Was bedeutet Kunst für dich? – Die offene Bühne im Q

Was bedeutet Kunst für dich? – Die offene Bühne im Q

Fotos: Juana Seoane Andreou; Collage: Laura Schiller

Was können Spreewaldgurken, ein Spaziergang durch Berlin und eine Kindheit im Irak gemeinsam haben? Die offene Bühne des Kollektivs KunstPunkt im Q wurde am 25. Januar ein Jahr alt. Eine Aufnahme. 

Wenn Menschen an eine offene Bühne in Marburg denken, werden sie zwangsläufig nicht an der seit über 30 Jahren bestehenden offenen Bühne im KFZ vorbeikommen. Doch das offene Bühnen auch anders funktionieren können, zeigt das von Freund*innen initiierte Kollektiv KunstPunkt im Q jeden Monat auf ein Neues. Durch die Initiative von Sarah-Belén wurde im Januar 2023 zum ersten Mal der Versuch gestartet, das Konzept einer offenen Bühne in Marburg mit der gemütlichen Atmosphäre des Kulturstandortes Q zu verbinden. Sie musste sich jedoch schnell eingestehen, dass dies als Einzelperson nur sehr schwierig zu gestalten war. Doch ebenso schnell wurde aus der Initiative einer einzelnen, ein Projekt mehrerer Freund*innen. Es gibt ein festes Team von fünf Leuten, die die Aufgaben unter sich aufteilen und durch weitere Personen unterstützt werden, die auch Teil des Projektes werden möchten. „Grundsätzlich können alle Leute mitmachen, die Bock darauf haben sich zu engagieren und ein Teil des Projektes zu werden“, sagt Sarah-Belén.

Die Grundidee des Ganzen sei es, einen Raum zu schaffen, der für sämtliche Formen von Kunst zugänglich sei und der damit auch der generellen Frage nach einer Definition von Kunst nachgeht. Im Interview beschreiben die beiden Organisator*innen Paula und Sarah-Belén, dass es ihnen um das Individuum gehe und eben jenes immer auch eine andere Geschichte mit sich bringen würde. 

„Kunst entsteht aus einem Beweggrund und wir wollen Möglichkeiten schaffen, diese Gründe abzubilden und sie in einem geeigneten Rahmen zu präsentieren.“ – Paula

Durch die gemütliche Wohnzimmerstimmung und die damit einhergehende Nähe zum Publikum sei es vor allem für Newcomer*innen eine Möglichkeit, erste Bühnenerfahrungen zu sammeln. Diese geringe Hemmschwelle zwischen Publikum und Künstler*innen lässt eine Atmosphäre entstehen, in der sich jeder Mensch eigentlich nur wohlfühlen kann. Jede Person werde so angenommen werden, wie sie nun mal ist und auch in Bezug auf die Themen lassen die Veranstalter*innen den angemeldeten Acts alle Freiheiten. Die einzige Einschränkung sei jedoch, dass kein Artist bei zwei aufeinanderfolgenden Veranstaltungen auftreten soll, um zu garantieren, dass auch jedes Mal neuen Menschen die Chance gegeben werden kann, ihre Kunst zu präsentieren. Sie betonen, dass vor allem im Bereich der Galerie noch viel Ausstellungsfläche frei ist und sie sich wünschen, dass noch mehr Künstler*innen aus Marburg und Umgebung die Möglichkeit wahrnehmen würden, ihre Kunst im Rahmen des KunstPunkts im Q auszustellen. 

Durch die gemütliche Wohnzimmerstimmung und die damit einhergehende Nähe zum Publikum sei es vor allem für Newcomer*innen eine Möglichkeit, erste Bühnenerfahrungen zu sammeln.

Ein Abend des KunstPunktes fängt meistens ganz locker an. Das Publikum macht es sich auf den Couches und Stühlen im Q gemütlich, unterhält sich und nimmt möglicherweise schon die ersten kühlen oder auch warmen Getränke zu sich. Währenddessen empfangen Paula und Sarah-Belén die angemeldeten Künstler*innen und besprechen die Setlists sowie zusätzliche logistische Notwendigkeiten ihrer Performances. Etwa gegen acht Uhr ergreift dann die Initiatorin Sarah-Belén das Wort und stimmt ein kleines „Happy Birthday“ an, in welches das Publikum mit einstimmt, obgleich manche zunächst etwas verwirrt scheinen. Sarah-Beléns Auflösung: Der KunstPunkt wird just in diesem Moment 1 Jahr alt. 

Happy Birthday, KunstPunkt!

Sie bedankt sich für das zahlreiche Erscheinen. Zu diesem Zeitpunkt ist schon längst kein Sitzplatz mehr vorhanden und die Leute stapeln sich bis zur Bar oder sitzen auf dem Boden vor der Bühne. Nach der Anmoderation übernimmt ihre Kollegin Paula das Wort und beginnt damit, die ersten Künstler*innen vorzustellen. Der erste Teil des Abends umfasst vier Acts, die alle im Schnitt etwa 15-20 Minuten Zeit haben, zu performen. Als erster Act ist die Band HOÄ dran, die an diesem Abend ihren ersten Auftritt vor Publikum hat und mit mehr oder weniger bekannten Coversongs der eher gemütlicheren Art, den Abend einleitet. Der zweite Act nennt sich Andi W. Er behauptet von sich selbst, deutschen ‚Folkpunk’ zu spielen und tritt nur in Begleitung einer Gitarre und seiner selbstgeschriebenen Songs auf, die durch ihre selbstironische Art für den ein oder anderen Lacher sorgen.

