Was´n da los, Venezuela?

Was´n da los, Venezuela?

Nicolás Maduro wurde mit dem Traumergebnis von 68% als Präsident Venezuelas im Amt bestätigt. Der Mann hat wohl einiges richtig gemacht, oder?

Ein Blick in die Regale eines venezolanischen Supermarkts reicht, um Zweifel an diesem Traumwahlergebnis zu wecken. Venezuela steuert aktuell auf eine humanitäre wie auch wirtschaftliche Krise gewaltigen Ausmaßes zu. Das Geld ist so wenig wert, dass es inzwischen gewogen statt gezählt wird, und eine Flasche Shampoo kostete zeitweise ein Viertel des monatlichen Mindestlohns. Man stelle sich vor, eine Flasche ´DuschDas´ würde 120 Euro kosten. Würde Angela Merkel mit 68% wiedergewählt werden?

„Keine freien und geheimen Wahlen“

Kaum jemand im Land sieht momentan Perspektiven für die eigene Zukunft. Vor allem junge Venezolaner:innen verlassen in Scharen das Land. Schätzungen zufolge sind seit Beginn der Krise Anfang der 2010er Jahre 3 Millionen Menschen aus Venezuela geflohen. Einer von ihnen ist Iván Chavez Idrogo, der inzwischen in Marburg Politik studiert. Ivan hat das Land 2015 verlassen, Kriminalität und Armut ließen ihm keine Alternative. Zwei Wochen nach der Wahl habe ich mich mit ihm über die Lage in seiner Heimat unterhalten. Es ist sehr wichtig, dass auch hier in Europa die Menschen auf Venezuela aufmerksam werden“, ist Chavez überzeugt. Für ihn ist das aktuelle Wahlergebnis nicht überraschend. Diese Wahl war eine Simulation, von meinen Bekannten ist niemand wählen gegangen, das Ergebnis stand vorher fest.“.

Die EU-Staaten und die USA sowie viele lateinamerikanische Länder haben die Wahl Maduros nicht anerkannt. Es habe sich nicht um freie, faire und gerechte Wahlen gehandelt. Henry Falcón, der stärkste Gegner Maduros, hatte die Wahl bereits im Vorfeld für illegitim erklärt und Neuwahlen gefordert. Maduro kritisierte Falcón dafür. Er habe „noch nie erlebt, dass ein Kandidat die Wahl noch vor dem Ende anfechtet“. Vor dem Hintergrund dessen, was von den Umständen der Wahl berichtet wurde, wirkt diese Aussage doch extrem scheinheilig.

Die ‚Colectivos‘ bringen die Leute zum Wahllokal“

Ivan Chavez berichtet davon, dass ganze Häuserblocks am Wahltag von paramilitärischen Gruppen, sogenannten Colectivos, mit Trompeten geweckt und in Bussen zum Wahllokal gefahren wurden. Diese Gruppen sehen sich als treue Chavisten, bezeichnen sich selbst als „Kampftruppen des Hugo Chavez“ und kontrollieren oft ganze Wohnviertel. Die Rolle der Colectivos ist aber bei weitem nicht das Einzige, was diese Wahl so unrechtmäßig erscheinen lässt: Das Oberste Gericht ließ im Vorfeld der Wahl das Oppositionsbündnis MUD von der Wahl ausschließen, woraufhin diese die Wähler zum Boykott animierten.

Außerdem gibt es Berichte von Sammelstellen, an denen man sich mit einer „Vaterlandskarte“ für Verlosungen von Lebensmitteln und anderen knappen Gütern anmelden konnte. Seit die Krise sich verschlimmert hat, sind viele Venezolaner:innen auf staatliche Versorgungshilfe angewiesen. „Die Verteilung dieser Lebensmittelpakete ist sehr undurchsichtig. Es gibt dort viel Manipulation und Bevorzugung von Regierungsfreunden“ berichtet Chavez. Diese Verlosungen wurden nun unmittelbar in der Nähe der Wahllokale durchgeführt. Ein Schelm, wer hier Böses denkt.

Doch selbst abgesehen von diesen ganzen Auffälligkeiten bot die Wahl keine echte Alternative, keine Chancen auf Veränderung. Um diese „extrem komplizierte Situation“, wie Ivan Chavez feststellt, zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf Venezuelas politische und wirtschaftliche Situation.

Man vermisst Venezuela, obwohl man im Land ist.“

Angesichts einer astronomischen Inflationsrate von 13.800% (ja, ihr habt richtig gelesen), Lebensmittelengpässen und Plünderungen im ganzen Land überrascht es nicht, dass seit der Jahrtausendwende bis zu 4 Millionen Menschen das Land verlassen haben. Gerade junge Leute sehen in Venezuela keine Zukunft mehr. Laut einer Studie wollen über die Hälfte der 15-29 Jährigen das Land schnellstmöglich verlassen. Beobachter:innen sprechen von einer der größten Migrationskrisen in der Geschichte Lateinamerikas. Dabei kannte die Generation vor ihnen Venezuela als ein kleines Paradies, das mit seinen Ölquellen für Wohlstand und Fortschritt stand. „Man vermisst Venezuela, obwohl man im Land ist“, bringt es ein verzweifelter Venezolaner auf den Punkt.

