„Raise your voice!“ – Im Kampf für Menschenrechte

„Raise your voice!“ – Im Kampf für Menschenrechte

„Post aus … “ – Was Studierende außerhalb des Semesteralltags erleben, wo sie ihre Praktika absolvieren und welche Menschen sie auf ihren Reisen treffen, davon berichten sie selbst in dieser Reihe. Diesmal erzählt Gastautorin Charlotte von ihrer Arbeit bei einer Menschenrechtsorganisation in Malaysia. Dass sie das kann, war gar nicht so einfach. Während ihres Praktikums wurden ihr Facebook und Mail-Account gehackt und sie erhielt Drohanrufe von einem anonymen Anrufer. Aus diesem Grund wurde der Artikel zeitweise entfernt. Glücklicherweise ist Charlotte nun aber wieder wohlbehalten in Deutschland und ihr Bericht, dank des Privilegs der Meinungsfreiheit in unserem Land, wieder online.

Dass es Menschenrechtsverletzungen gibt, weiß eigentlich jede*r. Doch verortet werden sie eher in Regionen wie Afrika oder dem Nahen und Mittleren Osten. Kurz gesagt: In ökonomisch schwachen und instabilen Ländern. Doch was ist mit den Schwellenländern? Oft wird angenommen, dass die Menschenrechte dort eingehalten werden, weil es sich um fortschrittlichere Regionen handelt, die dementsprechend auch eine fortschrittlichere Einstellung gegenüber Menschenrechten aufweisen.

Dieser Eindruck ist ein gravierender Fehler.

Für mein Praktikum, das ich innerhalb meines Studiums der Vergleichenden Kultur- und Religionswissenschaft absolvierte, habe ich beschlossen, zwei Monate in Malaysia für eine Menschenrechtsorganisation, dessen Namen ich aus sicherheitstechnischen Gründen zu „Demokrasi Malaysia“ geändert habe, zu arbeiten. 1998 gegründet, engagiert sich diese Organisation in vielen gesellschaftlichen Bereichen, ist aber besonders dafür bekannt, sich für Gerichtsverfahren auszusprechen. Denn: Viele Menschen in Malaysia werden ohne Gerichtsverfahren und rechtlichen Schutz jahrelang und unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert. Bei diesen Menschen handelt es sich oftmals um politische Gegner*innen, das heißt um Menschen, die es gewagt haben, ihre Stimme gegen die Regierung zu erheben. Kritik an dem malaysischen System wird von der malaysischen Regierung nämlich nicht nur ungerne gesehen oder gehört, sondern auch verfolgt. Weshalb ich an dieser Stelle auch der berühmten Enzyklopädie Wikipedia eindeutig widersprechen möchte, die Malaysia als demokratische Monarchie ausgibt. Sicher, Wahlen finden in Malaysia statt, doch ein Blick in die unabhängigen Medien reicht schon aus, um zu merken, dass diese manipuliert und damit grundlegende Rechte wie Meinungs-, Presse- oder Religionsfreiheit nicht beachtet werden. Es braucht daher sicher nicht vieler Worte, um zu erklären, dass es für mich wichtig war, für eine NGO zu arbeiten, die keine indirekten Verbindungen zur malaysischen Regierung hat und diesen Menschenrechtsverletzungen etwas entgegensetzt: Die Organisation, die mich als Praktikantin einstellte, arbeitet eng mit der parlamentarischen Opposition, sowie mit anderen NGOs des Landes zusammen.

