Mr. Nice Guy und seine ravenden Blutsauger

Aufregung seitens der Journalistin. Wie sieht jemand aus, der ein Buch über Vampire schreibt, fragt sie sich. Es ertönt das bekannte Skypegeräusch. DrrDrr. DrrDrr. Erleichterung. Die Vorurteile bestätigen sich nicht. Auf dem Bildschirm erscheint kein bärtiger Typ im World-of-Warcraft-T-Shirt und weißer Schminke im Gesicht. G.F. Bileck ist ein ganz normaler Typ, der das Gespräch mit dem klassischsten aller Small-Talk-Themen beginnt: dem Wetter. Und kurz bevor es los geht, zeigt die Journalistin dem Vampirautor noch das Schloss, das man von ihrem Schreibtisch aus sehen kann.

PHILIPP: Jetzt mal ehrlich. Wie kommt man darauf einen Vampirroman zu schreiben? Hast du zu viel Twilight geguckt?

G.F. Bileck: Twilight? Um Gottes Willen! Ich würde eher sagen, dass mich Bücher wie Twilight dazu angespornt haben, mein eigenes Buch zu schreiben. Twilight ist, mir fallen so viele Kraftausdrücke ein, … grottenschlecht. Und gerade um sowas wie Twilight und diesem fürchterlichen Mainstreamvampirismus etwas entgegenzusetzen, habe ich mein Buch geschrieben. Um mal etwas Vernünftiges zu präsentieren, womit auch Leute, die Gehirn haben, etwas anfangen können. Oh, hab ich jetzt jemanden beleidigt? Liest du Twilight?

Nja, ich hab’ das mal angelesen, aber mögen tu ich’s auch nicht.

Tu’s bloß nicht! Ich hab’s auch angelesen, sogar in der Zeit als ich Marburg bei Nacht geschrieben habe und na ja, über die dritte Seite bin ich nicht hinweggekommen. Das war für mich eine Aneinanderreihung von Gedankenfetzen und hatte keinen Stil. Selbst Stephen King hat gesagt, dass die Autorin von Twilight beim besten Willen nicht schreiben könne und das alles im besten Falle Mainstreamliteratur sei, die die Verlage aus irgendwelchen Gründen toll fanden. Und ja, dieser Mainstream hat mich so angekotzt, dass er mich dazu inspiriert hat, selber zu schreiben und hart an meinem eigenen Buch zu arbeiten.

Okay, warum du einen Vampirroman geschrieben hast, versteh’ ich jetzt. Aber warum zum Teufel spielt der in Marburg?

Marburg ist eine Stadt, an die ich mich immer wieder gerne erinnere. Ich habe ja schließlich sechs Jahre meiner Studienzeit dort verbracht, zwischen 1993 und 1998. Außerdem wollte ich mit diesem Buch der Stadt und meiner Studienzeit ein Denkmal setzen. Das war zumindest unterbewusst immer ein Gedanke. Ich habe in Marburg so viele denkwürdige Ereignisse erlebt, sodass es einfach zu einem großen Bestandteil meines Lebens geworden ist. Fast jeder schaut ja irgendwie auf seine frühen 20er zurück, weil es doch für die meisten Leute die beste Zeit ihres Lebens ist. Und so war es auch bei mir. Und dann noch dazu in der Zeit der Wende! Wir feierten die Loveparade in Berlin und Deutschland war wieder vereint. Das erste Mal gemeinsam mit den Menschen aus den neuen Bundesländern diese Freiheit zu genießen, und mittels Loveparade und Technomusik auch zu zelebrieren, war einfach unbeschreiblich. Naja und aus diesem Hochgefühl heraus bin ich dann direkt nach Marburg, hab’ mein Studium angefangen und hatte dort eine ganz großartige Zeit. Und klar, man hatte auch mit Examensarbeiten und so weiter zu tun, aber man konnte eben auch gut feiern ohne gleich den Anschluss zu verpassen.

Das klingt schön. Aber mal zurück zu diesem Vampirding. Was bitte hat dich dazu inspiriert?

Ich bin natürlich schon immer ein Fan von solch mystischen Kreaturen wie Vampiren gewesen, beziehungsweise allgemein der dunklen Seite der Fantasy. Stephen King und Lovecraft hab‘ ich gern gelesen. King, weil er so weltoffen schreibt und Lovecraft, weil da auch die Gruselseite des Horrors dargestellt wird. Und nicht irgendwelche blutrünstigen Metzelorgien. Aber das merkt man sicher auch in meinem Buch, dass ich da eher der Verfechter von Letzterem bin. Mir geht es mehr um die menschliche Seite des Vampirismus. Wie man überhaupt damit zu recht kommt, ein Vampir zu sein, finde ich wesentlich interessanter, als wie im Detail nun getötet wird.

