Theater Review #26: Macbeth

Theater Review #26: Macbeth

In Macbeth, William Shakespeares kürzestem Drama von 1606, spinnt sich seit mehr als 400 Jahren eine Geschichte des Scheiterns. Das Scheitern eines Planes, einer Rolle, die man glaubt, einnehmen zu müssen, das Scheitern an der ganz persönlichen Schlechtigkeit und den Wunden, die sie in der Psyche anderer und der eigenen hinterlässt und vor Allem: Das Scheitern an und durch Macht. Was bedeutet Macht eigentlich? Diese Frage Stellt das Stück zum Auftakt der neuen Spielzeit des HLTM mit dem Titel: REALITÄTEN.

Worum es geht

Hey Du, Leser:in! Morgen fällt erst Dein nervigstes Seminar aus und einen Tag später findest du einen Umschlag mit 10.000 Euro darin, die du behalten und zu noch viel mehr Geld machen wirst. Und wenn jetzt morgen wirklich das Seminar ausfällt, wäre man dann nicht offener für verrückte Wendungen der vermeintlichen Realität?

So etwa geht es Macbeth, als er mit seinem Freund, dem schönen Banquo, aus einer erfolgreichen Schlacht, die sie für den schottischen König Duncan geführt haben, zurückkommt. Die Beiden haben das Heer des Thans von Cawdor, der sich gegen den König aufgelehnt hat, vernichtend geschlagen. So dürfen die beiden Helden auf eine reiche Belohnung des Königs hoffen. Sie treffen auf dem Rückweg auf drei Hexen, die nicht nur die Namen der beiden Männer kennen, sondern auch ihre Zukunft. Diese Hexen eröffnen das Stück. Bildschön und zu skulpturalen Posen erstarrt, rotieren sie im Erwin Piscator-Haus permanent auf einer Drehscheibe. Alles ist düster, dunkel und gewaltig.
Sie prophezeien Macbeth, er werde der neue Than von Cawdor und später sogar König. Banquo, der selbst kein König sein solle, werde aber zumindest der Vater vieler Könige sein. Spätestens als Macbeth für seinen Verdienst in der Schlacht dann wirklich von König Duncan zum Than von Cawdor ernannt wird, pflanzt sich der Keim des Ehrgeizes in seinen Kopf. Ihm geht ein Licht auf. Dem Publikum auch, denn durch eine glitzernde Discokugel fliegen Lichtpunkte über die ganze Bühne und auch über die Gesichter des Publikums. Man fiebert mit ihm mit, möchte, dass er den unsympathischen König ersetzt.

Er schreibt innig an seine Lady Macbeth und sie ziehen es in Betracht, für das Wahrwerden dieses Orakelspruches alles zu tun, sogar den König zu töten. Oder mit Höhenangst auf einer 3m hoch hängenden Kalaschnikow reiten. Besonders eindrucksvoll erweisen sich die Szenen, in denen die Figuren ihre Hoffnungen für die Zukunft ausdrücken. Ob als mitreißende Rede, Traumsequenzen oder starke Vorfreude. Man ist auf einer Seite mit ihnen.

Als Duncan dann auf ihre Burg kommt, um dort zu nächtigen, werden die Mordpläne gemeinsam von Macbeth und seiner Lady durchgeführt. Sie betäubt die Wachen und er ersticht Duncan, seinen Cousin, im Schlaf. Am nächsten Morgen bewahren sie in der Aufruhr ihre Fassade, sodass sie keiner verdächtigt. Als Malcolm, Duncans Sohn und Thronfolger, flieht, wird das von allen als Schuldbekenntnis gewertet und Macbeth wird zum König von Schottland gekrönt. Doch die Schuld, die auf ihnen lastet, holt sie allmählich ein. Sie äußert sich in verschiedenen Symptomen des Wahnsinns, wie Schlaflosigkeit, Halluzinationen und Paranoiaanfällen im Hause Macbeth. Diese werden besonders eindrucksvoll in allen Rollen des Stückes widergespiegelt. Es steigert sich speziell bei Macbeth in eine irre Spirale aus Mord und Heimsuchung, nur um an der Macht zu bleiben. Und plötzlich ist er nicht mehr der sympathische Aufsteiger, dem man die Krone gewünscht hat. „Wie geht die Welt?“, fragt eine besondere Figur der Inszenierung: Das Kapital; die gelungene PR; die Bestätigung und alle Anderen an dieser Stelle da ganz richtig.

