Theater-Review #36: Das Stück zur Zeit – Kunst als Heimat

Theater-Review #36: Das Stück zur Zeit – Kunst als Heimat

Foto: Jan Bosch

Samstag, den 20.05.23, feierte das Hessische Landestheater Marburg Premiere mit seiner Inszenierung Stück zur Zeit – Kunst als Heimat. Diese stellt das fünfte Stück innerhalb der Reihe Stück zur Zeit dar. Die Uraufführung fand im Schwanhof, im großen Spielsaal, statt und lockte zahlreiche Besucher:innen an.

Kein Wunder, denn in dem neuen Stück setzt sich das Marburger Ensemble mit dem Thema ‚Heimat‘ auseinander und damit auch mit stets relevanten Fragen über Zugehörigkeit und Identitätsbildung. Die iranische Regisseurin Sahar Rezaei führte mit ihrem Team hierzu eine Recherche durch und interviewte diverse Personen zu ihren Heimatvorstellungen. Die daraus gewonnen Eindrücke setzte sie in ihrem neuen Stück künstlerisch um. Jedoch geht Rezaei dabei noch einen Schritt weiter und fragt, ob nicht auch die Sprache oder die Kunst eine Heimat sein kann.

Heimat: naturgewachsen oder gemacht?

Interessant wurde es schon im Vorgespräch zum Theaterstück, in dem eine Frage aus dem Publikum auf die faschistische Bedeutung des Begriffs Heimat zu sprechen kam. In der Tat ist Heimat in den letzten Jahren zu einem regelrechten Reizwort oder sogar Kampfbegriff geworden und hält mit dem Heimatministerium oder dem AfD-Slogan Dein Land, deine Heimat eine negative Position in unserer Gegenwart. Umso spannender, dass sich das Marburger Ensemble diesem Begriff widmet.

Zunächst nähert sich das Stück dem Heimatbegriff aus der Perspektive der Natur an, wobei mit Lichteffekten und Videoinstallationen ein Nachtwald dargestellt wird und dadurch eine urtümliche Atmosphäre den Raum durchdringt. Anschließend wirft das Ensemble verschiedene Situationen in den Raum, in denen die Darsteller:innen unterschiedliche Zugänge zu Heimat thematisieren. Innerhalb dieser Szenen ist mir ein Satz besonders im Gedächtnis geblieben: „Ich stehe hier und warte im Raum, im öffentlichen Raum.“ Denn er greift die Komplexität von Heimat auf und wie Räume uns zusammenführen.

Auf die Szene folgen zahlreiche Einblendungen aus voraufgenommenen Interviews durch die Lautsprecher. Fast fühlt es sich an, als sei ich mit all den Interviewpartner:innen in einem Raum und sie würden mir ihre Geschichten erzählen. In dem Theaterstück entstand eine Atmosphäre des Miteinanders. Die eingeblendeten Interviews waren größtenteils auf Englisch, weil Rezaei sie in ihrem Geburtsland, dem Iran, aufnahm. Hier zeigt sich besonders, dass nicht nur der Geburtsort eine Heimat sein kann, sondern sie bei vielen verschiedenen Orten oder auch Menschen liegen kann. Was macht Heimat aus? Kann Heimat so etwas wie Merkmale haben? Während der Aufführung hatte ich den Eindruck, dass es sich mehr um ein Gefühl handelt – dort wo man sich heimisch fühlt.

Kunst als Dach

In der darauffolgenden Szene geht es, passend zum Titel des Stücks, mit der Einblendung diverser Kunstwerke weiter – wie z.B. Der Wanderer über dem Nebelmeer von Caspar David Friedrich – und es wird klar: Jetzt nährt sich die Inszenierung dem Thema von einer ganz neuen Seite an. Bei der künstlerischen Auseinandersetzung wurde auch das Publikum eingebunden. Die Darsteller:innen reichten ihm dafür ein großes Tuch von der Bühne herab, das alle zusammen über ihre Köpfe spannten. Auf mich wirkte es, als würde man so ein gemeinsames ‚Dach‘ erzeugen und damit zusammen so etwas wie eine kleine Heimat im Theaterraum aufbauen. Daran werden sich alle Beteiligten später sicherlich noch erinnern, womit sich der Gedanke aufdrängt, ob Heimat nicht auch in einer gemeinsamen Erinnerung liegen kann. Damit wäre Heimat nicht nur ortsunabhängig, sondern auch losgelöst von der Zeit – wie schon der Titel der Reihe Das Stück zur Zeit andeutet.

(Lektoriert von jok, lab, hab und let.)

studiert Rechtswissenschaften, kombininiert die Farben blau und schwarz und liebt Fruchtzwerge.

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