Kurzes Verbindungsproblem. Ein „Ohh, goooood“ wird von Portland nach Marburg geschickt. Der Autor entschuldigt sich für sein Deutsch, weil er seit 2001 in den U.S.A lebe und seine Muttersprache deshalb wohl nicht so oft gebrauchen würde. Die Journalistin besänftigt ihn und schmunzelt trotzdem ein wenig.

Aber dein Buch hat ja nun auch schon derben Slapstick-Charakter.

Ohja! Das stimmt. Aber da ich nun mal ein humorvoller Mensch bin, durfte das auch im Buch nicht fehlen. Ich wollte es nicht so bierernst schreiben, sondern es sollte schon eine gute Dosis Humor drin sein. Was aber auch daran liegt, dass als man in Marburg studiert hat, man eben selbst so drauf war und diese Lebensfreude empfunden hat.

Was für Einfluss hat Marburg denn noch so genommen?

Erst mal war Marburg für mich wie eine kleine Hobbithöhle, in der man sich ausprobieren konnte, geschützt vor der großen weiten Welt. Ich konnte meinen Interessen nachgehen und irgendwie so mein Ding machen. Zum Beispiel hab’ ich in Marburg auch unheimlich gerne Rollenspiele gespielt. Sowas wie Das schwarze Auge, Dungeons & Dragons und am wichtigsten: Vampire The Masquerade.

Erzähl uns mehr!

Bei Vampire The Masquerade wird eine wunderschöne Welt entfaltet, in der unterschiedliche Clans existieren und nach ganz bestimmten Regeln agieren, beispielsweise wo man sich aufhalten darf und wo nicht. Ist also ein richtig gut ausgearbeitetes Rollenspiel, in dem man sich gut mit den Rollen identifizieren kann. Und das haben wir damals echt so extrem gespielt, dass man teilweise selbst im Alltag dachte: Wie wär’ das jetzt, wenn ich jetzt selbst ein Vampir wäre? Und dann betrachtet man natürlich alles was in Marburg passiert mit ganz anderen Augen. Nicht, dass ich jetzt unbedingt ein Grufti gewesen bin, aber man sah die Welt so echt mit anderen Augen und bekam Ideen, die den Wunsch reifen lassen, selbst zu schreiben und eine eigene Welt wie diese auszuformulieren.

Marburg bei Nacht beruht also eigentlich auf Vampire the Masquerade?

Nein, das würde ich nicht sagen, mal davon abgesehen, dass es dann ein Plagiat wäre. Aber ich habe schon einige Elemente, die ich in diesem Rollenspiel kennen gelernt habe, weiterverarbeitet und im Hinterkopf als Inspiration gehabt um mein eigenes Universum zu gestalten. Und Marburg mit seinen alten Häusern hat natürlich mit seiner Kulisse dann das übrige getan, diese Ideen plastisch werden zu lassen. Vor allem wenn man wie ich in den USA lebt, wo es solche alten Gebäude wie in Marburg gar nicht gibt. Oder so ein Schloss! Speziell die alte Universität liebe ich sehr. Deshalb spielt auch die sehr prominente Szene, in der Marco zum Vampir wird, an diesem Ort.

Nun spielt ja aber nicht das ganze Buch in der Altstadt…

Nee, parallel spielt die Geschichte natürlich auch im „modernen“ Marburg der 90er-Jahre, insbesondere im Studentendorf, das sehr von der lauten Technokultur geprägt war. Das ganze Gebäude sieht ja auch so aus wie riesige Lautsprecherboxen. Passte auch super, wenn wir da – damals habe ich da ja auch gewohnt – Musik aufgedreht haben, haben wir mit dem Bass bestimmt das ganze Waldtal beschallt. Aber ich glaube die mochten das auch. War ja n’ geiler Beat.

Wenden wir uns doch weiter der nicht-vampirischen Seite von Marburg bei Nacht zu. Deine Figuren raven. In Marburg. Wie darf man sich das denn bitte vorstellen? Diesen 90er-Jahre-Technorave an der Lahn?

Vergleichbar mit der Future-Parade in Dortmund oder Bochum war es in Marburg natürlich nicht. Dafür ist es viel zu klein. Und natürlich ging’s auch nicht so ab wie in Berlin, mit gesperrten Straßen und riesigen Zügen von Wagen und tanzenden Leuten mitten auf der Straße. Aber die Popularität von Techno, Rave, House, Undground, Trance und diesen ganzen anderen Spielarten der elektronischen Musik war extrem. Du hast das Zeug überall gehört, egal wo du hingegangen bist. Es war einfach der Beat für alles.

Und wie sah’s so mit Drogen aus? Wurde viel geschmissen?

