Von Jägern und Sammlern
Für die einen ist es eine Alltagslast, für die anderen eine finanzielle Notwendigkeit: Pfand sammeln. Eigentlich eine perfekte Symbiose. In der Theorie. Praktisch umsetzen könnte sie nun auch das studentische Marburger Projekt „pfandsache“.
Es gibt dieses metaphorische Bild der Schere, das oft dafür verwendet wird um in Worte zu fassen wie sich unsere Gesellschaft mit jedem Tag mehr in zwei extreme Gruppierungen aufteilt: Die der Armen und die der Reichen. Denn Gesichter hat die abstrakte Schere im alltäglichen Leben leider sichtbar viele. Wie zum Beispiel jenes, dass acht, 15 oder 25 Cent für manche so wenig sind, dass sie es sich leisten können, sie mittels Dosen und Pfandflaschen in den Müll zu werfen und die anderen es für diese auf sich nehmen, im Müll zu wühlen oder stundenlang an frequentierten Plätzen hin- und herzulaufen.
Ein Geben und Nehmen
Auch Sascha Hörmann, Sebastian Petzer und Bijan Aleahmad, alle Endzwanziger und Studierende der Jura, Sozialwissenschaften und Künstlerischen Gestaltung, kennen dieses Gesicht. Es ist schließlich nicht weniger als die Grundlage für ihr Projekt „pfandsache“. Pfandsammeln sei nämlich keine gesellschaftliche Randerscheinung mehr, sondern ein soziales Phänomen. Warum also keinen organisatorischen Rahmen schaffen?, dachten sich die drei und erfanden ihr Projekt „pfandsache“, durch das Pfandgeber*innen und Pfandsammler*innen in Marburg nun zusammengeführt werden sollen, damit letzteren die Möglichkeit gegeben werden kann ihrer Tätigkeit wirtschaftlicher nachzugehen. „Die Pfandsammler*innen machen, was sie sowieso tun. Durch „pfandsache“ kann es aber rentabler für sie werden. Und der Gegenpart des Projektes wird dabei, sofern er denn will, sein Pfand los“, fasst Sebastian Petzer das Konzept kurz zusammen. Im Konkreten ablaufen soll das Projekt, das die Uni Kiel sogar schon mit dem Yooweedoo-Ideenpreis ausgezeichnet hat, dabei so: Jene, in dessen Heimen sich die Dosen und Flaschen stapeln, können ihr Pfand über die (gerade sich noch im Aufbau befindende) Webseite, Facebook oder auch telefonisch zur Abholung anmelden. Danach agiert „pfandsache“ als Vermittler, nimmt die Anmeldungen entgegen und stellt Abhollisten für die teilnehmenden Pfandsammler*innen zusammen. Bis jetzt haben sie vier bis fünf auf ihrer Liste. Diese holen dann das Pfand ab und behalten die gesamte Gutschrift. Denn kein Geld der Pfandgeber*innen soll in die Verwaltung von “pfandsache“ fließen. Auch damit hebt es sich von in anderen Städten schon ähnlich angelaufenen Projekten ab.
Eine informelle Ökonomie
Eröffnet hat sich der informelle-ökonomische Pfandmarkt übrigens erst seit 2003. In diesem Jahr führte der Gesetzgeber das Pflichtpfand auf Einweggetränkeverpackungen ein und 2006 sorgte die EU zudem dafür, dass Supermärkte nicht nur die bei ihnen gekauften, sondern auch alle anderen leeren Einwegflaschen zurücknehmen müssen. Von da an hatten die Sammler*innen freie Bahn. Zumal auch die geringen Pfandbeträge für immer weniger Käufer Anreiz waren, ihr Pfand selbst einzutauschen. Dass sich aufgrund dieser zweigeteilten Wahrnehmungen der*die Pfandsammler*in als ein Ausdruck einer urbanen Sozialfigur entwickelt hat, hat auch der Soziologe Sebastian Jan Moser entdeckt. Aus vielen Jahren Feldforschung hat er in seinem Buch „Pfandsammler – Erkundungen einer urbanen Sozialfigur“ seine Erfahrungen, die er auf den Straßen von Freiburg machte, festgehalten. „Also wenn ich manchma auf drei, vier Euro komme am Tag. Dann is das schon groß,“ zitiert Moser darin einen Sammler. Andere verdienten zwar durchschnittlich 100 bis 200 Euro pro Monat, mehr sei aber kaum möglich. Das Pfand pro Flasche sei schlichtweg zu niedrig und die Flasche entweder zu sperrig oder zu schwer. „Wenn Thomas zum Beispiel sagt, dass er am Wochenende auf 20 Euro pro Nacht kommt, dann entspricht dies, nur in Bierflaschen, einer Anzahl von 250 à acht Cent und damit einem Gewicht von 62,5 Kilogramm, die er in einer Nacht aus den Abfalleimern der Stadt zusammensucht“, so Moser in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.
Keine Almosen
Den drei Studierenden von „pfandsache“, die das Buch von Moser auch kennen, machen auch deswegen ganz klar, dass es in ihrem Projekt vor allem um die Schaffung einer lokalen Struktur und auf gar keinen Fall „um Almosen geht“. Sicherlich seien sie auch das Forum des Pfandangebots und -nachfrage und organisierten den Ablauf, im Wesentlichen stehe jedoch das Marketing und die Vernetzung zu lokalen Akteure wie den Pfandsammler*innen selbst, aber auch Unternehmen und Bürger*innen im Mittelpunkt. „Marburg ist ja wie ein kleiner Durchlauferhitzer, die Studierenden kommen hier nach dem Abi hin und verschwinden entweder schon nach dem Bachelor, spätestens aber nach dem Examen oder Master. Deswegen müssen wir viel tun, damit wir ins Bewusstsein der Stadt rücken“, erklärt Sebastian Petzer. Denn funktionieren könne „pfandsache“ nur, „wenn alle mitmachen.“
Auf der Zielgeraden der Programmierung der Webseite befinden sich die Drei schon mal. Schon bald soll es losgehen. Denn so schön es auch gerade für uns Studierenden ist, der Sommer der Lahnwiesengelage geht auch wieder vorbei – und damit auch die für Marburgs Pfandsammler*innen beste Saison des Jahres.
FOTO: Arnaud auf flickr.com, CC-Lizenz.
PHILIPP-Gründerin und Chefredakteurin von 2014 - 2017.