Theater Review #30: Biedermann und die Brandstifter

Theater Review #30: Biedermann und die Brandstifter

Jeder weiß: Am Ende brennt das Haus. Am 29.01. feierte Max Frischs berühmtes Werk „Biedermann und die Brandstifter“ in einer Neuadaption unter der Regie von Milena Mönch im Hessischen Landestheater Marburg (mit einem Jahr Verspätung) seine Premiere. Die Geschichte von Gottlieb Biedermanns aufhaltsamen Niedergang ist der Zuschauerschaft bekannt. Es sind die großen Fragen der Gesellschaft, die dieses Stück ihr stattdessen entgegen wirft: Heiligt der Zweck alle Mittel? Ist Tatenlosigkeit Mittäterschaft?

Ein Lehrstück ohne Lehre

Der junge, erfolgreiche Unternehmer Gottlieb Biedermann und seine Frau Babette, eine aufstrebende Chirurgin, haben ein Haus gekauft. Ihr Liebesglück scheint kaum Grenzen zu kennen, als sie mit Johann, ihrem Haushälter, einziehen. Die unliebsamen Umzugshelfer werden rasch durchgewunken und mit einem widerwilligen Trinkgeld abgehandelt. Gottliebs Schreck ist groß, als einer der Umzugshelfer bald darauf in seinem Wohnzimmer steht: Er heiße Sepp, er sei ein arbeitsloser Taxifahrer – und vor allem ist er ein Meister der Suggestion. In einer Mischung aus subtiler Gewaltandrohung und dem moralischen Appell an Gottlieb erschleicht er sich Obdach auf dessen Dachboden: Natürlich liest man Tag für Tag etwas in der Zeitung über die stetigen Brandstiftungen, natürlich gibt es genug Grund, Fremden zu misstrauen – aber Gottlieb sei doch kein schlechter Mensch, der einen Notdürftigen vor die Tür setzen würde. Gottlieb ist sich sicher: Natürlich ist er kein schlechter Mensch!

Weder Babette noch Gottlieb schaffen es, Sepp aus ihrem Haus zu vertreiben. Auch nicht, als Sepps Kompliz*innen – Amin, ein Polizist, und der Kopf der Gruppe, Elisabeth Eisenring – sich auf dem Dachboden einfinden. Nicht einmal, als sich Fässer voll Benzin auf dem Dachboden stapeln, will Gottlieb sich eingestehen, wen er da in sein Haus aufgenommen hat. Und die drei machen keinen Hehl aus ihren Absichten, denn die Wahrheit sei bekanntlich die beste Tarnung.
Mit jedem Tag schreiten ihre Vorbereitungen weiter voran und auch Gottliebs innerer Konflikt zerreißt ihn immer mehr: Kann er seine Augen noch vor der Wahrheit verschließen und in ohnmächtiger Untätigkeit verweilen? Wann ist der Moment verstrichen, an dem er die Truppe noch hätte aus seinem Haus vertreiben können, ohne sich und Babette in Lebensgefahr zu bringen?
Er sucht seinen letzten Ausweg darin, eine Party für die Fremden zu geben. Denn so lange sie trinken und feiern, könnten sie ja nichts anderes tun. In einer letzten verzweifelten Geste der Freundschaft steckt er Elli sogar die Streichhölzer zu. Und schließlich kommt es zu dem, wozu es kommen musste.

Ein Blick hinter das Feuer

Eine Frage, die Max Frisch selbst sein ganzes Leben lang erreichte und die Leser des Stückes seit seiner Veröffentlichung beschäftigt, ist: Wer sind die Brandstifter? Was bringt sie zu ihren Taten? Theorien gab es viele: Wahnsinnige Pyromanen, die nur die Welt brennen sehen wollen, Proteste von Links, Terrorgruppen aus dem rechten Lager; nie fand sich eine endgültige Antwort.

Die Marburger Aufführung legt großen Wert darauf, die Perspektive der Brandstifter hervorzuheben. Während Gottlieb und seine Frau von Beginn an hinsichtlich der Fremdkörper in ihrem sicheren Heim den Kopf verlieren, hektisch wie aufgescheuchte Ameisen auf der Bühne umher rennen, dominieren die drei Brandstifter von ihrem ersten Auftreten an das Feld. Jeder der drei Charaktere ist detailliert ausgearbeitet und hat seine eigenen Gründe für die Straftat. Sepp kommt aus schlechten Verhältnissen, der Chancenlosigkeit, mit seiner Vergangenheit in der Gesellschaft aufzusteigen, entgegnet er mit Gewaltbereitschaft. Elli schlug sich als Kellnerin und weiteren Nebenjobs durch, um sich über Wasser zu halten, und plant nun die Brandstiftungen. Und Amin? Amin hat sich als Polizist der Rechtsstaatlichkeit verschrieben. Das wiederholte Begegnen mit den Grenzen der Ordnung öffnete ihm allerdings nur die Augen für eines: Wenn arm und reich sich immer weiter spalten, und Armut einem von Kindheit an zum Hindernis wird, zu Erfolg und Glück zu kommen, dann läuft etwas im System schief. Das ist es, was die drei verbindet, und die bourgeoisen Biedermanns zu ihren natürlichen Feinden macht.