Ja, sicher. Vor allem mit Designerdrogen wurde viel experimentiert. LSD zum Beispiel und natürlich war Ecstasy enorm in, war ja die große Modedroge der Technoszene. Hat einige ganz schön fertig gemacht hat, weil sie zu wenig getrunken haben und dann dehydriert sind.

Wie sah’s so mit illegalen Partys aus?

Also soweit ich mich erinnere haben wir unsere Partys immer in öffentlichen Gebäuden durchgezogen. Im Hörsaalgebäude haben wir zum Beispiel jedes Sommersemester das Unisommerfest gemacht. Und das war wirklich die geilste Fete des Jahres. Die Uni hatte kein Problem, dass wir in die Vollen gehauen haben. Aus den Hörsälen drinnen wurden mehrere Mini-Discos, in denen Musikvideos gezeigt wurden, vorne auf dem Gebäude lief Techno, der alle ausrasten ließ und die Polizei hat die Straßen drum herum abgesperrt, damit keine Schnapsleichen überfahren wurden. War echt geil. Nur das Bier war scheiße. Licher oder so hieß das. Ich mag lieber Warsteiner.

Dem wissenden Leser deines Buches wird dieses Szenario sehr bekannt vorkommen. Doch mal abgesehen von dieser Party, wie sieht’s mit anderen Thematiken aus, die in deinem Buch angesprochen werden? Hast du auch Konflikte mit Burschenschaftlern ausgetragen und dich in soziologischen Seminaren mit dem Bösen im Menschen auseinandergesetzt?

Überraschenderweise sind eine Menge Ereignisse, die in meinem Buch passieren, tatsächlich passiert. Wie die angesprochene Hörsaalgebäudeparty zum Beispiel. Aber auch viele Charaktere aus dem Buch sind aus meinem (Marburger) Leben gegriffen. Der Protagonist, Marco Baumann, das ist vielleicht keine Überraschung, ähnelt mir zum Beispiel sehr. Bis auf, dass ich in diesem Alter nie so einen schwarzen Humor besaß. Ich selber war eher so der Nice Guy. Und ja, auch Axel ist dem echten Leben entnommen. Der Charakter beruht auch auf jemandem, der wirklich in einer Burschenschaft war und dann ausgestiegen ist und zu uns ins Studentenwohnheim zog. Der war da einfach zu nett für. Oder die Putzfrau, die existierte auch tatsächlich und hatte wie im Buch diese Aura des unerklärlichen Respekts. Ohne jetzt viel vorweg zu nehmen … Und auch die Medizinerin Katrin und das nächtliche Gespräch zwischen ihr und Marco, in dem es um die Frage geht, was Menschen zu Monstern macht und was passiert, wenn ein Mensch seine Menschlichkeit und auf die falschen Werte im Leben setzt, fand so statt.

Marburg scheint tatsächlich ein literarisch interessanter Ort zu sein. Meinste, das sollten mehr Autor*innen so sehen?

Lacht. Ich hoffe nicht. Dann geht mein Buch ja unter, denn ich habe doch Marburg erkannt!

Wie hoch ist überhaupt die Auflage?

Oh mein Gott, das ist ein Betriebsgeheimnis! Ne, also die Sache ist die, AmazonCreateSpace, der Dienst, durch den ich mein Buch selbst verlegen konnte, produziert keine richtige Auflage, sondern die Bücher werden gedruckt, wenn sie benötigt werden. Aber ein paar Hundert hab ich schon verkauft. Das ist toll! Wenn man independent published, ist man ja auf Eigenwerbung angewiesen, und das ist gar nicht so einfach die Leute nur übers Internet zu erreichen.

Mister Bileck, wir danken dir für dieses Gespräch und wünschen dir noch viel Erfolg!

Auch der Autor bedankt sich für das Gespräch. Mittlerweile ist es in Portland 7 Uhr. Zeit für den Autor, sich auf den Weg zu machen zu seinem Job in der Rechnungsabteilung einer Sozialagentur, die sich um körperlich und geistig Behinderte Menschen kümmert.

artikel_marburgbeinacht_04Das ist der Autor, der 1972 im westfälischen Herford geboren wurde und dessen Initialien für Gregor „Freylis“ stehen. Selbst von sich sagt er: „wo andere die Skyline einer Stadt sehen, sehe ich Keller, Kanäle, U-Bahnstationen und Krypten.“ Marburg bei Nacht: Anekdoten eines studentischen Vampirs ist sein Debutroman. Und hier geht’s zur exklusiven Leseprobe des im Interview erwähnten Gesprächs zwischen Marco und Kathrin.

ILLUSTRATIONEN: Alvaro Tapia auf flickr.com, CC-Lizenz.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wordpress Social Share Plugin powered by Ultimatelysocial
Instagram
Twitter