Luther ist doch nur ein protestantischer Posterboy

Luther ist doch nur ein protestantischer Posterboy


2017 wird mit dem Lutherjahr ein 365 Tage langes Reformationsfest gefeiert. Unsere Autorin fragt sich: Wozu?

Wenn meine Oma ihr schnurloses Festnetztelefon verlegt, wackelt sie zuerst mit zusammengekniffenen Augen eine halbe Minute lang suchend in der Wohnung umher. Dann steigt sie um auf den ultimativen Notfallplan: Sie betet mit voller Überzeugung zum heiligen Antonius, dem Schutzpatron verlorener Gegenstände, und geht anschließend in die Kirche. Viele ihrer strenggläubigen Katholikenfreundinnen machen das genauso. Sie suchen nicht, sie beten.

Ich komme aus Trier, dem ältesten katholischen Bistum Deutschlands und bin nach Marburg gezogen, die Stadt mit der ältesten protestantischen Uni der Welt. Während das Lutherjahr 2017 in Trier konsequent ignoriert wird, trägt Marburg es umso obsessiver nach außen. Solarbetriebene Mini-Luthers winken den Passanten mechanisch aus den Schaufenstern zu, seine Bibelübersetzungen liegen in jeder Buchauslage. Das bekannte Porträt mit dem Barett auf dem Kopf und dem starrsinnig-überlegenen Ausdruck in den Augen schmückt Tassen, Frühstücksbrettchen, Poster und Jubiläumsmünzen. Luther wohin man schaut.

Das 500. Jubiläum der Reformation so ausufernd und allgegenwertig zu inszenieren ist doch aber weder sinnvoll noch zeitgemäß. Keine Frage, Luther war ein bedeutender Mann, der die Welt für sich und die Menschen seiner Zeit nachhaltig verbessert und bis heute beeinflusst hat. Doch was ist heute los? Ein halbes Jahrtausend nach Luther ist die Gesellschaft geprägt von Politikverdrossenheit, Altersarmut und Angst um Sicherheit und Frieden. In diesem gesellschaftlichen Kosmos hat die Kirche ihren Platz verloren und damit auch ihren Anspruch auf die Akzeptanz solcher religiös motivierter Aktionen. Sie ist längst nicht mehr Teil der Lebenswirklichkeit vieler und vor allem junger, Menschen.

Prunksucht und Kindesmissbrauch

Wegen zahlreicher Skandale, von Vorwürfen des Kindesmissbrauchs bis hin zum prunksüchtigen Limburger Ex-Bischof, traten 2016 insgesamt knapp 160.000 Menschen aus der katholischen Kirche aus. Bei den Protestanten sieht es aber nicht besser aus. Ganz im Gegenteil. Luthers Konfession hat im selben Jahr mit 190.000 Austritten sogar noch mehr Verluste zu beklagen.

Genau deshalb erscheint die Werbung für das Event Lutherjahr zunehmend wie eine Farce. Wer den Namen des großen Mannes zuletzt im Religionsunterricht vor 15 Jahren gehört hat, wird sich wohl kaum mit dem Thema Reformation befassen, nur weil Luther plötzlich zur hippen Marke und damit zum 0815-Konsumgut mutiert ist.

Sinnlose Pseudofanartikel

Würde man den Reformator fragen, wäre er vermutlich selbst wenig begeistert davon, dass in einem Rausch künstlich provozierter Heldenverehrung mit seinem Namen das große Geld gemacht wird. Verrückterweise hauptsächlich durch sinnlose Pseudofanartikel wie Lutherwackelköpfe, Lutherkekse, Lutherwein und Luthertomaten, die nach dem 31. Oktober rasend schnell wieder aus den Regalen verschwinden werden. Das Image des ultimativen Posterboys 2017 drängt die eigentlichen Leistungen Luthers in den Hintergrund. Als Begründer vieler noch heute verwendeter Ausdrücke und Metaphern steht er für Einheit und Verständigung durch die Sprache und damit für Werte, die gerade in der aktuellen Zeit wichtiger sind denn je.

Meine Oma mag auch als Katholikin Luther, aber Antonius mag sie lieber. Auf die Idee, ihr schnurloses Festnetztelefon einfach anzurufen und akustisch zu orten, käme sie selbst nie. Antonius ist zuverlässiger als zwei alternde Trommelfelle. Ich und meine Altersgenossen würden unser I-Phone wohl einfach per GPS tracken. Bei uns wird geortet, nicht gebetet. Lutherjahr hin oder her.

Bild: Ausschnitt aus August Noacks „Das Religionsgespräch in Marburg 1529“. CC HEN-Magonza, unverändert

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