Arbeit für eine Organisation, die von der amtierenden Regierung als “feindlich” eingestuft wird

Ab dem Zeitpunkt der Praktikumszusage war mir deshalb bewusst, dass dieses Praktikum extrem werden würde. Schon am Anfang erklärte mir mein zukünftiger Chef, dass „Demokrasi Malaysia“ von der amtierenden Regierung als “regierungsfeindlich” eingestuft werde, und es daher im Büro zu polizeilichen Durchsuchungen und Befragungen kommen könnte. Denn „Demokrasi Malaysia“ ist eine Organisation, die mit Abstand die meisten Demonstrationen organisiert und sich mitunter am stärksten für das Land einsetzt. Und tatsächlich: Eines Morgens hat uns die Polizei einen Besuch abgestattet. Als ich die Tür öffnen wollte, wurde ich von meinem einheimischen Kollegen gebeten, sitzen zu bleiben. Nachdem mein Kollege dann die Tür geöffnet hatte, traten zwei Polizisten ein, die angeblich nur überprüfen wollten, wie unser Büro gesichert ist, welche Menschen im Büro arbeiten und welche Aufgaben sie haben. Da die Befragung meines Kollegen jedoch auf der Landessprache Bahasa Malay gehalten wurde, verstand ich relativ wenig. Nachdem die Polizisten das Büro schließlich verlassen hatten, wollte ich rauchen. Die Polizisten aber – mittlerweile waren es mehr geworden – waren noch anwesend und einer von ihnen, mich von oben bis unten musternd, wies mit der Hand auf mich. Mit dem Hintergrundwissen, dass die Polizei in Malaysia jedes Individuum verhaften kann, welches für sie “eine Gefahr für die Nation, Wirtschaft oder Religion“ darstellt, fühlte ich mich unwohl, sodass ich das mit der Zigarette bleiben ließ. Der besagte Polizist wurde dann aber von seinen Kollegen aufgefordert den Ort zu verlassen. Glück gehabt.

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Abgesehen von diesem Zwischenfall waren meine Aufgaben während des Praktikums primär bürokratischer Natur. Zu den Aufgaben gehörten beispielsweise die Betreuung der „Demokrasi Malaysia“-Homepage oder das Sammeln der Nachrichten für einen Menschenrechtsbericht, der jedes Jahr veröffentlicht wird. Außerdem erstellte ich eine historische Dokumentation über den Internal Security Act, welcher der Regierung die Befugnis gab, alle Bürger*innen, die eine Gefahr der nationalen Sicherheit darstellten oder in irgendeiner Art und Weise die Wirtschaft bedrohten, für Jahre ohne rechtlichen Schutz und Gerichtsverfahren, zu inhaftieren. 2012 wurde das Gesetz zwar abgeschafft, ersetzt wurde der Internal Security Act jedoch nur durch ein anderes Gesetz, den Security Offences Special Measures Act, welches sich im Wesen kaum unterscheidet. Als “Bedrohung der nationalen Sicherheit” kann übrigens alles gedeutet werden. Eine klare Definition ist im Gesetz nicht verankert.

Arbeit unter Zensur aller Medien

Zusätzlich begleitete ich meinen Chef und meine Kollegen*innen auf verschiedene Meetings, Pressekonferenzen, Demonstrationen und Versammlungen auf denen sich Menschenrechts- und Umweltaktivist*innen treffen, um über die Entwicklungen innerhalb Malaysias zu diskutieren, sich auszutauschen und für Reformen einzusetzen. Das gestaltet sich alles jedoch sehr schwierig, weil die Berichterstattung und der Informationsaustausch zensiert wird. Dass sich die Menschenrechtler*innen davon aber nicht abhalten lassen, hat mich sehr beeindruckt und inspiriert. Viele der Persönlichkeiten, die ich getroffen habe, haben Verhaftungen miterlebt, die sich in Malaysia wie Entführungen abspielen können: Festnahmen werden von der Regierung teilweise nicht öffentlich bekannt gegeben oder an Familienangehörige weitergeleitet. Inhaftierte können in Isolationshaft gehalten werden, sodass sie nicht wissen, wo sie sich befinden und sich nicht mit anderen Insassen austauschen können.

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Einer dieser inspirierenden und kämpfenden Menschen, die ich treffen durfte und sich für Menschrenrechte einsetzen ist Adam Adli. Er gilt teilweise als Nationalheld des malaysischen Volkes. Nach den manipulierten Wahlen im Jahre 2013 rief er zu Demonstrationen auf. Dabei erwähnte er weder, dass die Wahlen manipuliert waren, noch rief er zu einem Regierungsumsturz auf. Kurze Zeit darauf wurde er für fünf Tage inhaftiert und für drei Semester aus der Universität ausgeschlossen.