Inszenierung

Die Handlung des Stückes hält sich auf dieser Ebene, ein Drama, das sich tief im Herzen der Gesellschaft abspielt. Das Visuelle tritt dagegen zurück. Das Bühnenbild beschränkt sich auf Türen auf Rollen, die die verschiedenen Szenen markieren und mit Fluchtweg-Schildern versehen sind. Subtil leuchtet auf ihnen „EXIT“ auf, jedes mal, wenn Gottlieb und Babette die Chance gegeben wäre, ihrem Schicksal zu entkommen.
Da selbstverständlich nicht das Theater in Brand gesetzt wird, wird das Feuer durch Musik repräsentiert. Aus den „Benzinfässern“, zu denen Lautsprecherboxen als Requisiten wurden, erschallen nicht nur am großen Ende Geräusche und Musik. Auch als wiederholt an Gottliebs innerer Ordnung gerüttelt wird, wird das durch ein von den Brandstiftern bedientes Soundboard untermalt. In dem Konflikt aber eben liegt das eigentliche Augenmerk.

Die Regisseurin hat die Zeitlosigkeit des Stückes genutzt und es in eine vage Gegenwart versetzt. Gottlieb wird vom fest im Leben stehenden mittständlerischen Unternehmer zum hektischen Millennial mit fast schon krampfhaft „hipper“ Sprache. Die bürgerlich verklemmte Standfestigkeit und Ordnungsverliebtheit, die ihm so von Anfang an fehlen, lenken die Aufmerksamkeit zwar mehr auf die Brandstifter, doch ist es mitunter allzu anstrengend, ihm in seiner kopflosen Panik immer zu folgen. Sepp und Elli geben die Dynamik der zwei Hauptbrandstifter in Frischs Werk wiederum sehr gelungen wieder. Der Wandel ihrer Rollen ins Zeitgenössische, (vom Ringer zum Taxifahrer und vom Kellner zur Kellnerin) schadet hier keineswegs. So fügen sich die Neuinterpretationen der bekannten Figuren mal mehr, mal weniger in den Fluss des Stückes ein.

Am meisten jedoch brillieren in ihrer schauspielerischen Präsenz diese beiden Neukonzeptionen: Johann, die gute Seele des Hauses, und Amin, ein Polizist. Ersterer basiert zwar auf dem Hausmädchen Anna, doch er strahlt nonverbal eine immer stärker werdende Gleichgültigkeit, wenn nicht sogar Genugtuung, angesichts der Probleme seiner Hausherren aus.
Metin Turan aber als Amin gibt die Brisanz der wachsenden Zweifel eines Polizeibeamten am Rande des geordneten Systems, in einer unvergleichlichen schauspielerischen Leistung wieder. Das Publikum hängt ihm bei seiner flammenden Rede im Finale zur Ungerechtigkeit in der Gesellschaft und dem wachsenden Verständnis für den Zorn und die Straftaten der Brandstifter an den Lippen. Sogar oder gerade dann, wenn wir selbst als bürgerliche Theatergänger unmittelbar mit in die Verantwortung gezogen werden. Die Mahnung, nie die Augen vor der Realität der Abgehängten zu verschließen, dringt tief ins Herz. Er ist das Kernstück der Aufführung und der Schauspieler wird seiner Rolle so viel mehr als nur gerecht.

§ 14 – Eigentum verpflichtet

So trägt die Figur des Ordnungshüters die Fragen, die das Stück stellt, hell leuchtend auf die Bühne. Aufgewühlt werden die Zuschauer*innen aus dem Inferno entlassen. Seine Worte wirken noch lange nach und bringen zum Nachdenken. Auch wenn nie der Eindruck erweckt wird, dass die Taten der Brandstifter entschuldigt werden, entsteht ein Verständnis für diejenigen, die in ihrer Verzweiflung keinen anderen Ausweg mehr als die Gewalt sehen. Und auch die Botschaft ist klar: Eigentum verpflichtet. Wer auf der Gewinnerseite steht, darf nie vergessen, auf wessen Schultern sein Wohlstand ruht. Dass leere Taten und leere Worte nie genug sind, um ein guter Bürger zu sein. Und: Dass Chancengleichheit und eine Überwindung der Klassengesellschaft für einen Teil dieser Gesellschaft nichts als Legenden sind.

Am Ende hängt das große EXIT von der Decke des Großen Tasch. Ein Ausweg wurde dargeboten. Ob es der richtige ist, oder überhaupt einer, bleibt die auch nach einem halben Jahrhundert ungelöste Frage.

Weitere Infos zum Stück und der Aufführung findet ihr hier. Die nächsten Aufführungen sind am 06.03. um 19:30 Uhr im HLTM und am 23.03. um 19 Uhr als Gastspiel in Rüsselsheim.

Regie: Milena Mönch
Bühne & Kostüme: Sophie Rieser
Musik: Alex Röser
Dramaturgie: Lena Karle
Theaterpädagogik: Lotta Janßen

Besetzung: Christian Simon, Ioana Nitulescu, Yasmin Mowafek, Jürgen Helmut Keuchel, Eike Mathis Hackmann, Jorien Gradenwitz, Metin Turan

Foto: Jan Bosch

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