Wie konnte es im Laufe von nur zwei Jahrzehnten zu einem Verfall solchen Ausmaßes kommen? Prof. Wolfgang Muno, der an der Universität Rostock vergleichende Regierungslehre unterrichtet, hat in den 90er Jahren selbst in Caracas studiert und 2005 ein Buch über Venezuela unter Hugo Chavez veröffentlicht. Er weiß um die schwierige politische Krise, in der sich Venezuela befindet, stellt aber fest, „dass kaum gesicherte Informationen nach außen dringen. Niemand weiß, wie es wirklich um Venezuela steht“. 

Die Leute sollen wissen, dass es tödlich enden kann, bei diesen Demos mitzumachen.“

Hugo Chavez, der vor 20 Jahren das Amt des Präsidenten übernahm, ließ viele Linke von einem erfolgreichen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ träumen. Mit dem weltweit benötigten und knappen Erdöl im Rücken, in dem die Venezolaner:innen praktisch baden können, war dies zunächst recht erfolgversprechend. Chavez, der aus einer ländlichen Gegend stammte, konnte besonders in den ärmeren Gegenden viele Anhänger:innen gewinnen. Der heutige Präsident Maduro bezeichnet sich selbst als „Hijo de Chavez“, als Sohn Chavez´, und inszeniert sich als dessen ‚Thronfolger‘.

Unter dem Hashtag „#MaduroUsurpador“ wird er in sozialen Netzwerken hingegen als „Thronräuber“ bezeichnet. Damals wie heute gab es viele kritische Stimmen, die vor allem den harten Umgang mit Oppositionellen anprangern. Bei den jüngsten Protesten und Demonstrationen gegen Maduro sind Schätzungen zufolge über 120 Menschen ums Leben gekommen. Die Polizei, wie auch die Colectivos, schlugen die Proteste mit zum Teil großer Brutalität nieder. Rauchgranaten, die normalerweise in hohem Bogen abgefeuert werden, um Leute auseinanderzutreiben, wurden direkt auf Menschen geschossen, was tödliche Folgen haben kann. In sozialen Netzwerken kursieren Videos von halb totgeprügelten Demonstrant:innen. „Die Leute sollen wissen, dass es tödlich enden kann, bei diesen Demonstrationen mitzumachen“, stellt Ivan Chavez fest.

Eng verwoben mit der politischen Situation ist die Lage der Wirtschaft in Venezuela. Durch den Verfall der Ölindustrie, verursacht durch jahrelange Misswirtschaft und den Fall des Ölpreises, ist die Ökonomie im Land völlig kollabiert. Die Supermarktregale sind leer, es fehlt an Medikamenten und Lebensmitteln. Die Regierung ist abhängig von Anleihen vor allem aus China, die aber die Staatsschulden weiter in die Höhe treiben. Die Misswirtschaft nimmt teilweise absurde Formen an – ein junger Venezolaner berichtet, dass seine Familie Monate lang Windeln sammeln musste, als seine Schwester ein Kind erwartete.

Die jungen Leute, die Venezuela verlassen mussten, können Veränderung bringen“

Angesichts dieser dramatischen Situation scheint es schwierig, Perspektiven oder Chancen auf eine bessere Zukunft zu finden. Die meisten Leute im Land sind damit beschäftigt, sich selbst zu versorgen und haben keine Lust, bei Demonstrationen ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Andererseits wurden viele Menschen, gerade aus ärmeren Gegenden, erst von Chavez zu politischer Beteiligung gebracht. Sie sind heute treue Anhänger von dessen Nachfolger, Nicolas Maduro.  „Man kann davon ausgehen, dass mindestens 20% der Wähler treu hinter Maduro stehen“ analysiert Prof. Muno.  Solange Maduro sich selbst als Kämpfer für die Revolution und gegen den Imperialismus  inszeniert, wird er sich im Sattel halten können.

Professor Muno weißt darauf hin, dass von der internationalen Gemeinschaft, das heißt vor allem von den Vereinten Nationen, keine Maßnahmen zu erwarten seien. „Internationale Sanktionen würden am Veto von China und Russland scheitern, die Maduro freundlich gesinnt sind. Dabei wäre ein internationales Ölembargo eine Maßnahme, die der Regierung nachhaltig schaden würde. Humanitäre Hilfe wird zwar dringend benötigt, könnte die Position Maduros jedoch weiter stärken“. Die Staatengemeinschaft kann den Menschen in Venezuela also genau so wenig helfen wie die nationale Opposition, die „intern zerstritten und ohne klares Konzept“ ist.

Doch besonders die jungen Leute, die aufgrund der Misswirtschaft, der Korruption und der aus der Armut resultierenden Kriminalität aus ihrer Heimat verdrängt wurden, könnten laut Ivan Chavez die benötigte Veränderung bringen. Diese jungen Menschen, die Student:innen, die ihrem Heimatland immer noch verbunden sind, auch wenn sie gezwungen wurden, es zu verlassen, können mit neuen Ideen und neuem Mut den nötigen Geist der Veränderung zurück ins Land bringen. Einer von ihnen ist Ivan Chavez Idrogo aus Marburg. Abschließend sagt er: „Es ist so kompliziert. Aber man darf die Hoffnung einfach nicht aufgeben“.

FOTO: CC Hugoshi, unverändert

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