Die Zentralbibliothek wird zentral – for real

Die Zentralbibliothek wird zentral – for real

Seit einer Ewigkeit ist da jetzt diese riesige Baustelle neben dem botanischen Garten. Inzwischen nimmt sie Form an. PHILIPP hat sich das mal näher angeschaut.

Ich laufe zum tausendsten Mal an dieser Wand vorbei, die den Pilgrimstein von diesem monströsem Etwas trennt, das in Zukunft Teil unserer Universität sein soll. Inzwischen hat sich einiges getan. Während sich da letztes Jahr noch ein riesiges Loch auftat, sind jetzt große beigene Wände aus dem Boden gestampft worden. Die Fassade ragt bereits über die meisten der umstehenden Häuser, dahinter befindet sich vermutlich noch viel Leerraum. Oder vielleicht stehen dort schon ein paar Bücherregale, denn am Pilgrimstein kann man bereits die großen, silbernen Lettern sehen, die betiteln, was das hier wird: Die Universitätsbibliothek.

Das städtebauliche Monstrum weicht für die neue UB

Aber mal Hand auf’s Herz: Es stimmt ja, wir brauchen eine neue UB! Während der Klausurenphase und dem immer näher kommenden Abgabeterminen für die Hausarbeiten ist die Universitätsbibliothek das zweite Zuhause für alle Studis. In diesen Wochen geht es in Messenger-Chats eigentlich nur um die Frage: »Wann gehst du bibben? Ja, so gegen 9 Uhr. Ne, lass lieber 8 Uhr sagen, sonst gibt’s keine Steckdosenplätze mehr.« Das ganze Semester über hat man es vermutlich höchstens zwei Mal zur Vorlesung so früh geschafft, aber um einen Steckdosenplatz in der UB zu ergattern, ist plötzlich alles möglich. Oder man hat gute Freunde, die nach deutscher Mallorca-Manier auch gern Plätze reservieren. Hier allerdings anders als im Urlaub: Statt Handtüchern ist alles voll mit Büchern. Es fehlt eigentlich ein Schild, auf dem steht: Bitte nicht vor 9:30 Uhr die Tische frei halten. Wenn man sich nicht gerade selbst in dieser Lage befände, könnte man sich über dieses Phänomen durchaus amüsieren.

Es besteht kein Zweifel: Die Universitätsbibliothek an der Wilhelm-Röpke-Straße verfügt weder über ausreichend Individualarbeitsplätze noch über Gruppenarbeitsbereiche. Für die stetig wachsende Anzahl von Studierenden an der Philipps-Universität Marburg entspricht sie damit nicht mehr den zeitgemäßen Anforderungen. Ja, wer braucht schon Steckdosen, die werden doch sowieso völlig überbewertet. Mein Laptopakku hält selbstverständlich den ganzen Tag. Aus diesen Gründen wird derzeit fleißig an einer neuen Universitätsbibliothek gebaut. „Derzeit sind auf der Baustelle der Marburger Uni-Bibliothek täglich rund 100 bis 150 Bauarbeiter und Handwerker beschäftigt“, heißt es laut des Landesbetriebs Bau und Immobilien Hessen (LBIH). Das sind bis zu 70 mehr als während der Rohbauarbeiten.

2017, wie realistisch ist das?

Nach vielen kursierenden Angaben zum Zeitpunkt der Fertigstellung der künftigen Zentralbibliothek der Philipps-Universität steht es nun fest: Bis Mitte 2017 soll der Bau vollendet sein. Ob das eingehalten wird, steht wie bei jeglichen Baustellen dieser Stadt noch in den Sternen. Seitens der Uni ist man jedenfalls optimistisch: „Mit dem Baufortschritt sind sowohl die Universität als auch der LBIH sehr zufrieden“, berichtet mir Ellen Thun, Pressesprecherin der Philipps-Universität, „derzeit läuft vor allem der Innenausbau auf Hochtouren. Im Untergeschoss der UB wird weiterhin am Einbau der Buchförderanlage gearbeitet.“ Auf einer etwa 18.000 m² großen Fläche entsteht die Bibliothek nach den Entwürfen des Darmstädter Architektenbüros Norbert Sinning. Die Baustelle des künftigen „Campus Firmanei“ kann im Internet durch eine vor Ort installierte Webkamera seit 2012 verfolgt werden. Die Baukosten betragen nach Angaben der Landesregierung 108 Millionen Euro.