Wie und ob das endet, müsst ihr selbst sehen und erkennen.

Die Inszenierung

Bei einem klassischen Stoff, der über 400 Jahre alt ist, stellt sich die Frage des Zugangs deutlicher als bei allen anderen Stücken. Der Zugang, den die Regisseurin und Intendantin des HLTMs Carola Unser gewählt hat, ist speziell, unbequem und sowohl sinnlich als auch inhaltlich unfassbar bereichernd für die, die sich darauf einlassen.

Emotion und Assoziation.

Wer ein klassisches, mittelalterliches Bühnenbild erwartet, wird bald feststellen, wie viel mehr Raum für eigene Bildwelten geöffnet wird bei der von Nebel gefluteten Bühne und den vielen verschiedenen Lichtkulissen. Musikalisch wird eine obskure Stimmung vermittelt, die von assoziativen Klängen bis zum Ballertechno reicht und Euch in jedem Fall mitnimmt. Es gibt Momente, in denen man aufstehen und einfach mittanzen will und es gibt Szenen, in denen Euch, ohne dass es explizit gemacht werden muss, Gänsehaut des Ekels überkommt. Am stärksten sind diese Momente der Schauspieler-Zuschauer-Connection in Augenblicken der Stille, wenn sich eine Figur in den Zuschauerraum wendet und ihre/seine großen Fragen stellt. Von Ruhe über Hektik, Panik und Resignation ist alles an Stimmungen vertreten und genau darum ist es auch kein leichter Theaterabend mit etwas Sekt im Kopf.

Das Stück ist angefüllt mit zahlreichen Anspielungen auf die Reden und Auftritte führender Politiker:innen und überträgt deren Weltsicht auf Macbeth´s Wirklichkeit. Von Trump, Bolsonaro und Erdoğan bis hin zu unseren eigenen, deutschen Faschisten – unzählige politische Beispiele aus unserer Zeit fließen in diesen „Macbeth“ ein. Sie passen überraschen gut in das rohe Mittelalterszenario, in dem das Stück ursprünglich spielt. Dadurch holt man seine Geschichte ins Jetzt und verweist gleichermaßen darauf, dass es nicht gerade innovativ für Machtinhaber ist, sich für übermenschlich zu halten. Machtbesessenheit und Wahn hat keine feste Epoche.

Und ebenfalls entkoppelt von ihrer Zeit sind die laufstegverdächtigen Kostüme, die bewusst mit dem Schottenmuster und Mittelalter spielen, ohne das man das Klischee des dunklen, schmutzigen Ritterzeitalters bedient. Die Aktualität beweist sich auch dadurch, dass ihr mit den Figuren mitfiebern, leiden und scheitern werdet. Das ist der herausragenden Regie-, Dramaturgiearbeit und den Schauspieler:innen geschuldet. Diese zehn Menschen lösen die Realitäten des Stücks auf in unserer Zeit, in der wir umgeben sind von Machtbesessenen und dabei selbst so mächtig sind wie noch nie, wenn wir bereit sind, diese Macht zu nutzen. Und das geht, das beweist Macbeth im HLTM, sogar höchst ästhetisch und ohne groben moralischen Zeigefinger.

Nächsten Termine:

16. 10. 2019, 29.30 Uhr; 19.10.2019 20.00 Uhr; 08.01.2020 um 19.30 Uhr; 14.01. 2010, 19.30 Uhr

Regie: Carola Unser
Lichtdesign: Delia Naß

Bühne: Fred Bielefeldt
Kostüme: Jörn Fröhlich

Kostümassistenz: Filiz Özbengi
Musik: Erekle Getsadze
Dramaturgie: Christin Ihle

Theaterpädagogik: Michael Pietsch
Regieassistenz: Anne Decker
Besetzung: Saskia Boden-Dilling , Jorien Gradenwitz, Ben Knop, Sven Brormann, Zenzi Huber, Christian Simon, Jürgen Helmut Keuchel, Daniel Sempf, Metin Turan und Romy Lehmann

FOTO: Jan Bosch, Hessisches Landestheater Marburg

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