Nummer Drei ist Coodiny. Ein Rapper, der nun schon das dritte Mal beim KunstPunkt auftritt. Auf seine Nachfrage hin steht das Publikum jetzt erstmals auf und er macht sich im Einklang mit seiner MPC auf den Weg, seinen Auftritt eher im Publikum als auf der Bühne zu absolvieren. Der vierte Act heißt Marcel und ist als Gitarrist und Sänger eine zunächst eher unscheinbare Person. Dieser Eindruck ändert sich jedoch prompt, als er beginnt zu singen und Gitarre zu spielen. Spätestens als er dann zum Abschluss einen Song über seine Heimat, den Spreewald spielt, der weit davon entfernt ist als Hymne verstanden zu werden, kann ich mich vor Lachen nicht mehr einkriegen. 

Rapper Coodiny tritt mehr im Publikum als auf der Bühne auf.

„Wir machen jetzt Pause.“ – Sarah-Belén

Nach einer kurzen Pause empfängt uns indessen wieder Sarah-Belén, die das Publikum dazu einlädt, mal kurz die Augen zu schließen und eine Runde durchzuatmen. Sie betont, wie wichtig es für sie ist, manchmal einfach durchzuatmen und zur Ruhe zu kommen und sie das deswegen, an diesem Abend, auch den zahlreich erschienenen Menschen nahebringen möchte. Dann eröffnet sie dem Publikum, dass der KunstPunkt expandieren würde. 

Denn nach einem Jahr, nach den ganzen offenen Bühnen, sieht Sarah-Belén auch den Bedarf für einen Raum, in dem Menschen in kleineren Workshops der eigenen Kreativität auf die Spur kommen können. Sie möchte den Menschen so die Möglichkeit eröffnen, individuell der Frage nachzugehen, was Kunst eigentlich für sie bedeutet und sie praktisch hinterfragen zu können. Die Workshops sollen ab jetzt einmal im Monat stattfinden und hätten eine maximale Teilnehmerzahl von etwa 20 Leuten. Das erste Thema sei: „Ankommen: bei sich selbst und der eigenen Kreativität“.

Nach dieser kurzen Ankündigung übernimmt dann wieder Paula das Mic und führt durch den restlichen Abend. Act Nummer fünf nennt sich Karan und ist ein Rapper aus dem Iran. Er rappt über seine Kindheit, seine Träume und spricht viel darüber, wie es nun für ihn ist, sein Glück in Deutschland zu versuchen. Der sechste Artist ist Sina, der Teil des KunstPunkt-Kollektivs ist und nun erstmals auch als Artist die Bühne betritt. Er spielt, begleitet von Eli am Klavier, eigene Songs und erzählt zwischendurch viele Geschichten aus seinem Leben.

Mehr als Kneipentour und Auflauf

Nach den hauptsächlich musikalischen Beiträgen ist es dann interessant, beim siebten Auftritt eine Lesung zu hören, in der Lilly eine Geschichte aus der Perspektive einer Ich-Erzählerin über deren beste Freundin Alma und einen Spaziergang durch Berlin vorliest. Hier lässt sich vor allem ihre genaue Betonung hervorheben, die dafür sorgt, sehr klare und genaue Bilder der Geschichte zu transportieren.   Der achte Artist nennt sich Lukh und ist kurzfristig eingesprungen. Er selbst ist Rapper und beendete den Abend mit Songs über Sternenstaub und einer Ode an die Stadt Marburg. Abschließend bedanken sich die Veranstalterinnen Sarah-Belén und Paula nochmal beim Publikum und weisen darauf hin, dass der Abend jetzt noch mit einer offenen Jam-Session auslaufen würde und alle herzlich eingeladen seien, daran teilzunehmen. Hier stellte sich heraus, dass auch im Publikum viele musikbegeisterte Menschen saßen und es wurde noch munter einige Stunden weiter musiziert. 

Abende wie diese sind wichtig in einer Stadt, in der viele junge Leute wohnen, die selbst noch auf der Suche sind, nach Antworten auf die Fragen, wie „Was ist überhaupt Kunst für mich?“ und „Wer bin ich eigentlich und wo will ich hin?“, „Was macht mich glücklich?“ Einen Raum zu schaffen, in dem man diesen Fragen mit anderen Menschen nachgehen kann, ist ein wichtiger Beitrag. Gerade in einer Stadt, in der Studierende sowie andere Menschen von dem Wegfall kultureller Institutionen und dem fortschreitenden Aussterben der Bar- und Kneipenszene in der Oberstadt betroffen sind. Die Marburger Abendkultur kann mehr sein als Kneipentour und Auflauf essen, solange es Menschen gibt, denen es wichtig bleibt, Räume zu erschaffen, die Abende wie diese ermöglichen. Genau hier setzt der Anspruch Sarah-Beléns an, nach inzwischen einem Jahr offener Bühne, den Menschen auch die Möglichkeit zu geben, an Workshops teilzunehmen, zur Ruhe zu kommen und in einem entspannten Umfeld „Pause“ zu machen. Wohl gerade jetzt zum Beginn der vorlesungsfreien Zeit, eine Idee, die vielen von uns guttun könnte. 


Mehr zum KunstPunkt erfahrt ihr auf Instagram.

(Lektoriert von ans, jok und hab.)

studiert Literaturvermittlung in den Medien. Redaktionsmitglied seit November 2023. Kommt aus Dortmund. Ist jetzt hier.

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