Zwischen grauen Haaren und kleinen Köpfen: Die Bremer Stadtmusikant*innen-Premiere
Foto: Thorsten Richter
Am 26.11. fand die Premiere des Familienstücks Die Bremer Stadtmusikant*innen am Hessischen Landestheater Marburg (HLTM) statt. Unser Redakteur David wagte sich zwischen lachende Kinder und deren Großeltern und berichtet von einem etwas anderen Theater-Nachmittag.
Als ich an einem Sonntagnachmittag im Foyer des Erwin-Piscator Hauses stand, um mir die Premiere des Stückes Die Bremer Stadtmusikant*innen anzuschauen, wurde mir eines bewusst: Ich sollte mich das nächste Mal besser darüber informieren, für welche Altersgruppe ein Stück konzipiert wurde, bevor ich mich dazu bereit erkläre, eine Rezension darüber zu schreiben. Nun stand ich da, mit Mitte zwanzig umrandet von Kindern, ihren gestressten Eltern und überraschend vielen Menschen, denen man ihr fortgeschrittenes Alter ansehen konnte. Von Menschen in meinem Alter: Keine Spur. Na gut.
Die ersten Reihen des ausverkauften Saals waren gefüllt mit Kindern zwischen fünf und zehn Jahren. Die hinteren Reihen wirkten eher wie die dazugehörigen Großeltern. Mein Sitz war zwischen einem Mann und einem Pärchen fortgeschrittenen Alters, die sich anscheinend gegenseitig kannten. Der Mann, der allein da war, erzählte, dass er das Stück für seine Frau anschaue, um abzuwägen, ob es sich lohnen würde, es mit den Enkeln anzusehen. Das Pärchen hat anscheinend eine Dauerkarte oder Ähnliches für das HLTM und meinte, es würde sich „sowieso alles angucken“. Ich für meinen Teil war überrascht, mit welcher Muße und Geduld die Kinder in den ersten Reihen auf den Beginn des Stückes warteten.
Das von HLTM-Intendantin Eva Lange inszenierte Stück umfasst die klassische Entstehungsgeschichte der Bremer (in diesem Fall) Stadtmusikant*innen der Gebrüder Grimm in einer stark vereinfachten Form. Es gibt sechs Akte, von denen die ersten vier die Vorstellung der Charaktere beinhalten. Ein alter Esel (Jorjen Gradenwitz), der lieber in die Welt loszieht als sich weiter ausbeuten zu lassen. Ein Graffiti malender Hund (Christian Simon), der vor seiner brutalen Herrin – einer Jägerin – flüchtet. Eine Katze (Ulrike Walther), die, erschöpft von ihrer gluckenhaften Besitzerin, lieber mit ihrer Maus spielen will. Ein etwas zu entspannter Hahn (Mia Wiederstein), der lieber die Bäckerin krähen lässt, als es selber zu tun und dann vor dem Suppentopf fliehen muss. Sie alle finden sich im Verlauf der ersten vier Akte, welche ohne Dialog auskommen. Lediglich die Zwischensequenz eines jeden Aktes stellt ein Wanderlied dar, das die sich vergrößernde Truppe im Verlaufe des Stückes immer wieder zum Besten gibt:
„Etwas Besseres als den Tod, finden wir überall“
Der fünfte Akt beinhaltet die Einkehr der Truppe in das Haus eines Räuberpärchens (Georg Santner und Aliona Marchenko). Dieses flieht zunächst erschrocken, wird dann aber Teil der Gruppe, indem es mit ihr musiziert und Texte schreibt. Der finale sechste Akt wird in Form eines Playbackgewitters inszeniert, das meines Erachtens etwas befremdlich wirkt; wenn zum Beispiel das Räuberpärchen anfängt, Hip-Hop-Tanzelemente zu integrieren, die mir eine Gänsehaut der Scham verschafft haben. Das offensichtliche Nicht-Spielen der Instrumente und die überdimensionalen Tierköpfe, die auf einmal aufgesetzt wurden, wodurch die Soundqualität noch vager wurde, haben mir den Rest gegeben.
Aber wen interessiert meine Meinung? Vor allem der Inhalt des finalen Songs suggeriert mir, dass die eigentliche Intention dieses Stückes keinesfalls die Befriedigung der arrogant hochgesetzten Erwartungen eines Literaturstudenten im fortgeschrittenen Semester darstellt, sondern die Vermittlung grundlegender Werte wie Gerechtigkeit und Nächstenliebe, unabhängig von Herkunft oder Aussehen. Denn, so sagt der Song:
„Das ist Musik“
Irgendwie war es schön mal wieder in einem Theatersaal zu sitzen und einen Haufen Kinder zu beobachten, die sich kaputtlachen, weil ein als Hund verkleideter Erwachsener mit einem Edding ‚Pups‘ oder Kot-Ikonen an die Wände malt. Auch die Darsteller*innen der Tiere, welche sich nie zu ernst genommen haben, und der hohe Anteil an weiblichen Schauspieler*innen (drei Viertel der Hauptrollen) gaben dem Stück einen frischen Twist. Vor allem die kess-ironische Darstellung der Katze durch Ulrike Walther war gelungen und auch ich konnte mir das ein oder andere grinsende Kopfschütteln nicht verkneifen.
Wenn ihr also ein Stück braucht, um mit euren kleinen Geschwistern, Cousins oder Cousinen mal wieder ins Theater zu gehen, sind die Bremer Stadtmusikant*innen auf jeden Fall eine kurzweilige Option. Für ein erstes Date würde ich es wohl eher nicht vorschlagen – außer ihr steht beide auf Tierköpfe und schrägen Gesang.
(Lektoriert von bik, hab und let.)
studiert Literaturvermittlung in den Medien. Redaktionsmitglied seit November 2023. Kommt aus Dortmund. Ist jetzt hier.