Auszug aus der Rede, für die Adam verhaftet wurde.
Auszug aus der Rede, für die Adam verhaftet wurde.

Nach seiner Freilassung engagierte er sich stärker als zuvor für Menschenrechte, hielt öffentliche Reden und nahm an Demonstrationen und politischen Kampagnen verschiedener Organisationen teil. Ein Gesetz, welches der Regierung die Legitimation gibt, sämtliche Menschen, die nicht in ihr Bild passen, zu verhaften und zu verurteilen, ist der Sedition Act. Seit zwei Jahren hatte der Premierminister Najib Razak das Abschaffen dieses Gesetzes versprochen. Den Versprechungen folgten jedoch keine Taten. Stattdessen wurden in Najib Razaks Amtszeit so viele Verhaftungen unter dem “Sedition Act” durchgeführt, wie unter keinem anderen Premierminister.  Und auch wenn der Sedition Act abgeschafft würde, wird er lediglich durch ein neues Gesetz namens Harmony Bill ersetzt, das bereits ausgearbeitet ist, bis heute aber noch niemand außer den Verfasser*innen zu Gesicht bekommen hat.  Aus diesem Grund kommt und kommt es zu zahlreichen Demonstrationen und Versammlungen. Eine Versammlung an der ich teilnahm fand unter der Kampagne Gerakan Hapuskan Akta Hasutan (GHAH) statt. Dort hielten ehemalige Inhaftierte Reden, in denen sie zu Protesten aufriefen, über ihre Verhaftungen sprachen und Gründe nannten, weshalb solch ein marodes Gesetz aus der britischen Kolonialzeit abgeschafft werden müsse.  Einer der Redner war Adam Adli. Einen Tag darauf hatte er ein erneutes Gerichtsverfahren.  Bei diesem wurde er unter dem Sedition Act zu einer Haftstrafe von zwölf Monaten verurteilt, die bis zu fünf Jahren verlängert werden kann. Grund ist angeblich seine Rede aus dem Jahre 2013. Nachdem ich wieder in Deutschland war, erfuhr ich, dass er von der amtierenden Regierung aufgefordert wurde der regierenden Partei beizutreten. Dies lehnte er mit der Aussage ab, dass er mit dem Ausfüllen von Gerichtsunterlagen zu beschäftigt sei. Wann Adam die Haftstrafe antritt, ist noch ungewiss. Auffällig ist jedoch, dass wieder einmal einer der bekanntesten Vertreter und Idole für Menschenrechte als Krimineller angesehen und unschuldig verurteilt wurde.

Das Gefängnis kann einen Menschen vollständig brechen

Was sich in den Gefängnissen genau abspielt, weiß man nicht. Dass die Bedingungen menschenverachtend sind, ist jedoch klar: Häftlinge können von der Polizei zusammengeschlagen und unter Isolationshaft gehalten werden; Angehörige werden teilweise bedroht oder selbst festgenommen und/oder deren Konten gesperrt, sodass die Familien keinen Zugriff mehr auf Gelder haben. Auch eine medizinische Versorgung der Häftlinge ist nicht gewährleistet und die Nahrungsbedingungen sind so schlecht, dass viele Insassen an Lebensmittelvergiftungen erkranken. Deshalb erzählt man sich unter den regierungskritischen Aktivist*innen auch, dass das Gefängnis einen Menschen vollständig brechen – oder im genauen Gegenteil auch stärken kann. Denn vor allem die im Gefängnis Erstarkten kämpfen nach ihrer Freilassung umso mehr gegen die politischen Missstände an. Kämpfen ist übrigens ein gutes Wort um die politische Arbeit dieser Menschen zu beschreiben, die in Malaysia etwas verändern wollen. Malaysia zu reformieren, wird nämlich noch sehr lange dauern. Nicht nur, weil es erst seit 1957 von der britischen Kolonialherrschaft befreit ist, sondern auch weil verschiedene Aspekte, wie die Unterdrückung des Volkes, die wirtschaftliche Lage, der Kampf zwischen der amtierenden Regierung und der Opposition, aber auch die Internationale Politik, den Entwicklungsprozess massiv erschweren. Und trotzdem wurde Malaysia am 13. Mai 2010 in den United Human Rights Council gewählt. Was für eine Ironie.

