Theater Review #12: Der Weltverbesserer
Am vergangenen Samstag feierte „Der Weltverbesserer“ von Thomas Bernhard seine Premiere am Hessischen Landestheater. Die Tragödie kommt zunächst wie eine Parodie auf den menschlichen Weltschmerz daher, offenbart sich dann aber unter anderem als Einblick in den geistigen Verfall eines Menschen.
In einem weißen Raum sitzt ein Mann auf seinem Stuhl. Es ist der namenlose Weltverbesserer, gespielt von Jürgen Helmut Keuchel, der vor sich hin philosophiert. Also eigentlich liest er nur ein Rezept vor. Dabei hat er diese Art an sich, die ältere Herren an sich haben, wenn sie sich für sehr klug und belesen halten. Er betont jedes Wort, als wäre es von großer Wichtigkeit für die Menschheit. Seine Mimik und Gestik strahlen aus, dass er es geschafft hat. Am heutigen Tag soll er seine Ehrendoktorwürde für sein weltverbesserndes Traktat erhalten und prahlt mit seinem Erfolg. Im nächsten Moment wird er cholerisch und schreit seine vermeintliche Bedienstete an. Ein Motiv, das sich über das Stück hinwegzieht. Nur, dass die einzige Person, die es mit ihm aushält, nicht seine Bedienstete ist, sondern seine Lebensgefährtin, zu der er ein ambivalentes Verhältnis hat.
„Ich habe einen vollkommen zerrütteten Verstand.“
Doch womit hat der Weltverbesserer sich seinen Namen gemacht? Immer wieder spricht er von seinem philosophischen Traktat, welches niemand außer ihm wirklich verstehen soll. Während er monologisiert, dabei mal über seine Arbeit prahlt und dann wieder über die Menschheit und ihre Unwissenheit erschüttert ist, lässt er seine Lebensgefährtin, dargestellt von Insa Jebens, die einfachsten Tätigkeiten übernehmen. Sie wäscht ihn, bereitet ihm seine Mahlzeiten zu und bindet ihm ein großes Lätzchen um, damit er sich auch bloß nicht bekleckert. Angeblich ist der Weltverbesserer sehr krank, weshalb er auch nicht mehr laufen kann. Zwischen seinen lethargischen und manischen Phasen beleidigt er seine Lebensgefährtin, während diese sich meist stumm fügt.
Wenn man den Weltverbesserer auf der Bühne sieht, meint man die Verkörperung eines Machos zu sehen, der sich überheblich zeigt und seiner Partnerin keinen Respekt gegenüber bringen kann. Oftmals möchte man seine Partnerin rebellieren sehen und fühlt regelrechte Frustration, wenn sie stumm den geforderten Tätigkeiten nachgeht. Im nächsten Moment wirkt er dann plötzlich wie ein verwirrter, kränklicher Mann, der vor allem die Bestätigung seiner Lebensgefährtin braucht. Er spricht davon, die Menschheit zu hassen und deshalb isoliert zu leben. Seine Partnerin scheint zunächst nur von ihm abhängig zu sein und deshalb bei ihm zu bleiben. Doch schnell wird dem Zuschauer klar, dass das Abhängigkeitsverhältnis auf beiden Seiten existiert.
„Wenn man sie nicht beschäftigt, probieren sie Kleider oder naschen Süßigkeiten.“
Werden die Phrasen des Weltverbesserers zu sexistisch und beleidigend, verlässt seine Lebensgefährtin das Zimmer oder übt sich in passiv-aggressivem Stricken. Während er nun vorher mit allen Mitteln seine Macht demonstrierte, wird er in diesen Momenten plötzlich kleinlaut und hilflos. Er ist nicht nur ein erwachsenes Kind, sondern auch einsam. Er versteht es nicht, mit anderen Menschen umzugehen und verzweifelt daran. Sobald man das als Zuschauer durchschaut, wird der zunächst verhasste Weltverbesserer eine Figur, für die man einen Funken Mitleid verspüren könnte.
Sein Traktat zur Verbesserung der Welt ist das Einzige, was ihn ausmacht. Doch wie will man einen Bezug zu einer Gesellschaft finden, die einen nicht verstehen kann? Er selbst tröstet sich darin, sich über das Unwissen der anderen zu amüsieren, sich über sie zu stellen. Trotzdem fürchtet er sich vor der Isolation, der Einsamkeit und unterhält eine Beziehung zu einer Frau, die er nicht zu lieben scheint. Ihre emotionale Bindung zu ihm nutzt er erfolgreich aus. Dennoch wirkt sie auch wie ein schwacher Spiegel seiner selbst auf ihn. Zumindest reflektiert er kurz seine Aussagen, wenn er eine abwehrende Reaktion von ihr bekommt, verliert sich aber selbst schnell wieder in seinem herkömmlichen Verhaltensmuster. Er kann sich selbst nicht entkommen, obwohl er merkt, wie falsch er sich verhält.
„Nach und nach wird in diesen Mauern eine Tragödie gespielt.“
Jürgen Helmut Keuchel und Insa Jebens gelingt es, die Spannung zwischen ihren beiden Figuren auch in den vertrauteren Momenten nicht verfliegen zu lassen. Auch wenn man über den Weltverbesserer lachen kann, lässt sich doch die Bitterkeit in seiner Phrasendrescherei nicht verkennen. Wir sehen einen Menschen, dessen Forschung anerkannt aber nicht verstanden wird, dessen Person geachtet aber seine Persönlichkeit verachtet wird. Es ist zunächst nicht leicht einen Zugang zu den Charakteren zu finden, gerade weil die Reaktionen des Weltverbesserers zunächst auf eine komische Art unerwartet kommen und dann sofort ein neues Thema angeschnitten wird. So kommt das Stück zu einem unerwarteten Ende und lässt den Zuschauer etwas verwirrt mit seinen Eindrücken zurück.
„Der Weltverbesserer“ ist ein Stück, auf das man sich einlassen muss. Einfach hinsetzen und zuschauen funktioniert hier nicht und das macht es gerade so spannend. Die Inszenierung lässt dem Zuschauer viel Freiraum für eigene Interpretationsansätze und bietet Denkanstöße für die Auseinandersetzung mit Themen wie dem eigenen Umgang mit Mitmenschen, dem Unterschied zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, dem Grad der Wichtigkeit von gesellschaftlicher Akzeptanz und vielen weiteren, wie ihr dann selbst sehen könnt.
Besetzung: Jürgen Helmut Keuchel, Insa Jebens, Daniel Sempf, Gerhard Skrzypiec, Harald Schmidt, Friedhelm Böttner
Regie: Arnim Beutel Ausstattung: Sabine Pommerening Dramaturgie:Franz Burkhard
Nächste Termine: 13.09.2017, 19.30 Uhr, 16.09.2017, 19.30 Uhr, 23.09.2017, 19.30 Uhr, 10.10.2017, 19.30 Uhr, 13.10.2017, 19.30 Uhr
FOTO: Andreas Maria Schäfer
Ressortleitung Campus. Studiert "Kunst, Musik und Medien" und hat deshalb das Triangelspielen perfektioniert. Wenn sie nicht gerade in einen Tagtraum versunken ist, überlegt sie sich, was sie heute Abend essen möchte.