ub2

Dafür sollten genügend Steckdosen und Lernplätze entstehen können. Gebaut wird der neue Uni-Campus zwischen Elisabethkirche und Altem Botanischem Garten. Die architektonische Baukonstruktion der Bibliothekeingangshalle besteht aus einer Glasfront. Dadurch ist der Blick auf die Elisabethkirche, den Botanischen Garten und die Marburger Oberstadt gesichert. Zusätzlich dient der Glasgang als Durch- und Zugang von der E-Kirche aus in die Bibliothek. Somit bindet die Konstruktion die Stadt selbst mit in den neuen Campus ein. Die Bibliothek stellt künftig das Herzstück der Universität dar und soll zusätzlich als attraktives kulturelles Zentrum der Stadt fungieren.

Was noch nicht ist, kann ja noch werden

Begonnen haben die Bauarbeiten 2012 mit dem Abriss der Marburger Frauenklinik. Diese zählt zu den Ältesten in ganz Europa, weshalb der Abriss für viele private medizinisch Interessierte oder ehemalige Mitarbeiter:innen unverständlich und bedauernswert ist. Die Gebäude, so denkt beispielsweise eine Gynäkologin, die nicht mit Namen genannt werden möchte, sind ein historisch wertvoller Teil der medizinischen Geschichte der Frauenheilkunde. Doch laut dem Hessischen Landesamt für Denkmalpflege hätten die Bauten der Frauenklinik einen sehr geringen baulichen Wert. Außerdem wären die Klinikbauten veraltet und entsprächen nicht mehr den modernen medizinischen Anforderungen. Die Lahnberge dienen nun als neuer Standort der Frauenklinik. Dort können dann auch die hohen medizinischen Standards der Frauenheilkunde in Marburg gewährleistet werden. Lediglich der denkmalgeschützte Gründerzeitbau, in dem die Hauptklinik stationiert war, wird kernsaniert und in den Neubau der Bibliothek eingegliedert. Es wird das Hauptgebäude der Bibliotheksverwaltung.

Nach der Universitäts-Präsidentin Prof. Dr. Katharina Krause sei das ehemalige Gebäude durch den letzten Anbau »aus städtebaulicher Sicht ein Monstrum« gewesen: »ein Gebäuderiegel ohne Durchlass, noch dazu höher als die geplante UB, die ja das Foyer als Durchgang hat«. Die Frauenklinik war auch durch ihre zahlreichen Um- und Anbauten für andere Nutzungen unbrauchbar. Aus dem Grund schien ein Neubau unausweichlich. Mit der Errichtung der Universitätsbibliothek soll die verfallene Nordstadt städtebaulich aufgewertet werden. Außerdem, so Thun, trage die Entscheidung des Neubaus auf diesem Areal wesentlich dazu bei, andere historische Gebäude in der Marburger Nordstadt erhalten zu können. „Denn für diese Bauten musste nach dem Umzug der Kliniken auf die Lahnberge eine neue Nutzung gefunden werden. Indem die Uni diese Gebäude für die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften umbaut und saniert, trägt sie zum Erhalt dieser historischen Bauten bei.“

Besonderheiten auch von Innen

Ähnlich wie die Außenansicht der neuen UB, die durch Höhe und Farbe in das derzeitige Stadtbild integriert werden soll, soll auch die innere Gestaltung die architektonischen Besonderheiten der Stadt Marburg aufgreifen. Angeblich erinnern die Vorsprünge der Atriumfassaden im Inneren an die Fachwerkhäuser und –gassen. Die Treppen und zahlreichen Leseterrassen sollen die Stadtstruktur in Marburg widerspiegeln. Die Leseterrassen mit ihren final 20 Leseinseln sind eine der vielen neuen Konzepte der zukünftigen Bibliotheksgestaltung. Klingt alles sehr romantisch, für das Endergebnis müssen wir uns allerdings noch etwas gedulden. Noch ist da nur dieses Betongebäude, das wenn ich von meinem Zimmer aus auf die wunderschöne Kulisse des Schloßbergs mitsamt Oberstadt schaue, einfach nur im Weg steht. Doch die Arbeiten gehen voran, auch wenn manchmal unerwartete Hürden erscheinen: „Wir haben hier ein innerstädtisches Baufeld, mit allen Problemen und logistischen Herausforderungen, die das mit sich bringt“, erklärt Markus Janik vom LBIH. „Beispielsweise mussten wir aufgrund einer Kanalsanierung kurzfristig die Baustellenausfahrt an der Deutschhausstraße verlegen.“

