligen. Das sei, laut Eilantragsteller Yusuf (SDS), eine beinahe autokratische Forderung. Das wiesen die Diskutant*innen der rechten Seite des Parlaments vehement zurück: es ginge um die Interessen der nationalen Sicherheit. Die wissenschaftlichen Ressourcen, die es bereits gibt, sollen auch genutzt werden. Die Zivilklausel verhindere das.

Die Diskussion füllte fast die Hälfte der Sitzungszeit. Einig wurden sich die Parlamentarier*innen nicht. In einem Umlaufverfahren soll nachträglich über die finale Fassung der Stellungnahme abgestimmt werden. Zunächst wurden allerdings politisch aufgeladene und, laut den Unabhängigen, „ideologische“ Passagen aus dem Schreiben gestrichen. Die Stimmung war aufgeheizt, die Spaltung des Parlaments versinnbildlicht durch die blau laminierte Treppe in der Mitte. Und, um nochmal auf „ideologisch“ zurückzukommen: obwohl die Diskussion meistens zumindest in der Nähe des Themas haften blieb, schwangen in vielen Aussagen bestimmte politische Inklinationen mit, die man sich eher weniger von den Repräsentant*innen der Studierendenschaft erhofft.

Findet das sonst niemand besorgniserregend?

Denn seien wir ehrlich: die Aussage „f*ck AfD“ sollte in einem StuPa, das die überwiegend linke Studierendenschaft Marburgs repräsentiert, vielleicht nicht ganz so kontrovers aufgenommen werden, wie das am Mittwoch der Fall war. Doch der RCDS forderte, dass diese Äußerung eines Mitglieds der Rosa Liste unbedingt in das Protokoll mit aufgenommen werden würde. Woraufhin – fairerweise – von den Unabhängigen (wer seid ihr, wofür steht ihr, Unabhängige??) gefordert wurde, dass diese Forderung auch mit ins Protokoll käme.

Generell war der RCDS für einige Knaller verantwortlich: Dazu gehörte zum Beispiel die Aussage, dass Geisteswissenschaften sowieso nicht weiter finanziert werden würden, wenn „die Russen Gleitbomben über Berlin abwerfen“. Oder dass sich doch mal von den ganzen NS-Zeit und Afghanistan-Vergleichen, die in der Diskussion angebracht wurden, distanziert werden solle. Schließlich seien „wir hier nicht die Bösen“. (Sagte nie jemand, der wirklich gut war.)

Fast am erschreckendsten war jedoch fast der Mangel an Reflektiertheit der LHG, der FDP ewig treu ergeben. Empört über die Reaktionen wurde aus dem Antrag an den hessischen Landtag zitiert, dass diese Regelung nur der nationalen Sicherheit diene und doch nur im Notfall greifen solle, und nicht jetzt sofort. Wie man weiß, sind Gesetzesänderungen, die nur im Notfall greifen sollen, historisch definitiv nicht irgendwie negativ belastet. Es ist wie das Prinzip von Chekhov‘s gun, das man aus Filmen kennt. Eine Waffe, die man im Bild sieht, wird im Laufe des Filmes abgefeuert werden. Eine Gesetzesänderung, die erstmal Teil des Gesetzes ist, wird irgendwann greifen.  

Ich würde nun nicht so weit gehen, zu behaupten, dass sich im Marburger StuPa – das erst seit Kurzem keine linke Mehrheit mehr hat – die gleichen populistischen Tendenzen abzeichnen wie im Bundestag. Aber der Rechtsruck ist dennoch spürbar. Und vor allem die extreme Spaltung ist zu sehen: die Linken werden linker, die Rechten rechter, und die in der Mitte sind hin- und hergerissen, bis sie schlussendlich doch in eine Richtung abdriften. (Die SPD ist zwar nicht links, aber die ehemaligen Jusos – jetzt Sozialistisch-Ökologische Liste – sind es. Und die CDU hat nach vorletzter Woche bewiesen, dass sie durchaus das Zeug zur rechten Auslegung hat.)

Die Zeiten, in der man sich in seiner wohligen linken Marburg-Blase einkuscheln und den Rest Deutschlands für eine Weile vergessen konnte, scheinen also vorbei zu sein. Es ist nicht nachzuvollziehen, mit welcher Selbstverständlichkeit diese von der LAK angeforderte Stellungnahme überhaupt hinterfragt wird. War nicht erst letztes Jahr das Wissenschaftsjahr der Freiheit? Von Vertreter*innen der Regierung ist man eine gewisse Geschichts-Vergessenheit ja gewohnt. Aber ist es nicht für uns Studierende gar nicht mal so lange her, dass wir in der Oberstufe die Folgen von demokratischen Einschränkungen, von der Einmischung der Politik in Teile des gesellschaftlichen Lebens, und von militärischen Dekreten im Namen „nationaler Sicherheit“ auf Karteikarten geschrieben haben, um sie in der Geschichtsklausur herunterbeten zu können? Und bevor der RCDS sich wieder über übertriebene NS-Vergleiche beschwert: ich meine nicht nur Hitler. Ich meine die DDR, in der Professuren mit Marxist*innen besetzt wurden, um Parteinähe zu gewährleisten. Ich meine den Kalten Krieg, in dem Altnazis weiterhin an Universitäten eingestellt wurden, damit ihre Forschung nicht verloren geht. Ich meine die Entwicklung von Giftgas an Universitäten während dem Ersten Weltkrieg. Die Erfindung der Atombombe während des Zweiten.

Die Wissenschaft dazu zu verpflichten, militärische Forschung zu betreiben, hat einen ganz seltsamen Beigeschmack. Selbst wenn es nicht darum ginge, Giftgas herzustellen, sondern dessen Effekte zu neutralisieren, wie der RCDS bemerkte. Die Wissenschaft muss frei sein. Und wir als Universität, an der Wissenschaft in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen und Facetten betrieben und gefördert wird, sollten nicht zweimal darüber nachdenken müssen, ob wir das auch in Zukunft so beibehalten wollen.

Listen des StuPas:
LHG = Liberale Hochschulgruppe (der FDP nahestehend)
RCDS = Ring Christlich-Demokratischer Studenten (der CDU nahestehend)
Rosa Liste: queer-feministisch ausgeprägt
SDS = Sozialistisch-Demokratischer Studierendenverband (der Linken nahestehend)
Sozialistisch-Ökologische Liste = ehem. Jusos (der SPD nahestehend)
Unabhängige (keine Parteinähe)

(Lektoriert von jub und hab.)

schiller

ist 24 Jahre alt und studiert Literaturvermittlung in den Medien, sieht sich selbst aber immernoch als Anglistin. Sie weiß nichts über vieles, aber alles über Jane Austen. Seit November 2024 in der Chefredaktion tätig.

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