Sneak Review #82 – Die Erfindung der Wahrheit

Sneak Review #82 – Die Erfindung der Wahrheit

„Lobbyarbeit bedeutet Voraussicht, die nächsten Schritte deines Widersachers vorauszuahnen, Gegenstrategien zu entwickeln. Um zu gewinnen treibt man seine Gegner vor sich her. Es bedeutet sie zu überraschen – und sich nicht überraschen zu lassen!” In der Sneak-Preview lief diesen Dienstag John Maddens Politthriller »Die Erfindung der Wahrheit«, der von Anfang an eine ganz eigene Atmosphäre im Kinosaal aufbaute und dem Publikum Einblicke in die spannende, verwirrende und skurrile Welt einer dubiosen Lobbyistin gewährte.

Mittwochmorgen. Wobei, eigentlich eher Vormittag, denn gestern war ein langer Abend. Ich blicke auf mein Smartphone und sehe eine Eilmeldung der Tagesschau: “Bundesverfassungsgericht kippt Brennelement-Steuer für Atomkraft”. Noch im Halbschlaf ziehe ich sofort eine Querverbindung zu dem Film von gestern Abend und frage mich instinktiv, wie viel des dort dargestellten Lobbyismus fiktiv und wie viel real ist. Gibt es wirklich solch skrupellose Lobbykämpfe um Stimmen von Politiker:innen?

Regisseur Madden, der sonst eher für romantische Komödien wie Shakespeare in Love oder The Best Exotic Marigold Hotel bekannt ist, wirft die Zuschauer mitten ins Geschehen, indem er nicht am Anfang sondern in der Mitte der Geschichte einsteigt. Die skrupellose und berüchtigte Lobbyistin Elizabeth Sloane (Jessica Chastain) steht vor Gericht. Sie wird angeklagt, auf illegale Weise Auslandsreisen für Senator:innen finanziert zu haben, damit diese im Interesse des Lobbyverbands gegen die Erhebung einer Palmölsteuer stimmen. In den folgenden Szenen erzählt der Film über Rückblenden, wie die selbstsichere Sloane in diese zunächst hoffnungslos erscheinende Situation geraten ist, indem sie überraschend die Fronten zwischen Waffenlobby und deren direkten Gegnern wechselt und sich für härtere Waffengesetze engagiert.

“Du willst dich mit der Waffenlobby anlegen? Wir sind über fünf Millionen – und wir sind bewaffnet”

Sloane ist berüchtigt für ihr außerordentliches Talent und ihre zahllosen Erfolge. Doch dies ist der härteste Kampf ihrer Karriere und die übermächtige Waffenlobby zum Gegner zu haben bringt Komplikationen mit sich. Sloane und ihr Team müssen mit allen Mitteln Gelder akquirieren, Medienkampagnen führen und die Stimmen von Politiker:innen für ihre Sache gewinnen. Schlag auf Schlag folgen mitreißende Wendungen im Kampf um die Stimmen der wahlberechtigten Senator:innen. Die Waffenlobby, die sich auf das in der Verfassung verankerte uneingeschränkte Recht zum Führen einer Schusswaffe beruft, scheint in allen Bereichen die Oberhand inne zu haben. Zudem legt sie Sloane zu jeder Gelegenheit Stolpersteine in den Weg.

Der Film beschreibt dabei einen moralischen Drahtseilakt, bei dem Sloane jede Gesetzeslücke hemmungslos ausnutzt und auch nicht vor der Überschreitung ethischer Grenzen zurückschreckt. Sie spioniert ihre eigenen Mitarbeiter:innen aus, trifft egoistische Entscheidungen gegen Absprachen mit ihrem Team und ihrem Chef Rodolfo Schmidt (Mark Strong) und missbraucht sogar das Vertrauen ihrer engsten Kollegin Esme Manucharian (Gugu Mbatha-Raw). Menschliche Züge wie Mitleid, Moral oder persönliche Gefühle zeigt sie hierbei nur selten.

“Ich bin angetreten um zu gewinnen. Und ich werde jedes mir zur Verfügung stehende Mittel einsetzen”

Dass Elizabeth Sloane so eine mitreißende und faszinierende Antiheldin ist, ist neben Jonathan Pereras Drehbuchdebüt vor allem auch Chastains schauspielerischer Leistung zu verdanken. Ihr gelingt es mit starker Mimik und Gestik sowie kühler Ausdrucksform das gesamte Spektrum zwischen moralischer Verwerflichkeit und emotionalen Gewissensbissen darzustellen. Kein Wunder also, dass Chastain wegen ihrer Rolle im Januar für einen Golden Globe nominiert wurde.

Alles in allem gelingt es dem Film das Publikum zu packen, was man im Kinosaal sehr deutlich spürte. An den spannendsten Stellen traute man sich kaum Popcorn aus der Tüte zu holen. Gleichzeitig wurde die Stimmung durch Sarkasmus und gewitzte Dialoge sowie filmische Selbstironie immer wieder aufgelockert. Hierzu trug insbesondere Escortboy Mr. Ford (Jake Lacy) bei, dem eine sehr charmante Nebenrolle zukam.

Zu kritisieren ist sicherlich, dass gegen Ende des Films dann doch alles ganz schön schnell geht. Dem 132 Minuten langen Streifen kann man zwar nicht vorwerfen, dass er zu kurz ist, jedoch laufen am Höhepunkt viele parallele Handlungsstränge plötzlich zusammen und wie aus Zauberhand sind alle Konflikte scheinbar gelöst. Hier hätte die Handlung etwas umfangreicher ausgestaltet werden können. Positiv ist allerdings anzumerken, dass das Ende relativ offen gehalten wurde und die Interpretation von Sloans Geschichte dem Publikum überlassen wird.

Alle, die nun Lust auf mehr haben, können den Film seit Dienstag auch in deutschen Kinos sehen.

FOTO: Universum Film GmbH

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