Warum man so viel Geld für eine Bibliothek ausgibt? Bücher sind ein altes Medium, das der Zukunft nicht gerecht wird. Die Zentralbibliothek soll am Ende nicht nur als bloßer Lernort von den Studierenden genutzt, sondern durch seine neue zentrale Lage auch als Ort der Begegnung angesehen werden und für Ausstellungen und Lesungen dienen. So ist es jedenfalls geplant. Das Ambiente wird dabei durch eine Cafeteria im Erdgeschoss und den schnellen Zugang ins Grüne, in Gestalt des Botanischen Gartens geschaffen. So nett das klingt, natürlich steckt auch immer etwas vom guten alten Kapitalismus in dem Projekt: Durch die große Investition im Rahmen des Hochschulbauprogramms HEUREKA soll auch die Wettbewerbsfähigkeit und die Attraktivität des Universitätsstandortes Marburg gesteigert werden.

ub3

Übrigens: Durch die neue Bib gibt es bald eine Party der Fachbereiche. Die einzelnen Fachbibliotheken der geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Institute sollen hier nämlich zusammengeführt werden. Das klingt besser, als es vielleicht wirklicht ist. Das bedeutet nämlich, dass ich bis dahin jedes mal den weiten Weg von der Philfak zur neuen UB auf mich nehmen muss, nur um Bücher abzuholen und wegzubringen oder mensen zu gehen. Und ja, dieser eine Kilometer von der Wilhelm-Röpke-Straße zur neuen UB ist für Marburger Verhältnisse verdammt viel! Derzeit werden die Raumanforderungen der einzelnen Institute präzisiert und mit den vorhandenen Raumkapazitäten abgeglichen. Beispielweise sind die Institute für Europäische Ethnologie sowie Kultur- und Sozialanthropologie bereits zum Wintersemester 2014 in die umgebaute und sanierte ehemalige Hals-Nasen-Ohrenklinik in der Deutschhausstraße eingezogen.

What the Phil-fuck?!

Doch was ist mit der guten alten Philfak? Tatsächlich ist das Gerücht um den Umzug der Geistes- und Sozialwissenschaften wahr, doch bis all diese Fachbereiche umgezogen sind, wird es noch bis 2020 dauern. Viele von uns bekommen das neue Campusleben rund um die neue UB also vielleicht gar nicht mehr mit. Schade! Insgesamt können 2,5 Millionen Bücher und 1,2 Millionen frei zugängliche Bände in der neuen Zentralbibliothek untergebracht werden. Die Bibliothek wird durch ihre neu strukturierten Leseinseln, Aufenthaltsräume und das neue Medienzentrum, die digitalen Onlinearchive mit den Büchern noch besser miteinander verbunden.

Die Philfak wird am Ende all dieser Neuerungen keine Funktion mehr haben. Lediglich die 300 angrenzenden Parkplätze sollen noch verwendet werden. Der neue Campus Firmanei biete nur Platz für Behindertenparkplätze und Areale zur Anlieferung und Abholung, äußerte sich der Leiter des Dezernats IV, Dr. Eckhard Diehl. Allerdings bekommt die Universitätsbibliothek 400 Rad-Stellplätze. Über den Bedarf einer weiteren DB-Fahrradstation soll vor der Fertigstellung der Bibliothek von dem AStA-Verkehrsreferat und der Universität entschieden werden. Wir sind gespannt, was uns da noch erwartet. Eins sollte uns aber jetzt schon freuen: Die Wahrscheinlichkeit freier Steckdosenplätze auch um 11 Uhr ist recht hoch.

FOTOS: Sinning Architekten, Darmstadt // Uni Marburg // Luis Penner

PHILIPP-Gründerin und Chefredakteurin von 2014 - 2017.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Wordpress Social Share Plugin powered by Ultimatelysocial
Instagram
Twitter