during the launch of Gerakan Hapus Akta Hasutan (GHAH) in conjunction with international day of Democracy at Kuala Lumpur and Selangor Chinese Assembly Hall in Kuala Lumpur on September 15, 2014. The Malaysian Insider/Najjua Zulkefli
During the launch of Gerakan Hapus Akta Hasutan (GHAH) in conjunction with international day of Democracy at Kuala Lumpur and Selangor Chinese Assembly Hall in Kuala Lumpur on September 15, 2014. The Malaysian Insider/Najjua Zulkefli

Die politischen Bedingungen erschweren das Leben in Malaysia also massiv. Hinzu kommt der ständige Konflikt, nie zu wissen, wem man privat vertrauen kann. Es kommt auch vor, dass andere Menschen politische Diskussionen sofort abbrechen, um sich selbst zu schützen, oder man auf Grund seiner politischen Ansichten ausgegrenzt wird. Manche Menschen brechen den Kontakt sogar komplett ab. Denn auch die Zahl der regierungstreuen Anhänger*innen ist groß. Dass ich gleichzeitig aber auch Unterstützung von Einheimischen erhielt und immer noch erhalte, die sich freuen, dass sich eine Deutsche für ihr Land und dessen Politik interessiert, ist in solchen Momenten aufbauend und motivierend. Auch wenn ich größtenteils passiv agieren musste. Beispielsweise wurde mir eine direkte Teilnahme an Demonstrationen strikt untersagt. Laut Regierung haben sich Ausländer*innen nicht in die malaysische Politik einzumischen. Zuwiderhandlungen können und wurden bereits mit Haftstrafen belegt. Aus Sicherheitsgründen untersagt Demokrasi Malaysia ausländischen Praktikant*innen daher eine direkte Teilnahme an Demonstrationen.

“Civil disobedience becomes a sacred duty when the state has become lawless or corrupt. And a citizen who barters with such a state shares in its corruption and lawlessness.” – Mohandas K. Ghandi

Das Leben ist nicht einfach, natürlich ist es das nicht. Trotz alledem sehe ich die Demokratie und die damit verbundenen Menschenrechte als eine Errungenschaft an, für die es sich zu kämpfen lohnt und die es zu schützen gilt. Auch von denen, die weit weg sind. Denn letztendlich hängt alles in dieser Welt – Tiere, Umwelt, Menschen – voneinander ab. Jedes Individuum das schweigt gibt einer Regierung, sei sie noch so schlecht, mehr Macht. Wir sitzen alle im selben Boot, weshalb es die Pflicht eines jeden Menschen sein sollte, sich stets gegen Ungerechtigkeiten aller Arten einzusetzen und den Kampf niemals aufzugeben.

ÜBER DIE AUTORIN Selbst von sich sagt Charlotte (23), dass sie sich schon „immer für andere Kulturen und Religionen interessiert hat“ – einer von vielen Gründen 2011/2012 ein Freiwilliges Soziales Jahr in Malaysia zu absolvieren. Während dieser Zeit hat sie als “Lehrerin” in einem Heim in Malaysia gearbeitet. „Dieses Jahr war die beste Zeit meines Lebens“, sagt sie noch heute. Denn obwohl sie so viele Menschenrechtsverletzungen in Malaysia gesehen und erlebt hat, hat es sie auch dazu bewegt, sich weiterhin mit der Thematik auseinanderzusetzen und sich aktiv zu engagieren. Mehr über ihre Abenteuer in und ihre Gedanken zu Malaysia könnt ihr auf ihrem Blog lesen.

FOTOS: Charlotte Chin und Carl Parkes auf flickr.com, CC-Lizenz.

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